Basel-Stadt hat in den letzten Jahren viel investiert, um seine Bauten behindertengerecht zu machen. Doch es bleibt noch viel zu tun.
In der letzten Ausgabe der TagesWoche zeichneten Christoph Meury und Sonja Häsler ein eindrückliches Bild der Welt von Rollstuhlfahrenden im öffentlichen Raum. Sie zeigten auf, wie Treppen, Schwellen, fehlende Lifte, Rampen und ein mangelhafter ÖV das Leben behinderter Menschen einschränken.
Es entstand vielleicht der Eindruck, dass in Basel diesbezüglich alles im Argen liege. Das ist jedoch nicht so.
Harter Kampf um Massnahm
Im Grunde genommen ist es recht einfach: Amtshäuser, Läden, Wohnbauten, Bürogebäude, öffentliche Plätze sollten so angepasst sein, dass sie auch für Menschen mit einem Rollstuhl oder mit einer Geh-, Seh- oder Hörbehinderung gut zugänglich sind. Die neue Maxime heisst: hindernisfrei bauen. Und sie gilt nicht nur für Neubauten. Im Fokus stehen auch die vielen älteren Gebäude, denn sie machen einen Grossteil der Infrastruktur aus.
So weit, so gut. Leider hat aber niemand einen Zauberstab, mit welchem sich diese Zielsetzung einfach bewerkstelligen liesse. Daher muss jede bauliche Verbesserung erarbeitet und erkämpft werden.
Und damit beginnen die Probleme. Bauliche Veränderungen lassen sich nicht ohne Weiteres durchsetzen, denn solche Bedürfnisse können Konzeptanpassungen und Mehrkosten zur Folge haben. Was braucht es also, damit diese Anliegen umgesetzt werden?
Vom Schlusslicht zum Vorzeigekanton
Zuerst einmal muss ein genügend berechtigtes Bedürfnis vorhanden sein, damit es zu einer Änderung kommt. Zudem muss das Anliegen stark genug sein, dass neue Gesetze erlassen werden. Ohne eine entsprechende gesetzliche Grundlage ist niemand bereit, Anpassungen für irgendeine Randgruppe vorzunehmen.
In Bezug auf das hindernisfreie Bauen vergingen in Basel viele Jahre, bis der gesellschaftliche Druck so gross war, dass auch die Gesetzgeber aktiv wurden. Erst als die Benachteiligungen behinderter Menschen vermehrt ins Bewusstsein drangen und erkannt wurde, dass die hindernisfreie Bauweise auch angesichts der Überalterung von grossem Nutzen ist, waren die Politiker bereit, die notwendigen gesetzlichen Regelungen zu schaffen.
Da das Bauwesen eine föderalistische Angelegenheit ist, muss aber jeder Kanton selber tätig werden. Basel-Stadt war der letzte Kanton, der die Gesetze anpasste. Mit der Baugesetzrevision von 2001 wurden auch hier diese Vorschriften eingeführt. 13 Jahre sind seither vergangen. Für das Bauwesen eine kurze Zeit, denn ein Gebäude wird nur alle 40 bis 50 Jahre umfassend saniert. Deshalb sind noch lange nicht alle bestehenden Bauten an die neuen Vorschriften angepasst.
Bei vielen Architekten ist der Groschen gefallen
Es braucht aber nicht nur Gesetze, sondern auch spezifische Normen, damit eine solche Anpassung vorgenommen wird. Hier kommt der Schweizerische Ingenieur- und Architektenverein (SIA) ins Spiel, der hierzulande für die wichtigsten Baunormen verantwortlich ist. Der SIA war in dieser Hinsicht leider alles andere als schnell. Über viele Jahrzehnte hinweg verweigerte er sich dieser Thematik. Erst als die entsprechenden Gesetze geschaffen waren, erkannte der SIA, dass er sich damit auseinandersetzen muss.
Seit fünf Jahren gibt es nun eine offizielle SIA-Norm. Seither ist auch bei fast allen Architekten der Groschen gefallen. Hindernisfreies Bauen ist bei den Planern heute ein normaler Standard und fliesst ganz selbstverständlich in jedes grössere Neu- und Umbauprojekt mit ein. Natürlich gibt es auch hier wie überall schwarze Schafe, aber sie werden immer seltener.
Stark verbessert wurden im Kanton Basel-Stadt in den letzten zehn Jahren auch der Vollzug der gesetzlichen Bestimmungen sowie die Beratungsmöglichkeiten. Beides ist wichtig, denn es braucht eine fachliche Kontrolle und Begleitung der Bauprojekte.
Der Kanton hat zudem in den letzten Jahren viel investiert, um seine Bauten den gesellschaftlichen Bedürfnissen anzupassen. Zahlreiche kantonale Gebäude verfügen heute über die notwendigen Strukturen. Viele Strassenzüge sind hindernisfrei. Mit der Schulreform Harmos kommen noch weitere Verbesserungen dazu. Basel-Stadt ist, so lässt sich klar feststellen, in Sachen hindernisfreies Bauen heute gut aufgestellt.
Offene Baustellen
Es gibt aber noch drei Bereiche, wo Menschen mit einer Behinderung in Basel nach wie vor stark eingeschränkt sind. So wurde in der Vergangenheit bei den Tram- und Bushaltestellen zu wenig unternommen. Die Verantwortlichen sind hier in Zugzwang, denn gemäss dem Behindertengleichstellungsgesetz muss das ÖV-Netz bis 2024 angepasst sein. Jetzt muss die grosse Kelle hervorgeholt werden, will man hier den Fahrplan noch einhalten.
Ebenfalls wenig getan hat sich bei bestehenden Wohnhäusern. Hier gibt es immer noch grosse Widerstände. Pensionskassen, Genossenschaften, Private usw. entziehen sich sehr oft dieser gesellschaftlichen Pflicht. Vermutlich ist die Gesetzgebung hier ungenügend. Zurzeit untersucht die Fachhochschule Nordwestschweiz die Situation genauer. Ende 2015 liegen die Ergebnisse vor, und dann können weitere Massnahmen eingeleitet werden.
Am meisten drückt der Schuh aber noch bei der Anpassung älterer Bauten in der Innenstadt. Besonders die kleinen und mittelgrossen Gebäude mit Publikumsverkehr verfügen noch über zahlreiche Hindernisse.
Zum einen ist man hier mit einem Eigentumsrecht konfrontiert, das nur wenig Spielraum zulässt. Zum anderen entscheiden die staatlichen Rechtsorgane und Gerichte meist sehr eigentümerfreundlich und berücksichtigen die soziale Nachhaltigkeit und die gesellschaftlichen Aspekte zu wenig.
Zudem gibt es keine finanziellen Anreize, welche die Eigentümer entlasten. Für vieles können heute im Bauwesen Subventionen beantragt werden, jedoch nicht für Anpassungen zugunsten behinderter und betagter Menschen. Gegenüber anderen Ländern ist die Schweiz hier noch im Verzug.
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*Eric Bertels leitete während 22 Jahren die Fachstelle hindernisfreies Bauen Basel-Stadt von Pro Infirmis. Seit Anfang 2014 führt er in Basel/Riehen ein eigenes Büro zu dieser Thematik; www.ericbertels.ch