Gregor Gysi hat die Autonomieregion Irakisch-Kurdistan und Syrisch-Kurdistan besucht. Er hat mit Politikern gesprochen und sich Flüchtlingslager angeschaut. Der Vorsitzende der Linksfraktion fordert eine politische Strategie im Kampf gegen den IS, «Waffen zu liefern und Bomben zu werfen» reiche nicht.
Diese Frage hat seit Monaten die Öffentlichkeit beschäftigt. Ich habe mich vor einigen Tagen in Bagdad, in der Autonomieregion Irakisch-Kurdistan und in Syrisch-Kurdistan aufgehalten und dabei Gespräche mit Politikern geführt. Das kann hilfreich sein, um das eigene Bild von der Konfliktlage zu konkretisieren.
Nur um ein Beispiel anzuführen: In den kurdischen Gebieten des Irak lebte vor den Flüchtlingswellen eine Bevölkerung von fünf Millionen Menschen. Inzwischen sind über eine Million Flüchtlinge dazugekommen. Das alles sind Dinge, die man auch in Medien lesen kann. Aber wenn man Flüchtlingslager besucht, wenn man zudem gesehen hat, wie Menschen in provisorischen Flüchtlingsunterkünften leben müssen, hoffend, dass bis zum Wintereinbruch noch winterfeste Unterkünfte zur Verfügung stehen, dann liest man derartige Zahlen anders.
Die Kurden verdienen unseren Respekt, unsere Sympathie. Was der Irak vor allem benötigt, ist humanitäre Hilfe.
(mi) Gregor Gysi traf heute in Bagdad mit dem irakischen Staatspräsidenten, Fuad Masum, zu einem Gespräch zusammen. pic.twitter.com/TTSeuowr9g
— Gregor Gysi (@GregorGysi) 23. November 2014
Meine Gesprächspartner gehörten zum Teil zu jenen Parteien, die auch das Problem ausmachen. Die US-Intervention im Irak hat zu einer neuen Verfassung geführt, in der der Zentralstaat schwach und ethno-konfessionelle Gruppierungen stark werden. Um die Ressourcen des Staates konkurrieren ethno-konfessionelle Gemeinschaften. Verschärft wurde diese Situation durch die verfehlte autoritäre Politik des letzten Premiers Nouri al-Maliki, die Sunniten und ehemalige Baath-Partei-Mitglieder ausgrenzte.
Diese Ausgrenzungspraktiken im Irak haben zu Neutralität oder gar zur Kooperation der Betroffenen mit dem IS beigetragen.
Die Baath-Partei war die Partei von Saddam Hussein, aber die einfachen Mitglieder wurden verfolgt, obwohl sie keine Verbrechen begangen hatten. Diese Ausgrenzungspraktiken haben zu Neutralität oder gar zur Kooperation der Betroffenen mit dem IS beigetragen. Allerdings kann die Bedrohung durch den IS auch dazu führen, dass die bisherigen Akteure über ihren Beitrag zur Schwäche des Staates nachdenken und sich korrigieren.
Dafür gibt es vage Hinweise. So gab es so etwas wie ein «symbolisches Einlenken» im Budget- und Ölkonflikt zwischen Bagdad und dem Nordirak. Zudem wird diskutiert, inwiefern die Politik gegen Baathparteimitglieder nicht korrigiert werden muss. Natürlich gibt es für alles, was für ein wenig Optimismus Anlass liefert, auch etwas anderes, das es in Frage stellt. So habe ich registriert, dass Bagdad sich darüber entrüstet, dass der kurdische Beitrag zur Flüchtlingshilfe auch im Ausland gewürdigt wird, aber dass natürlich ebenso viele Flüchtlinge auch in anderen Landesteilen Hilfe benötigen und bekommen, was im Ausland keine entsprechende Würdigung erfahre. Dieses Beispiel zeigt, wie viel Misstrauen im Verhältnis der ethno-konfessionellen Gruppen zueinander besteht.
Eine Chance wird es nur geben, wenn sich ein Interesse am gemeinsamen Staat politisch Geltung verschafft, was Partikularismen zurückdrängt. Dazu muss auch der Westen, einschliesslich der Linken, eine Strategie entwickeln, die nicht nur militärisch sein kann. Die Frage wäre, wie man Strukturen und politische Akteure stärken kann, die quer zu den partikularen Interessen stehen.
Die Kriegsökonomie muss trockengelegt werden.
Schliesslich muss man verstehen, was der IS ist. Er bildete sich aus der al-Qaida, die ursprünglich in Afghanistan von den USA gegen die Sowjetunion gegründet wurde. Sie verfügt vor allem über ökonomische, organisatorische und militärische Fachleute sowie entsprechende ökonomische Ressourcen, die aus Ölverkäufen und Menschenhandel resultieren.
Aus vielen Staaten, (z.B. Katar und Saudi-Arabien) erhielt er unbeschreiblich viel Geld. Auch hier muss sich der Westen klarmachen, dass die Bekämpfung des IS keine reine Militärangelegenheit ist. Leuten, die spenden, müssen die Konten gesperrt werden. Die Kriegsökonomie muss trockengelegt werden. Öl, auch das Öl des IS, braucht Käufer. Eine ökonomische Blockade des IS kann aber nur erreicht werden, wenn die Abnehmer und Zulieferer dieser Organisation ernsthafte ökonomische Alternativen haben.
Schliesslich muss der Westen sein Verhältnis zu zweifelhaften Verbündeten klären. Die Türkei blockiert immer wieder Hilfslieferungen in die syrischen Kurdengebiete, hält dort ihre Grenzübergänge geschlossen und öffnet ihre Grenzen für Dschihadisten.
Waffen zu liefern und Bomben zu werfen, kann eine politische Strategie nicht ersetzen.
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Mehr von der Reise von Gregor Gysi auf der Website von «Die Linke».