Schluss mit der Schein-Betroffenheit

Die Gewerkschaft Unia fordert auf der Messebaustelle medienwirksam eine Grosskontrolle. Noch viel wichtiger wäre, dass die Politik Lohndumping endlich ernst nimmt.

Hansueli Scheidegger, Bereichsleiter Baugewerbe der Gewerkschaft Unia, prangert vor den Toren der Messebaustelle in Basel die Lohndrücker an. (Bild: Matieu Klee)

Diese scheinbare Betroffenheit wird langsam unerträglich. «Selbstverständlich unternehmen wir alles gegen Dumpinglöhne», betonen die Verantwortlichen bei jedem neuen Fall, ob beim Tennisturnier Swiss Indoors oder auf der riesigen Baustelle der Messe in Basel. Für diese fordert die Gewerkschaft Unia jetzt medienwirksam eine Grosskontrolle. Dies, nachdem Kontrolleure auf Baustellen in etlichen Fällen auf mutmassliches Lohndumping gestossen sind.

Das scheint konsequent, hat aber einen Haken: Baufirmen sind jetzt gewarnt. Auf die schlimmsten Fälle, wie vermutete Schwarzarbeit, werden die Kontrolleure kaum mehr stossen.
Volkswirtschaftsdirektor Christoph Brutschin zögert denn auch: Eine Grosskontrolle sei ein massiver Eingriff, und noch fehle es an Hinweisen, dass es um mehr als ein paar Elektriker gehe, die angeblich zu Dumpinglöhnen gearbeitet hätten. Dabei hätte eine still aufgegleiste Grosskontrolle ein starkes Signal gesetzt: Der Kanton Basel-Stadt duldet kein Lohndumping, lässt es selbst bei der einflussreichen Messe, bei der er selbst grösster Aktionär ist, nicht mit Stichproben bewenden.

St. Galler machen es vor

Wie ein Kanton signalisieren kann, dass er es ernst meint, zeigt das Beispiel St. Gallen. Dort hat das Baudepartement nach einem Lohndumping-Skandal auf einer seiner Baustellen unbürokratisch die Weisung erlassen, bei kantonalen Bauten keine Ketten von Subunternehmen mehr zuzulassen, an deren Ende oft irgendein Eisenleger, Gipser oder Maurer für einen Hungerlohn arbeitet. Doch im Basler Baudepartement will man nicht an die Ostschweizer Lösung glauben: Ein generelles Verbot von Subunter­nehmerketten scheine «nicht praxis­tauglich». Die Verwaltung prüfe aber, ob die vertraglich vereinbarten Konventionalstrafen bei arbeits­rechtlichen Verstössen verschärft werden sollten.

Prüfen und abwägen, statt zu handeln, das macht auch der Bund seit Jahren: Volkswirtschaftlich sei der freie Personenverkehr ein Gewinn für die Schweiz. Die Fälle von Billigarbeitern würden die Bilanz nur wenig trüben. Das mag sogar stimmen – und trotzdem gibt es bei Lohndumping nur eine richtige Reaktion und die heisst «Null Toleranz». Wer nur so tut, als ob er die Unterwanderung des Schweizer Lohnniveaus bekämpfe, spielt mit dem Feuer. Denn Verlierer sind hiesige Bauarbeiter, die mit diesen Dumpinglöhnen nicht mithalten können.

Jetzt braucht es Signale

Die Zeit der Lippenbekenntnisse ist vorbei, jetzt braucht es klare Signale. Auf Bundesebene muss der Nationalrat der sogenannten Solidarhaftung zustimmen, damit sich Generalunternehmen nicht mehr aus der Verantwortung stehlen können.

Heute tun sie das. Sie vergeben Aufträge und wissen genau, dass der Preis, den sie mit Handwerksbetrieben ausmachen, zu tief ist. So tief, dass diese nur über die Runden kommen, wenn sie ihre Arbeiter mit Hungerlöhnen abspeisen. Das ist so, als ob ein Basler Spediteur von seinem Fahrer verlangen würde, in zwei Stunden in Mailand zu sein, die Tempolimiten aber einzuhalten. Wenn der Fahrer aber erwischt wird, die Hände in Unschuld zu waschen.

Artikelgeschichte

Erschienen in der gedruckten TagesWoche vom 09.11.12

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