Wir brauchen mehr Verweiblichung

Frauen – und mit ihnen viele Männer – gehen auf die Strasse. Die Bewegung heisst Women’s March. Es ist auch höchste Zeit, dass sich etwas bewegt. Von den Frauen können Männer nämlich viel lernen.

«Die Zukunft ist weiblich»: Eindrücke vom women's strike am Weltfrauentag, 8. März 2017, in New York.

(Bild: Dina Litovsky/Redux/laif)

Frauen – und mit ihnen viele Männer – gehen auf die Strasse. Die Bewegung heisst Women’s March. Es ist auch höchste Zeit, dass sich etwas bewegt. Von den Frauen können Männer nämlich viel lernen.

Frauen haben es wahrlich nicht leicht. Man muss fast froh sein, wenn man keine ist. Frau-Sein bringt – wir Männer haben das über die Jahrhunderte so eingerichtet – noch immer viel mehr Nach- als Vorteile. Ausnahmen bestätigen höchstens die Regel, um die Realität ist es wie folgt bestellt:

Wenn eine Frau mit einem Mann zusammenlebt, ist die Gefahr, dass sie sein Opfer wird, mindestens drei Mal so hoch, als dass er zu ihrem Opfer wird. 2014 waren drei Viertel der polizeilich erfassten 8971 Opfer physischer und/oder sexueller Gewalt in der Schweiz Frauen oder Mädchen. Eine Studie der Schweizer Opferbefragung hat zudem gezeigt, dass nur rund ein Fünftel der Straftaten im häuslichen Bereich überhaupt zur Anzeige gelangt.

Das ist nur die Situation im Heim und am Herd. Draussen ist es nicht viel weniger beelendend. Frauen verdienen weniger, machen auch dann, wenn sie arbeiten, die meiste Hausarbeit, verzichten in Paarbeziehungen eher auf eine berufliche Karriere und haben im Geschäftsleben die Arschkarte auf Vorrat. Die Schweiz leistet sich den sackteuren Brain-Drain von über 50’000 studierten Frauen, die im Haushalt statt in der Berufswelt arbeiten, während sie gleichzeitig über Fachkräftemangel klönt.

Eindrücke vom women's strike am Weltfrauentag, 8. März 2017, in New York.

Anfangen muss man im Kleinen. Das ist realistischer. Und mit kleinen Veränderungen liesse sich womöglich auch manch grösseres Problem lösen.

Denn die Ungleichheiten im Verhalten in patriarchalen Gesellschaften zwischen Mann und Frau sind längst bestens erforscht. Soziolinguisten (Sprachforscher, die den Gebrauch der Sprache in sozialen, politischen kulturellen Kontexten analysieren) haben schon vor Jahrzehnten umfangreiche Studien über das Verhalten der Geschlechter in Gesprächssituationen gemacht. Es hat sich bloss noch kaum jemand die Mühe gemacht, daraus etwas zu lernen.

Einige grundlegende Erkenntnisse der soziolinguistischen Forschung, denen man so und ähnlich immer wieder begegnet:

  • Frauen legen in Konversationen Wert darauf, dass Gesprächspartner abwechselnd sprechen. Sie fördern dieses Verhalten auch gezielt in Gesprächen, etwa durch den Einsatz von Schlüsselworten und kurzen Rückfragen. Männer hingegen tendieren im Gegensatz zu Frauen dazu, an diesen Schlüsselstellen still zu bleiben – dies ganz besonders in Gesprächen mit Frauen. Probleme, Schweigen und Unterbrechungen sind programmiert.*
  • In gemischtgeschlechtlichen Gruppen wechseln Männer in Gesprächen sehr viel öfter das Thema.** Ausserdem unterbrechen Männer Frauen gerne systematisch und können so Gespräche dominieren – ein Verhalten, das Erwachsene so sonst nur gegenüber Kindern an den Tag legen.***
  • Diverse Studien haben gezeigt, dass Unterbrechungen und gleichzeitiges Sprechen in gleichgeschlechtlichen Gruppen ungefähr gleich häufig vorkommen. In gemischtgeschlechtlichen Gruppen verwandeln sich die meisten Männer in Unterbrecher.
  • In Schulklassen mit männlicher Lehrperson und überwiegend männlichen Schülern sprechen die Schüler mehr als zweieinhalb mal so viel wie die Schülerinnen. Ist die Lehrperson eine Frau, holen Schülerinnen massiv auf. In jeder der in der Studie untersuchten 24 Schulklassen – egal, ob sie aus mehr Schülern oder Schülerinnen bestand –, haben die männlichen Schüler den Unterricht dominiert.****
  • Das beschriebene Verhalten in gemischtgeschlechtlichen Gruppen trifft weder auf alle Individuen zu, noch ist es rein naturgegeben. Es ist – man kann es nicht genug betonen – auch ein Abbild der Kulturen, in denen Dialoge zwischen Mann und Frau stattfinden.*****

Das wiederum bedeutet: Es müsste schon im alltäglichen Gespräch zwischen Männern und Frauen nicht alles so sein, wie es ist. Männer könnten besser zuhören und müssten Frauen nicht so oft ins Wort fallen, wie sie dies – Studie um Studie belegt es – tun.

Einfach ist auch das nicht. Aber hier könnte man anfangen, etwas zu verändern. Wir verstehen eigentlich gut, was da läuft. Man(n) müsste nur wollen. Schon nur, indem man das eigene Kommunikationsverhalten reflektiert. Oder – zum Beispiel in Teamsitzungen – die Sache mit der Kommunikation thematisiert.

Mann trägt Pussy-Hat: Eindrücke vom women's strike am Weltfrauentag, 8. März 2017, in New York.

Für die, die längst «Gender-Wahn» schreien (eine Wortkreation, die übrigens einzig und allein von Leuten verwendet wird, die an Gender-Wahn leiden – sonst hat den niemand), sei an dieser Stelle gerne noch einmal betont: Mann würde mit etwas Verweiblichung nicht zur Frau werden. Mann- oder Frau-Sein ist nicht mit männlichen und weiblichen sozialen Gepflogenheiten zu verwechseln. Das machen höchstens die, die ängstlich auf ihren imaginären Planeten Mars oder Venus hocken bleiben.

__
* DeFrancisco, Victoria (1991). «The sound of silence: how men silence women in marital relationships.» Discourse and Society 2 (4): 413-24.

** Fishman, Pamela. (1980). «Interactional shitwork.» Heresies 2: 99-101.

*** Zimmerman, Don and West, Candace. (1975) «Sex roles, interruptions and silences in conversation.» In Thorne, Barrie and Henly, Nancy (eds.) Language and Sex: Difference and Dominance: 105-29. Rowley, Massachusetts: Newbury.

**** Krupnick, Catherine. «Women and Men in the Classroom: Inequality and Its Remedies.» On Teaching and Learning 1.

***** Scherzer, Joel. 1987. «A diversity of voices: men’s and women’s speech in ethnographic perspective.» Language, Gender, and Sex in Comparative Perspective. ed. Philips, Susan U.; Steele, Susan; and Tanz, Christine. 95-120. Cambridge University Press.

Nächster Artikel