Schweizer Digitaltag – eine reine Propaganda-Schau

Ein Konglomerat von Schweizer Unternehmen und dem Staat veranstaltet am Dienstag den ersten Digitaltag. Das Unterfangen ist einzigartig. Und genauso intransparent wie durchschaubar.

Beeinflussung von Volk und Politik: eines der erklärten Ziele des Digitaltags. (Bild: digitaltag/Montage: Nils Fisch)

Marc Walder hat schon länger ein Faible für digitale Lösungen. Als der Ringier-CEO am 10. Januar 2010 in Zürich vor die versammelte Belegschaft von «Blick», blick.ch, «Sonntagsblick» und «Blick am Abend» trat, um den Abbau von 29 Vollzeitstellen bekannt zu geben, sagte er, dass diejenigen, die jetzt ein E-Mail von der HR-Abteilung bekommen hätten, sich bitte zeitnah dort einfinden sollen. Die anderen bat Walder, an ihre Arbeitsplätze zurückzukehren.

Über 40 Personen hatten ein E-Mail bekommen und verloren ihre Stelle.

Walders Begeisterung für alles Digitale ging bald über den Versand von E-Mails hinaus. Nach einem USA-Aufenthalt fand er definitiv: «Digital ist besser.» Mit einiger Verspätung, aber mit voller Kraft, ging er ans Werk, scharte einige Wirtschaftsgrössen um sich und verkündete im Jahr 2015 das Projekt «Digital Zurich 2025». Ziel: Silicon Valley, aber in Zürich.

Dunkelkammer «Digitalswitzerland»

Weil man in Zürich meist mindestens die ganze Schweiz meint, wenn man «Zurich» sagt, wurde aus dem Verband bald schon «Digitalswitzerland».

Sichtbar als Mitglieder dabei sind: 90 (!) Schweizer Firmen, Institutionen und staatliche Stellen. Die Palette reicht von ABB bis Zurich, von Basel-Stadt und Basellandschaft (via baselarea.swiss) bis Stadt und Kanton Zürich – und es sind sämtliche grossen Medienhäuser Seite an Seite dabei: Ringier, NZZ und die Öffentlich-Rechtlichen.*

Das sieht auf den ersten Blick transparent aus. Aber versucht man, Genaueres zu «Digitalswitzerland» herauszufinden, wird es rasch komplizierter.

Es gibt einerseits ein «Team», andererseits ein «Board» aus «Executive Comittee» und «Steering Comittee» (das Board wiederum ist mit Personen aus Wirtschaft, Forschung und Medien besetzt).

«Digitalswitzerland»: So einen Zusammenschluss hat die Schweiz noch nie erlebt.

«Digitalswitzerland» hat bereits Anfang September mitgeteilt, man sei auf breiter Front aktiv – etwa bei den Themen «Wissenstransfer, Bildung, Start-up-Ökosysteme und politische Rahmenbedingungen». All dies, weil man «die Schweiz zum international führenden digitalen Innovationsstandort gestalten will».

Doch was heisst das konkret? Und wie will man das erreichen? Was meint «Digitalswitzerland», wenn es laut Website (English only) «shape political conditions and regulatory frameworks», sprich, «die politischen Bedingungen und die regulatorischen Rahmenbedingungen formen» will? Und was bedeutet es, dass im «Board» fast ausschliesslich Grossfirmen, Wirtschaftsanwälte, der Wirtschaftsdachverband Economiesuisse und FDP-Politiker zu finden sind?

Dazu soll man nichts erfahren. Jedenfalls möglichst nichts Konkretes. Die TagesWoche hat am 13. Oktober bei «Digitalswitzerland» nachgefragt – mit sieben einfachen Fragen zur Mission. Und zusätzlich um ein vertiefendes Gespräch gebeten.

Die Antwort von «Digitalswitzerland» kommt mehr als zwei Wochen später – am 2. November. Fragen werden in der Antwort keine beantwortet. Ein Gespräch zum Thema könne man leider erst Ende November oder Anfang Dezember führen – nach dem Digitaltag also.

Digitaltag: Das Diktat der Wirtschaft über die Schweizer Politik

«Am 21. November 2017 laden wir Sie in der ganzen Schweiz ein zu erleben, was Digitalisierung für Sie und für unser Land bedeutet», heisst es am ersten Gross-Event von «Digitalswitzerland» – dem Digitaltag.

Der «Hub des Tages» ist, man ahnt es: in Zürich. «Die Bahnhöfe Genf, Lugano und Chur sind weitere Knotenpunkte», heisst es weiter. Auch in Basel gibt es ein paar kleinere Events.

Wir seien, so der PR-Text weiter, «alle Zeugen einer historischen Epoche», was nicht weiter verwundert, gilt das doch für alle Menschen aller Epochen. Viel eher verwundert, dass die Politik so bereitwillig die Arme ausbreitet für einen gigantischen Werbe-Event all der privatwirtschaftlichen «Partner»-Firmen:

«Der Aktionstag steht unter dem Patronat von Bundespräsidentin Doris Leuthard und Bundesrat Johann Schneider-Ammann sowie der ebenso aktiven Teilnahme von Bundesrat Alain Berset.»

Ein «Digitalzug» der SBB fährt von der Westschweiz über Bern–Zürich nach Osten. An Bord: Die CEOs der Konzerne – und ein paar Bundesräte. Journalisten auch. Vermutlich aber nur solche, die einen zurückhaltenden Bericht über das Digital-PR-Reisli abliefern. Der TagesWoche richtet man aus: «Leider ist der Digitalzug komplett besetzt.»

Folgen und Kosten für den Bürger?

Was die Involvierten wollen, findet man auf ihren eigenen Seiten nur verklausuliert. Deutlicher werden sie in Interviews oder in eigenen Texten. «Wir sollten in der Schweiz etwas mutiger und offener für Neues werden, zum Beispiel was die Nutzung von Daten angeht», sagt Bundesrätin Leuthard im PR-Interview der Blick-Gruppe für die Digitaltag-Beilage. Die Amerikaner seien da «viel zupackender».

Ein klarer Hinweis darauf, wo es hinsoll mit dem Schweizer Digitalzug: weniger Regulierung – sogar beim Datenschutz. Die Kontrolle über sensible Daten der Bürger und gar staatlicher Grundprozesse gibt die Schweizer Regierung dabei gerne an Private ab. Bisher, ohne das Volk zu befragen.

Die Economiesuisse schreibt es in ihrem aktuellen Grundsatzpapier «Zukunft digitale Schweiz: Wirtschaft und Gesellschaft weiter denken» am deutlichsten: Der Schweizer Staat, die Politik, die sollen sich nicht einmischen. Die Autoren des Papiers – alle bei «Digitalswitzerland» engagiert – formulieren das in aller Deutlichkeit. Die Digitalisierung stelle viele «Aufgaben des Staates grundsätzlich infrage», er solle sich auf die verbliebenen wenigen Aufgaben konzentrieren.

Und ja nicht regulieren – wichtig sei fortan eine «prinzipienbasierte Regulierung, welche von den Bürgern intuitiv verstanden wird». Wir haben verstanden: Der Bürger der Zukunft à la Economiesuisse spürt zwar noch intuitiv, wenn ihm ein Unrecht geschieht. Aber es gibt keinen Rechtsstaat mehr, der ihm in dieser Situation hilft, weil «Detailregulierungen» sind passé. Noch deutlicher:

«Statt neue Geschäftsmodelle zu regulieren, sollten die bestehenden Anbieter durch Deregulierung fit für den Wettbewerb gemacht werden.» (S. 82)

Die Schweizer Regierung macht derweilen fröhlich mit bei diesem Spiel. Beispiel E-Voting: Von führenden Kryptologen wie Bruce Schneier nach wie vor als schlechte Idee bezeichnet, treibt der Bundesrat das Projekt vorwärts. Eine der technischen Lösungen – für Abstimmungen! – kommt von der Post. Selbstredend macht die Post am Digitaltag mit.

Die Digitalisierung ist keine Naturgewalt. In Wirklichkeit kann eine Gesellschaft die Regeln der Digitalisierung selbst festlegen.

Beispiel elektronische ID: Ebenfalls ein Projekt, das der Bund vorantreibt. Ohne Not ist auch hier vorgesehen, dass Private die offiziellen staatlichen Schweizer Identitätsausweise herstellen. Es sollen «bereits existierende oder sich im Aufbau befindende Systeme, wie etwa die Projekte von Post und SBB sowie Banken und Swisscom, vom Bund anerkannt werden können». All diese Firmen sind beim Digitaltag an vorderster Front mit dabei.

Wer den Digitaltag finanziert und wie teuer das genau ist, das bleibt intransparent. Ein Event dieser Grössenordnung muss eine schöne Stange Geld kosten. Da auch Bund und viele Schweizer Kantone involviert sind, bedeutet das, dass Steuergelder fliessen. Wie viel genau, will man nicht sagen. «Der Digitaltag wird von ‹Digitalswitzerland› und den Partnerorganisationen finanziert», sagt Digitaltag-Sprecher Iso Rechsteiner. Details zu den Kosten gebe man nicht bekannt.

Wie viel auch immer: Man wird die Entwicklung der «Digitalisierung», wie sie von Bund und Grosskonzernen gedacht wird, genau beobachten müssen. Nicht nur an Propaganda-Anlässen, wo sie uns Normalsterblichen gnädigerweise vorführen, «was Digitalisierung für uns und für unser Land bedeutet».

Digitalisierung ja. Aber nicht von der Wirtschaft verordnet

In der Schweiz hat immer noch die Stimmbürgerin das letzte Wort. Zwar wird gerne behauptet, die Digitalisierung sei eine Art Naturgewalt. Nichts, kein Mensch, und (wehe!) keine politische oder gesellschaftliche Regel kann, soll, darf sich ihr in den Weg stellen.

In Wirklichkeit kann eine Gesellschaft die Regeln der Digitalisierung durchaus selbst festlegen. Die Digitalisierung ist voll und ganz gestaltbar. Auch wenn es der heutigen Schweizer Regierung komplett am nötigen Gestaltungswillen fehlt, auch wenn sie alles den Vorstellungen der Banken, Versicherern, Mega-Dienstleistern und der PR-Maschinerie überlässt: Demokratische Digitalisierung ist möglich.

Demokratische Digitalisierung ist angesichts solcher von oben verordneter Mega-Events wie dem Digitaltag sogar dringend nötig. Es braucht eine andere Debatte über die Digitalisierung. Eine, bei der nicht alle wichtigen Medien von vornherein als Partner wohlwollend im Boot sind.

Dann wäre auch eine echte Debatte möglich. Kein oberflächliches Blendwerk,  sondern eine aus und mit der Bevölkerung, von unten. Zum Beispiel über Fragen wie:

  • Wie können Politik und Gesellschaft sicherstellen, dass die Digitalisierung in der Schweiz der Bevölkerung nützt und nicht schadet? So, dass in der Schweiz «Freiheit und Rechte des Volkes» sowie «die gemeinsame Wohlfahrt, die nachhaltige Entwicklung, der innere Zusammenhalt und die kulturelle Vielfalt des Landes» gefördert werden und «für eine möglichst grosse Chancengleichheit unter den Bürgerinnen und Bürgern» gesorgt wird, wie es die Verfassung verlangt?
  • Warum soll man, nur weil irgendeine Firma irgendwo eine praktische App programmiert, den Arbeitnehmerschutz und den sozialen Frieden der Schweiz aufs Spiel setzen und andere Schweizer Firmen in den Ruin treiben? Wenn Economiesuisse explizit fordert, «bestehende Anbieter fit durch Deregulierung machen» zu wollen, heisst das nichts anderes. Wäre es nicht möglich, die praktische App so zu gestalten, dass sie nicht nur den Kunden, sondern auch der Bevölkerung nützt statt schadet? Und warum genau soll Digitalisierung nicht mit gutem Schutz und guten Sozialwerken vereinbar sein?
  • Warum sollen persönliche Daten in sensiblen Bereichen wie Gesundheit, Finanzen, persönliche Informationen, offizielle Identität, Abstimmungen etc. grundsätzlich automatisch digital erfasst und gespeichert werden? Und warum sollen Private die dazugehörige Technologie besitzen, warum sollen sie prinzipiell Zugang zu diesen Daten haben? Ein «Opt-out» soll zwar möglich sein. Aber mit Nachteilen. Und nur bezüglich der Verwendung, nicht der Erfassung der Daten. Müsste Datenfreigabe bei derart sensiblen Bereichen nicht zwingend «Opt-in» sein? Wer kontrolliert, ob eine private Firma nicht trotzdem auf meine Daten zugreift?
  • Warum scheint es, dass das ganze Drama um «Digitalisierung», das seinen öffentlichen einstweiligen Höhepunkt in der privat-staatlichen «Digitaltag»-Show hat, allein der Durchsetzung neoliberaler wirtschaftspolitischer Interessen dient? Braucht die Schweiz wirklich all die geforderten drastischen Schritte, steht sie derart abgehängt, arm und analog da, kurz vor dem wirtschaftlichen Zusammenbruch? Oder würden vielleicht mehr gezielte Investitionen in digitale (Weiter-)Bildung nicht reichen? Für alle Interessierten? Und sind das nicht die Gleichen, die immer gegen höhere Bildungsausgaben sind, die nun den Digitaltag organisieren?

* Korrigendum: In einer ersten Version des Artikels hiess es, auch Tamedia sei bei Digitalswitzerland dabei. Dies trifft nicht mehr zu: Tamedia ist unlängst ausgetreten, wie die «Luzerner Zeitung» berichtete.

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