Politiker wollen ihn abschaffen und auch in der TagesWoche-Community wird der Jokertag teilweise scharf kritisiert («typisch Kuschelpädagogik!»). Ich meine: absolut zu Unrecht. Dank dem Jokertag sind die Ehrlichen wenigstens in der Schule nicht einfach nur die Dummen.
Ich persönlich hätte so etwas Böses selbstverständlich nie angestellt. Nie und nimmer! Die Schule schwänzen – warum auch? Ich hatte nur hochmotivierte Lehrerinnen und Lehrer, die mitreissende Lektionen boten, eine aufregender als die andere. Verpassen wollte ich da keine einzige.
Offenbar gibt es aber auch Kinder und Jugendliche, die ganz andere Erfahrungen machen. Sie langweilen sich in der Schule, haben Angst vor dem Lehrer oder sind ganz einfach faul.
Investitionen in Ausreden
Viel lieber als in Mathe oder Franz investieren sie ihre Energie in die Suche nach einer Ausrede, um wieder mal ein, zwei Tage nicht in die Schule gehen zu müssen. Sie winden sich dann vor Kopf- und Bauchschmerzen, täuschen Ohnmachtsanfälle vor oder geben auf sonst irgendeine kunstvolle Art den sterbenden Schwan (um wenig später gemütlich vor dem Fernseher zu fläzen). Und sie sind nicht einmal in der Minderheit. Gemäss Studien macht rund die Hälfte der Schülerinnen und Schüler gelegentlich blau.
Darum halte ich die Jokertage für eine sehr gute Idee. Dank ihnen sind die Ehrlichen nicht einfach nur die Dummen, die sich aus Pflichtgefühl auch mit 40 Grad Fieber noch in die Schule kämpfen. Den nicht ganz so Tapferen und Aufrechten kommen die Jokertage ebenfalls zu Gute; sie müssen nicht mehr so häufig gegen das neunte Gebot verstossen und lügen (zum Schutze der Menschheit nehme ich mal an, dass längst nicht alle so schamlos Unwahrheiten verbreiten wie ich in der Einleitung dieses Textes).
Der Staat – ein schlechtes Vorbild
Hinzu kommt noch ein ganz anderer Punkt: Im Baselbiet hat der Kanton offenbar kein Geld mehr, um die kranken Sek-Lehrerinnen und Lehrer mit Aushilfen zu ersetzen. Entsprechend häufig fallen Schulstunden einfach aus.
Ich meine: Wenn es der Staat so locker mit der Schulpflicht nimmt, sollte man auch uns Eltern und den Kindern ein bisschen Freiheit gönnen. Immerhin gibt es auch mehr als genug Gründe, um die Schule mal für einen Tag Schule sein zu lassen. Ein Auftritt mit dem Orchester irgendwo weit weg, ein wichtiges Sportturnier, eine Tante aus Amerika, die auf ihrer Europareise einen Halt in der Region einlegt und, und, und. Und vielleicht lernt man bei der einen oder anderen Gelegenheit ja fast noch mehr als in der Schule. Könnte ja sein.
Umso trauriger ist es, dass der Grüne Jürg Wiedemann, der Grünliberale Hans Furer und der SVPler Paul Wenger nun fordern, dass es in den Baselbieter Schulen keine Jokertage mehr geben soll. Wiedemann und Wenger sind selbst Lehrer. Am besten sorgen sie in dieser Rolle dafür, dass die Schülerinnen und Schüler möglichst keine Lektion verpassen wollen (was sie ja sicher machen).
Zu wenig einheitlich
Und wenn sie doch noch politisch aktiv werden wollen, dann bitte mit einer ganz anderen Forderung: dass die Jokertage in allen Baselbieter Schulen auch tatsächlich angeboten werden. Einheitlich auch.
(Aus Dankbarkeit wäre ich allenfalls sogar bereit, nochmals so weit zu gehen und die Lehrer als die allergrössten und allermotiviertesten darzustellen.)
Der Jokertag bietet den Schülerinnen und ihren Eltern die Möglichkeit, auf Voranmeldung, aber ohne Begründung und ohne Bewilligungsverfahren einzelne zusätzliche Freitage zu erhalten. Die Zahl der jährlich offenen Jokertage variiert im Baselbiet von Schule zu Schule. An einzelnen Orten werden sie offenbar gar nicht angeboten. Zugelassen sind sie laut kantonalem Bildungsgesetz.