«Staatsmütter» gegen «Staatskinder»

Die Familieninitative, über welche am 24. November abgestimmt wird, ist eine Mogelpackung. Es geht nicht um eine faire und zukunftsgewandte Unterstützung der Familien, sondern um die Verteidigung überholter Rollenmodelle.

Fairness für alle? Von dem in Aussicht gestellten Steuerabzug für alle Betreuenden würden bei einer Annahme der Familieninitiative vor allem die gutsituierten Einverdiener-Paare profitieren. (Bild: GAETAN BALLY/Keystone)

Die Familieninitative, über welche am 24. November abgestimmt wird, ist eine Mogelpackung. Es geht nicht um eine faire und zukunftsgewandte Unterstützung der Familien, sondern um die Verteidigung überholter Rollenmodelle.

«Das Private ist politisch!» Der Slogan der 1968er-Revoluzzer ist aktueller denn je. Allerdings nicht im Sinne der Erfinder, die vor bald 50 Jahren gegen die rückwärts­gewandten Moralvorstellungen ihrer Eltern­ rebellierten.

Nach der Abstimmung über den Familienartikel im März geht es am 24. November bereits zum zweiten Mal in diesem Jahr um die Familie: Mit ihrer Fami­lien­initia­tive for­dert die SVP, dass alle Eltern Steuer­abzüge machen können – also nicht nur erwerbs­tätige Mütter und Väter, die ihre Kinder in einer Krippe fremdbetreuen lassen müssen.

Es geht nicht um Fairness

Das tönt fair. Doch um Fairness geht es den Initianten nicht. Ihre Vorlage ist vielmehr eine Reak­tion auf Neue­rungen in der Familien­besteu­erung, die das Parlament kürzlich beschlossen hat und es Eltern erlaubt, die Kosten für die Fremdbetreuung von der direkten Bundessteuer abzuziehen. Das passt den Gegnern moderner Familien­formen nicht.

Wie schon im Kampf gegen den Familienartikel, der eine verbesserte Vereinbarkeit von Beruf und Familie zum Ziel hatte und am Stadt-Land-Graben scheiterte, dreht sich die Debatte erneut nicht um die Verbesserung der Situation der Eltern, sondern um das «richtige» Familienmodell. Und die SVP, die im Zusammenhang mit Krippen und Tages­schulen gerne von «Staatskindern» spricht, muss sich den Vorwurf gefallen lassen, sich für «Staatsmütter» einzusetzen.

Die Familieninitiatve zielt an den heutigen Verhältnissen und Bedürfnissen vorbei.

Dabei macht sie es sich allzu leicht, indem sie nur von zwei Familienkategorien spricht – von Eltern, die ihre Kinder selber betreuen, und Eltern, die ihre Kinder in Krippen betreuen lassen. Rund zwei Drittel der Familien hierzulande leben aber eine Mischform – zum Beispiel in Patchwork-Familien oder alleinerziehend. Oder sie leben getrennt, sorgen aber trotzdem gemeinsam für ihre Kinder.

Umfrage: Die Familieninitiative der SVP spaltet die Schweiz. Doch geht es wirklich nur um den Steuerabzug? Und wie sieht die Realität der Familien in der Schweiz aus? Helfen Sie uns, es herauzufinden – nehmen Sie sich vier Minuten Zeit für unsere Umfrage.

Wer soll hier im Falle einer Annahme der Familieninitiative den Steuerabzug machen? Alle Betreuenden? Oder nur die Obhutsberechtigten, was wiederum ungerecht gegenüber den Partnern wäre, die sich ebenfalls um den Nachwuchs kümmern.

Wer möchte nicht gerne Steuern sparen?

Die Familieninitiative zielt an den heutigen Verhältnissen und Bedürfnissen vorbei. Trotzdem spricht sich jüngsten Umfragen zufolge eine Mehrheit der Stimmberechtigten für die Vorlage aus. Das überrascht nicht – wer möchte nicht gerne Steuern sparen?

Doch die Familieninitiatve ist eine Mogelpackung. Von den in Aussicht gestellten Ersparnissen würden vor allem gutsituierte Einverdiener-Fami­lien profitieren. Alleinerziehende und Paare, die auf Doppelverdienst und Krippenplätze angewiesen sind, könnten bei einer Annahme der Initiative gar als Verlierer dastehen. Dann nämlich, wenn die neuen Kinder­abzüge kostenneutral durchgesetzt würden – wenn also alles aus demselben Topf bezahlt würde und es weniger Geld für alle gäbe. Das wäre ein familienpolitischer Rückschritt und alles andere als fair.

Lesen Sie mehr zur Familieninitiative in der Wochenausgabe der TagesWoche vom Freitag, 1. November – auf Papier oder in der App der TagesWoche.

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