Religion darf nicht Privatsache sein

Je öffentlicher eine Person ist, desto kleiner wird ihr Privatbereich, schreibt unsere Gastkommentatorin.

Der Glaube eines Politikers muss transparent sein – für jeden, schreibt unsere Gastkommentatorin. (Bild: JENS MEYER)

Je öffentlicher eine Person ist, desto kleiner wird ihr Privatbereich, schreibt unsere Gastkommentatorin. Wofür ein Politiker im öffentlichen Amt einsteht, muss transparent sein – sonst weiss man nicht, wen man wählt und was man er­warten darf.

Eigentlich hätte es eine Wochendebatte zum Thema «Ist Religion (auch) bei Po­litikern Privatsache?» geben sollen. Eigentlich! Ich hatte zugesagt, den Contra-Standpunkt zu vertreten. Für die Pro-Argu­mentation hatte es eine Zusage gegeben, welche aber zurückgezogen wurde. Ersatz liess sich keiner finden. Dies veranlasst mich nun, der eigentlichen Frage noch eine Nebenfrage anzuhängen: «Ist es denn ein Tabu, darüber nachzudenken?»

Sollte es ein Tabu sein, so breche ich dieses gerne. Zu wichtig erscheint mir das Thema. Es geht dabei nicht um den persönlichen Glauben: ob und wie man an Gott glaubt. Sondern darum, ob die Religion das persönliche Werte­system so prägt, dass es im Widerspruch zu den Aufgaben in einem öffentlichen Amt steht.

Letzte Woche wurde ich für falsches Parken gebüsst – aber das braucht Sie eigentlich nicht zu interessieren. Dies tangiert Sie nicht und ist meine Privatsache. Anders wäre es vielleicht, wenn ich Polizeikommandantin wäre und man gerade von mir erwarten würde, dass ich mich besonders genau an gesetzliche Vorschriften halte. Bei wem wo die Privatsphäre aufhört, lässt sich nicht immer ganz klar definieren. Fest steht hingegen: Je öffentlicher eine Person ist oder sein möchte, desto kleiner wird ihr Privat­bereich.

Die Wertehaltung und Weltanschauung soll und wird das Handeln im Amt prägen. Daher kann bei Politikern die religiöse Einstellung spürbare Auswirkungen haben.

Bei Politikern ist das nicht auf eine ungerechtfertigte Neugierde der Wählerschaft zurückzuführen, sondern auf die Überschneidung von Privatem und öffentlichem Amt. Ich wähle Menschen aufgrund ihrer Eignung, ihrer Persön­lichkeit, ihrer politischen Ausrichtung. Die Wertehaltung und Weltanschauung soll und wird das Handeln im Amt prägen. Daher kann bei Politikern – gerade in der Exekutive – die religiöse Einstellung spürbare Auswirkungen haben.

Es geht bei der Frage der Privatsphäre darum, ob die Religion das persönliche Wertesystem so prägt, dass es im Widerspruch zu unseren liberalen und egalitären Gesetzen steht. Wer zum Beispiel aufgrund seines religiösen Weltbilds Menschen nach ihrer Hautfarbe, ihrem Geschlecht oder ihrer Religion als unterschiedlich «wertvoll» einstuft, dem kann schwerlich ein Regierungsamt übertragen werden. Wer seine Überzeugungen als die einzig gül­tigen betrachtet und andere kategorisch ablehnt, genauso wenig.

Fragt man nach dem Glauben, so geht es also im Eigent­lichen um das Werte­system: Ist es demokratisch-liberal oder dogmatisch? Darf sich ein Politiker bei seinen ­An­sichten zu aktuellen Themen wie ­Abtreibung, Scheidung, Homoehe, künstliche Befruchtung, pränatale Untersuchungen oder Sterbehilfe mit dem Verweis auf seine religiöse Privatsphäre bedeckt halten?

Darf sich ein Politiker bei seinen ­An­sichten zu aktuellen Themen wie Abtreibung, Scheidung, Homoehe, künstliche Befruchtung, pränatale Untersuchungen oder Sterbehilfe bedeckt halten?

Wofür ein Politiker im öffentlichen Amt einsteht, muss meiner Auffassung nach transparent sein – ebenso wie die politische Färbung. Anders weiss man nicht, wen man wählt und was man er­warten darf. Warum berufen sich Politiker, wenn sie nach ihrem Glauben gefragt werden, auf ihre Privatsphäre? Warum ist ein Ein­stehen für das, was einem persönlich wichtig ist, so schwierig? Wir wohnen in der Schweiz, wo die Religionsfreiheit Gott sei Dank grossgeschrieben wird. Das Schweigen macht mich skeptisch. Und es verwundert, dass dieses so wenig hinterfragt wird.

Bei der geplanten Wochendebatte ging es darum, über die Privatsphäre in ­Glaubensfragen zu diskutieren. Es wäre also eine Chance gewesen, auch den ­Pro-Standpunkt zu erklären. Schade, konnte dafür niemand gewonnen werden. Was bei mir nun bleibt, sind viele ­Fragen, keine Antworten – und die ­ver­geblichen Ermahnungen aus meinem Bekanntenkreis, dass man sich bei diesem Thema nur die Finger verbrennen könne …

Artikelgeschichte

Erschienen in der gedruckten TagesWoche vom 31.05.13

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