Zwei tote Kinder und ein Sündenbock

Die Kindes- und Erwachsenenschutzbehörde (Kesb) sei schuld am Tod von zwei Kindern, das kolportierten einige Zeitungen. Das ist zynisch und absurd. Die Spekulationen verschlimmern die Situation nur unnötig.

Die Kesb stehen seit ihrer Einführung in der Kritik. Der aktuelle Fall verschärft die Misstöne gegen die Behörde weiter. (Bild: Hans-Jörg Walter)

Die Kindes- und Erwachsenenschutzbehörde (Kesb) sei schuld am Tod von zwei Kindern, das kolportierten einige Zeitungen. Das ist zynisch und absurd. Die Spekulationen verschlimmern die Situation nur unnötig.

Polizeischutz für Behördenangestellte, Wutbürger und eine aufgebrachte Meute von Journalisten. Nach dem erschütternden Drama von Flaach, bei dem eine Mutter ihre zwei Kinder tötete, herrscht ein medialer Ausnahmezustand. Im Minutentakt wechseln sich Mutmassungen und unhinterfragte Wortmeldungen. So furchtbar die Tat, so grotesk die Reaktion der Medien, die darüber berichten.

Die Fakten des Dramas sind schnell erzählt: Eine Mutter in der Zürcher Gemeinde Flaach tötete am 1. Januar ihre zweijährige Tochter und den fünfjährigen Sohn, das gestand sie am Montag gegenüber den Ermittlungsbehörden. Die Kinder waren seit November in einem Heim, die Kindes- und Erwachsenenschutzbehörde (Kesb) Winterthur-Andelfingen hatte eine «Kindeswohlgefährdung» festgestellt und verfügte einen Kindesentzug.

Über die Festtage durften die Kinder nach Hause, dann schrieb die Mutter mit ihrer Anwältin eine Beschwerde an den Bezirksrat Winterthur und die Kesb, die Kinder sollten nicht zurück ins Heim. Am 31. Dezember wies der Bezirksrat die Beschwerde ab. Für die Mutter soll das der Anlass gewesen sein, ihre beiden Kinder zu töten – so sagen es die Mutter, deren Anwältin und Angehörige.

Journalisten betreiben Kesb-Bashing

«Die Kesb treibt Mutter und Kinder in den Tod», sagte der Grossvater der verstorbenen Kinder vor den Medien. Und weiter: Die Mutter habe sich am Ende «als die Einzige herausgestellt, die ihre Versprechen einhielt. Die Kinder müssen nie mehr ins Heim.»

Dass die Angehörigen verbittert sind und sich zu solchen Aussagen hinreissen lassen, ist bis zu einem gewissen Grade nachvollziehbar. Dass eine Zeitung den Satz als Schlusspointe platziert, ist hingegen hochgradig zynisch.

Seit bald zwei Jahren gibt es die Kesb. Und die Behörde steht seit der Einführung in der Kritik. Vielleicht ist das der Grund, weshalb Medienschaffende auch jetzt in diese Kerbe schlagen und ins Kesb-Bashing verfallen. Einzelne Zeitungen verteidigen zwar die Behörde, eine Vielzahl an Artikeln wirft aber ein negatives Licht auf die Kesb.

Die Story muss weitergehen

Jedesmal wenn die Behörde am Pranger steht, ist nur ein Teil der Geschichte zu hören: die Geschichte der empörten Angehörigen, die gegen die Behörde wettern. Denn die Kesb dürfen ihre Sicht der Dinge wegen dem Schutz der Privatsphäre der Angehörigen nicht erklären.

Ein Blatt, das einen Kesb-Fall erzählt, kann also meistens nur eine Seite zu Wort kommen lassen. Die Frequenz bei der Online-Berichterstattung ist hoch, da kommen die verqueren Aussagen von Angehörigen ganz recht, um die Story weiterzuziehen.

So kommen Titel zustande, die – gelinde gesagt – beim Leser ein ungutes Gefühl zurücklassen: «Das Blut der Kinder klebt an den Händen der Kesb.» Die aufgebrachten Leser wüten in den Kommentarspalten und lassen ihrem Unmut auf Facebook freien Lauf. Die Gruppe «Stopp der Kesb Willkür» gewann in wenigen Tagen annähernd 2000 Mitglieder. Ausserdem wird die Kesb Winterthur-Andelfingen von Unbekannten bedroht, die Angestellten stehen mittlerweile unter Polizeischutz.

Wir wissen nichts

Für die Basler Schriftstellerin Zoë Jenny ist der Fall ein gefundenes Fressen. Sie führt seit Längerem eine persönliche Fehde gegen die Kesb. Ihr Statement zum Fall Flaach klingt in Anbetracht der Tatsachen beinahe höhnisch: «Hätte man diese Mutter mit ihren Kindern in Ruhe gelassen, würden diese jetzt noch leben», sagte Jenny gegenüber der «Schweiz am Sonntag».

Eine Behörde soll am Tod von zwei Kindern schuld sein, nur weil sie nicht dem Willen der Mutter gehorchte? Ein absurdes Argument, wenn man sich die Situation vergegenwärtigt: «Die Mutter hat getötet, nicht die Behörde», schreibt der «Tages-Anzeiger» passend dazu.

Das Problem an der Sache ist: Bereits für die beteiligten Experten ist die Sachlage sehr schwer zu durchschauen. Wie soll sich da ein Laie mit einer Handvoll spekulativer Informationen ein Bild machen?

Am Ende müssen wir uns eingestehen: Wir wissen nichts über die Hintergründe, die zu der Kindstötung in Flaach führten. Und wir können uns in diesem Fall kein Urteil anmassen, ob neben der Frau noch jemand anderes Schuld trägt am Tod der beiden Kinder.

Behörde in Ruhe arbeiten lassen

Die Aufregung über mögliche Fehlentscheidungen bringt die Diskussion nicht voran. Familiendramen wie jenes in Flaach gab es bereits vor der Einführung der Kesb – sie sind schwer zu verhindern.

Die Empörung erschwert die Arbeit der Behörde nur noch mehr. Je höher der öffentliche Druck auf die Behörde, desto höher die Gefahr, dass Fehlentscheide getroffen werden. Auch Behördenangestellte lesen Zeitung. Und wenn sie auf diese Art im Fokus stehen, könnte das auch ihre Arbeit beeinflussen.

Im Fall Flaach kamen die Behörden der Mutter entgegen, indem sie die Kinder über die Festtage zu ihr liessen. Das geschah vermutlich nicht unter öffentlichem Druck. Wenn die Kesb aber weiterhin im Kritik-Dauerfeuer steht, könnte dies irgendwann dazu führen, dass sie auf den öffentlichen Druck reagiert – und dadurch verheerende Fehler macht.

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