Doppelspurigkeiten, Zuständigkeitsprobleme, mangelnde Kontrollen: Punkto Tagesschulen wurden in vielen Kantonen die Hausaufgaben nicht gemacht. Das rächt sich – zum Beispiel im Baselbiet.
Schlüsselkind. Fiel dieses Wort, überkam uns Primarschüler jeweils ein Unbehagen. Kinder, die nach Schulschluss ohne elterliche Betreuung waren und den Hausschlüssel (tatsächlich oft sichtbar) am Hals trugen: Sie waren noch selten damals in den frühen 1970er-Jahren, als Scheidung ein Sakrileg war und vor allem «Gastarbeiter»-Paare auf Doppelverdienst angewiesen waren.
Die klassische Familie mit einem Ernährervater und einer Mutter am Herd war nicht nur die ideale, sondern auch die meist gelebte Lebensform. Tagesschule? Ein Fremdwort. Ausserfamiliäre Erziehung? Ein Tabu.
Diese Zeiten sind glücklicherweise vorbei – auch wenn es politische Vorstösse für eine bessere Vereinbarkeit von Beruf und Familie noch immer schwer haben, wie die Ablehnung des Familienartikels vor einem Jahr zeigte. Heute werden Alleinerziehende, die ihre Kinder in Krippen oder Tagesschulen schicken, nicht mehr als «Rabenmütter» oder «Rabenväter» beschimpft. Und es gehört zum guten Ton, Familie und Beruf unter einen Hut zu kriegen. Laut einer Nationalfondsstudie lebt nur noch eine Minderheit von knapp 30 Prozent das klassische Familien- und Rollenmodell.
Zu lange hat der Kanton die Gemeinden wursteln lassen.
Demgegenüber steht ein krasser Mangel an familienergänzenden Angeboten. Bildungsexperten gehen davon aus, dass rund 60 Prozent der Eltern allein in der Nordwestschweiz einen Bedarf an Betreuungsplätzen für ihre Kinder haben – doch nur gerade für 11 Prozent der Kinder im Vorschulalter gibt es hierzulande Krippenplätze, und nur jedes zehnte Kind findet Aufnahme in einer Tagesschule. Ausserdem sind die Kosten je nach Standort sehr hoch, was dazu führt, dass sich nur gut verdienende Eltern einen Platz leisten können.
Die EU empfiehlt ihren Staaten, für einen Drittel aller Schüler Angebote mit Tagesstrukturen anzubieten. Die nordischen Staaten oder Frankreich sind diesem Ziel nahe. Ganz anders die Schweiz, hier hinken viele Kantone der gesellschaftlichen Realität hinterher.
Etwa das Baselbiet, das schweizweit zu den Schlusslichtern gehört. Zu lange hat der Kanton die Gemeinden wursteln lassen. Mangelnde Kontrolle, Zuständigkeitsprobleme, organisatorischer Wirrwarr sind die Folge. Ein neues Gesetz zur familienergänzenden Kinderbetreuung soll es nun richten.
Besser gemacht hat es Basel-Stadt. Seit Jahren setzt der Stadtkanton auf einen geregelten Ausbau des Betreuungsangebots. Mit Erfolg: Mittlerweile hat ein Viertel aller Kinder und Schüler Zugang zu Schulen mit Tagesstrukturen. Und in den nächsten zehn Jahren soll diese Zahl gar auf 60 Prozent steigen. So sieht innovative Familienpolitik aus.