Zurückgelehnt betrachtet ist am Samstag in der Pause des Super-League-Spiels FC Basel gegen den FC Sion (5:1) Folgendes passiert: Drei Basler Fans schnappten sich eine Fahne des Sittener Anhangs, liefen mit ihr über den Rasen und verbrannten das Textil anschliessend in der Muttenzerkurve. Auf der Gegenseite betraten deswegen aufgebrachte Fans des FC Sion den Rasen, ein Grossteil der Gästefans verliess später den St.-Jakob-Park und lieferte sich Scharmützel mit der Polizei ausserhalb des Stadions.
Schön ist das alles zwar nicht, und das Spiel wurde mit 25-minütiger Verspätung fortgesetzt. Menschen sind aber keine zu Schaden gekommen.
Dem FC Basel fehlt sogar die Grundlage für eine Strafanzeige, sagt Beat Meier, der für die Stadionsicherheit zuständig ist: «Wir können gegen die drei Männer keine Anzeige erstatten, weil kein Schaden vorliegt. Sie haben sich zwar der Stadion-Ordnung widersetzt, aber das ist kein Strafbestand.»
Unklar ist, ob der FC Basel eine allfällige Busse den Verursachern überträgt.
Trotzdem ist der Aufruhr gross, sowohl in den Medien als offensichtlich auch bei den Menschen, wenn man sich zwei Tage danach in den Strassen umhört. «Für den FC Basel bedeutet der Vorfall einen abermaligen Imageschaden, was schlecht ist», sagt Mediensprecherin Andrea Roth, «wir wollen solchen Aktionen keine Plattform bieten.»
Es ist anzunehmen, dass die Swiss Football League (SFL) den FC Basel für den Vorfall büssen wird. Als im letzten Heimspiel der Saison 2016/17 eine grosse Zahl von Fans der Muttenzerkurve den Rasen in friedlicher Absicht betrat, um den scheidenden Präsidenten Bernhard Heusler zu verabschieden, liessen es die Disziplinarrichter bei einer Busse von 15’000 Franken bewenden. Aus Fankreisen wurde daraufhin angeboten, die Busse zu übernehmen, der Verein lehnte dankend ab.
Ob der FCB dieses Mal die drei Fahnenklauer zur Kasse bittet, ist noch unklar. «Bisher haben wir die Kosten einer Busse nie den Verursachern übertragen. Wie das jetzt gehandhabt wird, wissen wir noch nicht», sagt Beat Meier.
Noch sind die Fahnenklauer nicht identifiziert. «Die Polizei hilft uns bei der Identifizierung. In welcher Form ist noch nicht klar», sagt Meier. Dieser Arbeitsschritt sei der mühsamste und zeitaufwendigste in der Aufarbeitung. Immerhin wisse man, dass die drei Männer ein Ticket für den Sektor B3 hatten. Eine Mitarbeiterin des Ordnungsdienstes habe die drei wegen ihrer Kleidung, die auf Zugehörigkeit zur Muttenzerkurve hindeutete, kontrolliert und später erkannt, dass es die drei waren, die auf das Feld gerannt sind. Sind die drei identifiziert, «gibt es drei Jahre Stadionverbot, mindestens», sagt Meier.
Die Liga will Mitte der Woche über weitere Schritte informieren
Dass die drei Fahnenklauer unbehelligt quer über das Spielfeld rennen konnten, führt Meier auf den Zeitpunkt der Aktion zurück: «Wir fahren die Aufmerksamkeit im Sicherheitsdispositiv in der Halbzeitpause herunter. Ganz einfach deswegen, weil in der Vergangenheit in den Pausen kaum etwas passiert ist.»
Der Fall liegt bei der Disziplinarkommission der SFL. Laut Medienchef Philippe Guggisberg prüft die Liga in einem ersten Schritt, ob ein Verfahren eröffnet wird und wenn ja, gegen wen. Mitte der Woche ist mit weiteren Informationen zu rechnen.
Und warum das ganze Theater? Der Fahnenklau kurz erklärt
Ein Banner oder eine Fahne, zum Beispiel aufgehängt am Zaun einer Stadionumrandung oder an der Absperrung eines Sektors, gehört zu den Erkennungsmerkmalen einer Fangruppierung im Fussball. Eine solche Fahne wird gehütet wie der Augapfel, und diese zu klauen, gehört zu den Sitten unter rivalisierenden Fans. Und sich eine Fahne klauen zu lassen, wird somit zur grössten vorstellbaren Schmach. Das galt früher für klassische Kuttenfans genauso wie in der heutigen Szene der Ultra-Fans.
Als demütigend empfinden es solche Fans, wenn beim nächsten Aufeinandertreffen ihre gestohlene Fahne im Block der gegnerischen Fans präsentiert wird wie eine Trophäe, und zwar auf dem Kopf stehend. Noch schlimmer wird es – wie am Samstag in Basel geschehen –, wenn die Fahnenräuber ihr Diebesgut öffentlich verbrennen.
Ihrem Kodex folgend müsste sich eine Fangruppierung nach dem Verlust ihrer Fahne sogar auflösen. Als ehrenhaft gilt in der Ultra-Szene aber auch, eine geklaute Fahne nach der Präsentation im eigenen Block wieder zurückzugeben.
Erst jüngst hatte es in Basel beim Cup-Spiel zwischen den Old Boys und den Berner Young Boys einen Fall von Fahnenklau gegeben. Eine kleine Gruppe von versprengten FCB-Fans ging einer Fahne verlustig, woraufhin es auf der Schützenmatte und nach dem Spiel zu Stress zwischen Basler und Berner Fans sowie den Polizeikräften kam.
Einen der bekannteren Fälle von Fahnenklau kennt Deutschland. 2006 verschwand aus dem Stadion von Borussia Dortmund über Nacht ein überdimensionales Banner, das über der berühmten Südkurve befestigt war. Der Club rief damals eine Sonderkommission Fahne ins Leben, das Textil blieb verschwunden, ehe drei Jahre später Teile davon wieder auftauchten – im Fanblock von Schalke 04. Christoph Kieslich