Was wir von den Achtziger-Unruhen lernen können

Die Erfahrungen der 1980er-Jahre zeigen: Polizeigewalt gegen Jugendliche bringt nichts. Freiräume brauchen Dialog statt Konfrontation.

Demo der Alten Stadtgärtner im April 1989. (Bild: Keystone)

Die Erfahrungen der 1980er-Jahre zeigen: Polizeigewalt gegen Jugendliche bringt nichts. Freiräume brauchen Dialog statt Konfrontation.

Ich bin davon überzeugt, dass die Jugendunruhen der 1980er-Jahre ein Lehrstück für die Gesellschaft sind. Ab den 1990ern gab es deutlich mehr Freiräume für Jugendliche, unzählige Zwischennutzungen verliefen ­friedlich, Jugendhäuser öffneten sich für neue Ideen und Szenen – in ­einer Form, die vorher undenkbar ­gewesen wäre.

Auch die Polizei und die Politik spielten eine andere Rolle. Es wurde nicht mehr so schnell und heftig eingegriffen. Deeskalation war kein Fremdwort mehr. Auf diesem Boden konnten sich friedliche Jugendkulturen entfalten, die offener, dialogbereiter und weniger zähneknirschend radikal waren als jene der 1980er-Jahre.

Als Präsident und Vorstandsmitglied von JuAr Basel kann ich seit acht Jahren eine erfreulich kreative Fülle beobachten, eine Jugend, die mit Freiheiten immer öfter produktiv und positiv umgehen kann – solange das Umfeld stimmt.

Die «Eiszeit» der 1980er-Jahre

Deshalb erschrak ich über die Art und Weise der Räumung der Favela vor der Art Basel, die sich kürzlich ereignet hat. Deshalb protestierte ich letzte Woche öffentlich, als ein Jugendarbeiter der JuAr Basel von einem Polizisten mit Pfefferspray eingedeckt wurde. Weil er versucht hatte, ein legales Volksfest vor einem Polizeieinsatz zu bewahren, der eigentlich einer illegalen Demo galt, die teilweise alles andere als friedlich verlaufen war.

Diese Demo endete beim St.-Johanns-Park, dem symbolträchtigen ehemaligen Standort der Alten Stadtgärtnerei, wo gerade unser Festival «Pärkli Jam» stattfand. Die Demonstration stellte klar eine Reaktion auf die Favela-Räumung dar, einfach auf der nächsten Eskalationsstufe.

Dieses ­Modell aus den Achtzigern kenne ich – aus eigener Erfahrung – nur allzu gut. Ich will die sprichwörtliche «Eiszeit» jener Tage nicht zurückhaben, denn der Preis, den die ganze Gesellschaft für eine derartige Polarisierung bezahlt, ist am Ende einfach zu hoch.

Der Preis, den wir für eine Eskalation zahlen, ist zu hoch.

1977 war ich zwölf Jahre alt und las Magazine wie «Musikexpress» oder «Sounds». Eine heftige neue Soundwelle spaltete die Redaktionen und die Leserschaft dieser Magazine. Die einen sahen in Punk und New Wave das neue Evangelium des Rock, die anderen eine primitive, zynische, tendenziell gefährliche Ausschweifung.

Bei uns Jungen weckte die Botschaft von der neuen wilden Musik Neugier. Ich zog also mit meinem Schulkollegen Joachim in einen typischen Plattenladen der späten Seventies. Wir fragten den langhaarigen Verkäufer, der seine Jugendlichkeit, er war wohl so 25 Jahre alt, hinter einem Bart versteckte, nach Musik von den Sex Pistols – jenen vordersten Bannerträgern des Punks.

Seine Reaktion: Er drohte uns Ohrfeigen an, obwohl er wie ein Friede-Freude-Eierkuchen-Hippie aussah – und warf uns aus dem Geschäft. Wir durften feststellen: Punk polarisiert. Jetzt waren wir erst recht interessiert.

Punk war in Basel angekommen

1980 hatten wir kurze Haare und trugen Lederjacken. Der Punk-Stil war auf den Basler Strassen angekommen. Wir tranken Bier und benahmen uns rüpelhaft, auch untereinander. Einige von uns kamen aus sogenannten ­«guten» Häusern, einige aus Erziehungsanstalten. Wir fanden unser Teenager-Glück auf der Strasse. Und wir betrachteten die Gesellschaft als verlogen und heuchlerisch. Wir wollten ihnen unsere Wahrheit in die Gehörgänge brüllen. Laut.

Zeitweise hatte die Punkszene sogar im Hirscheneck Hausverbot.

Deshalb hatte die Punkszene sogar in der alternativen Genossenschaftsbeiz Hirscheneck zeitweise Hausverbot. Auf der Strasse wurden wir von Hard-Rock-Fans verprügelt. Aus vielen, komplexen Motiven, die ich hier – aus Platzgründen – nicht ausführen kann, betrachteten wir uns als ver­lorene Generation.

Dann kam der Frühling. Und mit ihm die Wut. Urplötzlich war eine neue Jugendbewegung entstanden. In ganz Europa. Sie bestand aus jungen Enttäuschten, die in der damaligen Gesellschaft keine Heimat zu finden glaubten. Die Punk-Szene war mit von der Partie.

Wir sahen uns als Tauwetter

Am 1. Mai 1980 war Englands Queen in Basel. Sie besuchte die Gartenausstellung «Grün 80». Wie auf Knopfdruck ging es los. Eine erste Demo, an der etwa 150 Leute teilnahmen, erschütterte die Stadt. Dann ging es Schlag auf Schlag. Am 23. Juni waren es schon über 200 Personen, die das alte Gaswerk besetzen wollten.

Die jüngsten Demonstrierenden waren 14 Jahre alt, die ältesten 28. Die Polizei reagierte massiv und mit dem ganzen Arsenal: Tränengas, Gummischrot, Wasserwerfer. Viele wurden an diesem Abend erstmals verhaftet. Die Polizi­sten behandelten die Verhafteten streng, aus Hilflosigkeit, wie ich heute denke, und weil sie uns dazu bringen wollten, mit dem Krawall aufzuhören.

Doch das nützte nichts. Es folgte Demo auf Demo. Häuser wurden besetzt. Die Erwachsenen waren empört. Wir seien «von Moskau gesteuert», hiess es. Wir hielten dagegen, ­denn wir betrachteten die gesellschaftlichen Verhältnisse damals als «Eiszeit» – und uns selber als Tauwetter. Unglaublich, wie unschuldig diese Sprache heute klingt.

So ging es weiter. Bis am 14. Februar 1981 das alte Postgebäude an der Hochstrasse besetzt und zum Autonomen Jugendzentrum (AJZ) erklärt wurde. Dieser Ort polarisierte die Stadt in einem fast neurotischen Ausmass. Ich war 16, meine Punkkolleginnen und -kollegen hatten zwischen 14 und höchstens 20 Jahren auf dem Buckel. Wir waren fast noch Kinder. Und gehörten plötzlich zu einem Personenkreis, der von vielen Erwachsenen als verbrecherisch, ja terroristisch eingestuft wurde. Erwachsene Männer machten Jagd auf uns. Wie so viele aus der Szene wurde auch ich eines Nachmittags auf offener Strasse verprügelt. Von vier kräftigen Erwachsenen.

Eltern demonstrierten mit

Je heftiger die Repression wurde, desto heftiger reagierten die Jungen. Am 3. Mai kam es auf der Peter-Merian-Brücke vor dem AJZ zu einer Strassenschlacht gegen sogenannte Rechtsextreme. In Wirklichkeit waren das vor allem Jugendliche in unserem Alter, die Hard Rock hörten und Jeansjacken trugen. Die Polizei liess die Angreifer gewähren.

Am 5. Mai wurde das AJZ geräumt. Die Reaktion waren Hausbesetzungen und immer härtere Demos, an denen teilweise Tausende teilnahmen. Polizei, Demonstrantinnen und Demonstranten – sowie die erwähnten «Rechtsextremen» – gingen aufeinander los. Das Resultat: Sachbeschädigungen, Verletzte, niemand versuchte zu deeskalieren. Nach Monaten der Gewalt waren es nicht die Behörden, die ein bisschen Frieden auf die Stras­se brachten, sondern besorgte Eltern, die plötzlich an den Demos mitliefen.

Es wäre fatal, wenn sich die Fronten erneut verhärten würden.

In der Alten Stadtgärtnerei, die ab 1986 als legale Zwischennutzung von einer alternativen Szene bezogen und später besetzt wurde, war die Atmosphäre schon viel freier und freundlicher. Interessant ist jedoch, dass am 21. Juni 1988, unmittelbar nach der Räumung der «Stadtgzi», der alte Stras­senkampf wieder aufflammte. Wieder ging der Staat mit aller Härte vor, wieder wurden Übergriffe durch junge Schlägergruppen auf Demonstrierende von der Polizei geduldet. Dies wurde mir gerade letzte Woche von einem damaligen Mitglied einer solchen Gruppe einmal mehr bestätigt.

Diesmal währte der Schrecken ­weniger lange, die Stimmung war anders, weniger radikal als im AJZ. Es folgte eine neue, produk­tive Offenheit, die Jugendlichen und Underground-Szenen mehr Freiräume bot. Es wäre fatal, wenn sich die Fronten zwischen Jungen und Erwachsenen erneut verhärten würden. Das müssten wir Erwachsenen aus den Jugendunruhen der 1980er-Jahre gelernt haben.

Artikelgeschichte

Erschienen in der gedruckten TagesWoche vom 05.07.13

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