Der Fall hatte bereits im Vorfeld für viel Wirbel gesorgt. Ende der vergangenen Woche war ein Video im Netz aufgetaucht, das zeigte, wie ein einschlägig bekanntes russisches Anarcho-Künstlerpaar samt ihren drei Kindern aus dem Dachstock eines Hauses an der Wasserstrasse vertrieben wurde – dies mit zum Teil martialischen Methoden. Das russische Paar hatte das Video pünktlich vor Prozessbeginn ins Internet gestellt. Verschiedene Medien sorgten dann für dessen Verbreitung.
Auf den Anklagebänken sassen zehn Bewohnerinnen und Bewohner der Genossenschaftshäuser an der Wasserstrasse, die an der Vertreibung aktiv beteiligt gewesen sein sollten. Ihnen wirft die Staatsanwaltschaft unter anderem Hausfriedensbruch, Raub, Freiheitsberaubung, Entführung und schwere Körperverletzung vor. Der Vertreter der Staatsanwaltschaft wollte die Anklage spontan sogar auf qualifizierten Raub verschärfen. Diese «massive Erschwerung der Anklage» liess Strafgerichtspräsidentin Katharina Giovannone wegen der verspäteten Eingabe aber nicht zu.
Umstrittenes Video als Beweismittel zugelassen
Als Beweismittel zugelassen hat Giovannone aber das umstrittene Video, das die russischen Anarchokünstler mit einer versteckten Kamera aufgenommen hatten – und das sie ins Internet gestellt hatten. Es war ein auf einem USB-Stick gespeichertes Video, das sie ihrem Rechtsvertreter bei einem Treffen in der Basler Markthalle forsch entrissen hatten, wie die Anarcho-Künstler höchstselbst auf einem weiteren Video festhielten.
Alle zehn Verteidiger verlangten, dass das Video nicht als Beweismittel zu verwenden sei. Dies, weil es von den Russen in einem Gemeinschaftsraum der Wasserstrassen-Genossenschaft widerrechtlich aufgenommen worden sei und weil durch die Veröffentlichung eine massive Vorverurteilung in Gang gebracht worden sei – eine Vorverurteilung, die von bestimmten Medien durch die Verbreitung zusätzlich angeheizt worden sei, wie mehrere Anwälte scharf kritisierten.
Die Verteidiger, allen voran Andreas Noll, prangerten die Aufnahme und die Verbreitung des Videos als bewusste und eingeübte Masche des Künstlerpaars an. Das Gericht und die Öffentlichkeit seien Teil einer Inszenierung geworden, die ein faires Ergebnis des Prozesses verunmögliche, sagte er. Ein anderer Anwalt sah sich und das gesamte Gericht von den «Zirkusdirektoren» aus Russland zu «Clowns» degradiert. Noll hat deswegen vorsorglich beim Apellationsgericht eine Beschwerde deponiert.
Gemeinschaftsraum als Intimbereich
Diese vorsorgliche Beschwerde erwies sich aus Sicht der Verteidigung als notwendig, weil die Gerichtspräsidentin das Video als Beweismaterial zuliess. Sie folgte auch der Argumentation der Staatsanwaltschaft, dass das russische Paar den Gemeinschaftsraum nach zehn Monaten Aufenthalt durchaus als ihren Initimbereich habe verstehen können und deshalb die Videoaufnahmen als zulässig zu bewerten seien.
Also wurde das Video abgespielt. Mehrere Male, weil Anwalt Noll verlangte, dass die russischen Sprachsequenzen übersetzt werden sollten. Diesem Ansinnen kam die Gerichtspräsidentin dann spontan nach, weil sie auf eine unbeschäftigte Russisch-Dolmetscherin zurückgreifen konnte.
Die russischen Anarcho-Künstler, die sich als Privatkläger angekündigt hatten, erschienen nämlich nicht – ihren Rechtsvertreter hatten sie nach dem Raub des USB-Sticks bereits verloren. Die persönlichen Aussagen der Russen zum Fall werden also im Prozess keine Rolle spielen.
Übersetzung angezweifelt
Zwischenzeitlich drohte der Prozess dann ins Chaotische zu kippen. Als die Gerichtspräsidentin dem Antrag von Verteidiger Noll, es seien noch weitere Videos der Russen zu zeigen, nicht nachkam, liess dieser sie auf seinem eigenen Computer laufen – umrahmt von mehreren seiner Verteidigerkollegen und den Angeklagten. Mit dieser Demonstration wollte der Anwalt den Nachweis erbringen, dass die Russen ihr Leben über Videos grundsätzlich als anarchische Performance inszenierten.
Und auch die Russisch-Dolmetscherin zeigte Mühe bei der Übersetzung. Eine des Russischen mächtige Frau aus dem Publikum hatte eine Sequenz ganz anders interpretiert als die akkreditierte Dolmetscherin. Sie wurde sodann als Zeugin zugelassen und konnte schliesslich auch die offizielle Übersetzerin von ihrer Version überzeugen.
So bleibt es also mehr oder weniger beim umstrittenen Videobeweis, der theoretisch vom Appellationsgericht als Beschwerdeinstanz noch umgestossen werden könnte. Nur bei einem der Angeklagten muss die Staatsanwaltschaft vor den Plädoyers noch grundsätzlich über die Bücher. Eine Zeugin bestätigte seine Aussage, dass er zum Tatzeitpunkt in einem Gastrobetrieb gearbeitet habe. Alle anderen Angeklagten verweigerten jegliche Aussagen zu ihrer Person und zum Tathergang.