Warum das weisse Schaf gehen musste

Der Fall des ehemaligen Dornacher SVP-Präsidenten Tobias Steiger ist mehr als das Scheitern eines Lokalpolitikers. Es offenbart das strategische Dilemma der Rechtspartei vor den Wahlen.

Unerwünscht im Hause SVP: Tobias Steiger musste die Partei verlassen, obwohl er nur tat, was sie verlangt hat.

(Bild: Nils Fisch)

Der Fall des ehemaligen Dornacher SVP-Präsidenten Tobias Steiger ist mehr als das Scheitern eines Lokalpolitikers. Es offenbart das strategische Dilemma der Rechtspartei vor den Wahlen.

Am 5. Juli muss den Journalisten in der Turnhalle von Kerns, Obwalden mulmig zumute gewesen sein. Dort erklärte die SVP-Spitze mit Toni Brunner und Roger Köppel, wen sie im Wahlkampf ins Fadenkreuz nehmen wollen: Asylsuchende. Wieder einmal.

Unter Gejohle, so schildert es der «Tages-Anzeiger», beauftragte Parteichef Toni Brunner seine Leute, in jeder Gemeinde Widerstand zu leisten, wo ein Asylheim aufgemacht werden soll. «Scheinasylanten», «Überfremdung», «Asylchaos» – die altbewährten Kampfbegriffe der SVP wurden in die Halle geschleudert und kehrten als begeistertes Echo auf die Bühne zurück.

Am 10. Juli kam heraus, dass Tobias Steiger, der es zum Ortspräsidenten der SVP Dornach gebracht hatte, dieser Aufforderung Folge geleistet hat. Steiger wollte gemeinsam mit Pegida-Anhängern eine Protestaktion in Arlesheim lancieren, wo dieser Tage Asylsuchende in einer Zivilschutzanlage untergebracht werden.

Einige Tage und kritische Berichte später ist Steiger Geschichte. Aus dem Amt gedrängt von seiner eigenen Partei. Dabei hat er doch genau das gemacht, was von ihm verlangt worden ist.

Um zu verstehen, warum Steiger das Richtige tat und trotzdem das Falsche, muss man die komplizierte Situation seiner (Ex-)Partei betrachten.

Volkspartei unter Druck

Die Prognosen für die SVP sind eher schlecht. Würde jetzt gewählt, würde die Volkspartei laut SRG-Umfrage Wähleranteile verlieren.

Für die erfolgsverwöhnten Rechtskonservativen ist das eine gefährliche Situation. Eine Niederlage könnte einen Richtungsstreit auslösen: eine Debatte darüber, ob die Zeit von Übervater Christoph Blocher langsam abgelaufen ist.

Dass die SVP wieder mit schrillen und aggressiven Tönen auf Flüchtlinge losgeht, ist Ausdruck ihrer Nervosität. Die Annahme der Masseneinwanderungsinitiative hat der Partei geschadet, weil sie die SVP in die Defensive gedrückt hat. Der Rückhalt in der Wirtschaft schwindet, bereits haben sich die Banken von der stärksten Schweizer Partei losgesagt. Denn plausible Vorschläge, wie die Schweiz eine Lösung mit der EU finden kann, welche die Volkswirtschaft nicht beschädigt, kann die SVP nicht liefern.

Selbst die eigene Klientel verstand nicht, worum es bei Marignano genau geht. 

Besorgniserregend muss für die SVP die bisherige Resonanz auf ihre deklarierten grossen Wahlkampfthemen sein: die Beschwörung der Schlacht von Marignano (1515), die nach Deutung der SVP-Strategen die «Geburtsstunde der Schweizer Neutralität» gewesen sei, und der Angriff auf völkerrechtliche Verträge.

Beides sind Lieblingsprojekte der Intelligenzija der Partei. BaZ-Chefredaktor Markus Somm und «Weltwoche»-Chef Roger Köppel schreiben sich die Finger wund, veröffentlichen staatsrechtliche Deklarationen und historische Ableitungen zu Ereignissen, die rettungslos in der Nebelsuppe der Geschichte abgesoffen sind. Die Debatten wirkten konstruiert und abgehoben. Selbst die eigene Klientel verstand nicht, worum es genau geht. 

SVP-Politik muss auch nach dem fünften Bier noch formulierbar sein.

Ein kapitaler strategischer Fehler der Parteileitung: SVP-Politik muss auch nach dem fünften Bier noch formulierbar sein. «Scheinasylant» bringt man da noch raus, Völkerrecht zu erklären, fällt schwer. Und die politische Strategie muss sich in Bilder übersetzen lassen: Von Flüchtlingen kann man sich eine Vorstellung machen, die sieht man jeden Tag in der «Tagesschau», wackere Eidgenossen oder schemenhafte «fremde Richter» nicht.

Um trotz Pegida und neuen rechten Splittergruppen wie etwa der Direktdemokratischen Partei Schweiz (DPS), der auch Steiger zugelaufen ist, von Rechtsaussen gehört zu werden, dreht die SVP in der Asyldebatte erneut die Lautstärke auf. Obwohl die neuste Asylinitiative noch im Frühjahr zurück in die Schublade wanderte, da sie faktisch die Abschaffung des hiesigen Asylwesens herbeiführen würde. Mittlerweile droht die Partei offen damit, die Initiative zu reaktivieren.

Die Partei fürchtet nichts mehr, als dass ihre Forderungen in die Tat umgesetzt werden.

Das erneute Trommeln gegen Flüchtlinge birgt für die SVP aber auch Gefahren. Bürgerliche Wähler würden verschreckt, wenn der fremdenfeindliche Mob unter SVP-Führung durch Arlesheim zöge und die Trennlinien zu offen rassistischen Positionen verschwänden. Die Partei fürchtet nichts mehr, als dass ihre Forderungen in die Tat umgesetzt werden.

Toni Brunners Aufforderung, Widerstand zu leisten, war keine zur Tat, sondern eine, sich zu erregen. Das hat Tobias Steiger nicht begriffen. Hätte er sich nur öffentlich empört, wäre er vermutlich noch im Amt.

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