Der Fall des Basler SVP-Nationalrats Sebastian Frehner belegt weitaus mehr als nur eine lokale Treibjagd alter Geschichten. Ja, es geht um seine Karriere, aber viel mehr noch um das Berufspolitikertum durch die Hintertüre.
Sebastian Frehner, Nationalrat aus Basel, überregional – nun, in bescheidenen Ausmassen, nämlich eigentlich nur im schweizerischen Nationalrat – vor allem bekannt geworden als heftiger Kämpfer gegen Sexualaufklärung in den Primarschulen, insbesondere gegen den offiziellen (also «staatlich») zu Aufklärungszwecken ausstaffierten Sexkoffer, ist plötzlich in völlig anderem Zusammenhang ins städtische Gerede geraten.
Parteifreunde und die Lokalredaktion einer Zeitung, deren Nähe zu Frehners Partei man nicht weiter belegen muss, weil sie selber diese Nähe am laufenden Leitartikelband belegt, haben von finanziellen und karriereträchtigen Durchstechereien dieses lokalen SVP-Mulitfunktionärs berichtet. Die Geschichte handelt von Geld, das von Frehner und von seinem von ihm in privater Geschäftspartnerschaft beschäftigten Parteisekretär unrechtmässig für rein persönliche Wahlkampfzwecke der Gesamtpartei entzogen worden sei.
Gleichzeitig wird von einer handstreichartigen Nomination des Herrn Frehner zum Ständeratskandidaten 2011 der SVP in Basel-Stadt berichtet. Diese Dinge, also die Teile der Story, welche das politische, aber auch das mediale Basel, soweit man das aus der Ferne per digitalisiertem Nachrichtenwesen erfahren kann, in teilweise hellen Aufruhr versetzen (Peter Knechtli in seinem «OnlineReports», die BaZ natürlich usw.), sind ursprünglich vor vier Jahren passiert.
Ein inhaltsschwaches Vorwärtskommen über Ämterbesetzung
Warum sind sie plötzlich im Gerede? Richtig, es geht um die weitere Karriere des Herrn Frehner. Es geht darum, dass dieser Nationalrat das einzige lukrative politische Amt, dass ein SVP-Mitglied im Kanton Basel-Stadt auf absehbare Zeit in der Zukunft erreichen kann, nämlich den Sitz im Bundesparlament, besetzt, und das seit anderthalb Wahlperioden. Er ganz allein.
Was der SVP in ihrem ideologischen Gerede angeblich ein Gräuel ist: Herr Frehner lebt es mit einer Deutlichkeit vor, nämlich das inhaltsschwache bis inhaltsleere, dafür auf das individuelle ökonomische Vorwärtskommen qua Amtsbesetzung ausgerichtete Berufspolitikertum durch die Hintertüre. Interessant dabei ist, dass er im Prinzip nur sich selber vertritt.
Seine «berufliche» Existenz sei, laut BaZ, wesentlich von den Ämtern bedingt, die er innehat. Das bestbezahlte darunter dürfte wohl das Nationalratsmandat sein. Es ist nicht bekannt, dass er für einen Wirtschaftsverband tätig wäre, er ist allerdings auch noch im Bankrat der Basler Kantonalbank. Er besitzt selber auch kein KMU-Unternehmen, sieht man von der eigenartigen Konstruktion eines Berater- und gleichzeitig Parteisekretariatsbüros ab, das im wesentlichen wohl durch Zuschüsse aus der Bundeskasse für Nationalräte – also für persönliche Mitarbeiter – finanziert wird.
Ein treuer Ideologe, wenig ehrgeizig
Natürlich tritt Herr Frehner im Nationalrat als Ideologe auf, der, wenn er ans Rednerpult oder in eine Kommission entsandt wird, immer brav das verkündet, was von den tonangebenden Herren der SVP (Blocher, Rutz, Mörgeli, Brand, bald wohl noch Köppel) verlangt wird: Entstaatlichung des Sozialen, Anti-EU- und Anti-UNO-, Anti-Konkordanzkompromissgerede.
Zwischendurch darf Herr Frehner, schliesslich wird er in einem Stadtkanton gewählt, ein paar kritische Töne zur schweizerischen Landwirtschaftslobbypolitik sagen. Wenn es um «das Volk» geht, wenn es darum geht, das angeblich «Normale» darzustellen, ist Frehner selbstredend linientreu (und äussert sich spontan beispielsweise auch über Homosexuelle, welche angeblich einen fehlgeleiteten Hirnlappen besitzen, also «abnormal» sind).
Dass die BaZ diese politische Gestalt, die derart wenig «bürgerlich» im Sinn von Verleger und Chefredaktor Somm ist, vor den anstehenden Nationalratswahlen in die Pfanne haut, ist wenig verwunderlich.
Wie in der BaZ beschrieben wird, habe Frehner seinem Kollegen Bortoluzzi unerwartet beigepflichtet. So hätten gleichgeschlechtliche Paare tatsächlich einen «Hirnlappen, der fehlgeleitet ist». Weiter heisst es im Text: Als der Junge-SVP-Präsident Pascal Messerli intervenierte, habe Frehner gefragt: Bist du etwa auch so einer? Daraufhin hielt es der Vizepräsident nicht mehr aus. Er erhob sich von seinem Stuhl, bekannte sich zu seiner Homosexualität und drückte seine Empörung über Frehners Äusserungen aus. Anfang 2015 verliess er die SVP.
Dass die BaZ diese politische Gestalt, die derart wenig «bürgerlich» im Sinn von Verleger und Chefredaktor Somm ist, vor den anstehenden Nationalratswahlen in die Pfanne haut, ist wenig verwunderlich. Frehner vergeudet die Möglichkeit, die ein gewiefter, smarter, durchaus hie und da urban auftretender SVP-Exponent in einer Stadt wie Basel entwicklen könnte. Er nützt der Ideologie der totalen Bindungslosigkeit, der Ideologie der Neuen Rechten, welche Figuren wie Köppel, Rutz oder Somm braucht, um die angestrebte Macht im «souveränen Staat» strukturell mit Intelligenz in Forschung, Wirtschaft und Bildung abzusichern, nichts.
Aufs Amt angewiesen zwecks Wahrnehmung
Der Unterschied zwischen Frehner (oder zahlreichen anderen SVP-Mandatsträgern) und den intellektuellen Eliten der Partei, welche alle mehr oder weniger von Blocher entdeckt und gefördert worden sind und werden, liegt im Begriff «Unabhängigkeit». Kurz gesagt: Rutz oder Köppel, Matter oder sogar, wenn auch vermindert, Mörgeli, sind auf ein Parlamentsmandat nicht angewiesen, um wahrgenommen zu werden.
Frehner? Eben. Also muss da etwas geändert werden. Es darf nicht sein, dass das urbane Basel nur mit lauter SVP-Vertretern aus dem Milieu des biederen «Normalen» bestückt ist. Notwendig wäre ein wenig intellektueller Glanz. Solange einer wie Frehner die baselstädtische SVP dominiert, wird es mit irgendwelchem Glanz aber –nachweislich der BaZ – wohl nichts.
Das erklärt deren Volte, denke ich, zur Genüge, auch wenn Somm leitartikelt, es gehe um die «Aufklärung», um mit dem Hinweis, man sei bei der BaZ loyal gegenüber Positionen («bürgerlich»), nicht gegenüber Personen, zu enden.
Die Figur von der Art, wie Herr Frehner eine darstellt, ist in der Politik in der Schweiz, in Deutschland, allgemein in Westeuropa oder in Nordamerika eine häufige Erscheinung. Macht zu erlangen, welche über das hinausgeht, was man selber bestimmen kann, ist für die meisten an politischer Machtentfaltung in Demokratien Interessierten nur im Verbund mit kleinkarierter Hausmannskost, also Intrigen, Sitzungskaskaden ohne Ende, Verleumdung, übler Nachrede, meistens auf der Basis von Vermutungen jeglicher Spielart möglich, und dies erst einmal vor allem gegen so genannte «Parteifreunde».
Immer nur aufs Grosse und Ganze
Theoretisch existiert ein «demokratischer» Diskurs, innerparteilich und auch in der Politik insgesamt. In Deutschland sprechen Parteigranden gerne von «innerparteilicher Demokratie», welche eine «innerparteiliche Meinungsbildung» und, jeweils vor Wahlen jeglicher Art, so genannte «Parteiprogramme» ergebe, mit denen man «die Zukunft» der Gemeinde wie des Staates, des Stadtteils wie der Bildung, der sozialen Sicherheit wie der Rechtsstaatlichkeit gestalten werde.
Darunter geht es nie. Ständig wird von Parteiprogrammen und Parteipropagandafeldzügen das Grosse und das Ganze beschworen, um nach erfolgreich bestandener Wahl sofort in jene im gesamten Westen längst sattsam bekannte Gestaltungsstarre zu versinken, welche angeblich den gesellschaftlichen, lieber noch den finanziellen «Realitäten» geschuldet sei.
Dazu braucht es in den Parlamenten genügend Gewählte, die einfach abnicken, was Parteiführungen an Machtentfaltung, an Regierungshandlungen und so weiter beschliessen. Die Kontrollfunktion der Parlamente über die Tätigkeit der Regierungen ist in parlamentarischen Demokratien der wesentlichste Teil der Gewaltenteilung. Diese Gewaltenteilung beinhaltet das legislative Moment der Politik, welches dem exekutiven Moment mindestens gleichberechtigt sein muss.
Politische Programme, «Inhalte» genannt, spielen dabei, wenn überhaupt, bloss eine sehr untergeordnete Rolle.
In Staaten mit Koalitionsregierungen – Deutschland, Österreich, Italien, die skandinavischen Staaten usw. – hat sich aber längst eingebürgert, dass die Parlamentsfraktionen der Regierungsparteien bloss zur «Absicherung» der Regierungsmehrheit anzutreten haben. Absicherung bedeutet: Erhalt der Regierungsmacht, koste es, was es wolle.
Politische Programme, «Inhalte» genannt, spielen dabei, wenn überhaupt, bloss eine sehr untergeordnete Rolle. An Stelle von Inhalten tritt die Regierungsperson. Der Chef, die Chefin. Dazu gesellt sich, systembedingt genauso wie aus reinem Machterhaltungstrieb geschaffen, die Entourage, welche dem Chef, der Chefin das Handlungsmuster ausarbeitet und es auch durchsetzt.
Aufs Absichern bestens ausgerichtet
Es liegt auf der Hand, dass viele Parlamentarierinnen und Parlamentarier die Funktion des Absicherns derart verinnerlicht haben, dass unter ihnen jeder Diskurs, der etwas mit einem politischen Inhalt, mit einem Programm, auch mit der Berücksichtigung dringender ökonomischer (soziale Gerechtigkeit…) oder ökologischer (Energiefrage, Verkehrsfragen…) Handlungsnotwendigkeiten, ausbleibt.
Grund: Der Absicherungsparlamentarier muss sich beizeiten für die nächste Wahlperiode persönlich absichern. Er muss in seinem Umfeld dafür sorgen, dass die Absicherung der Macht seiner Partei, seiner Chefs nicht in Frage gestellt wird. Seine – kleinere – Entourage vor Ort muss dasselbe tun wie die Parteizentrale: Ständig irgend eine Skandalisierung erfinden, damit man Feindbilder schaffen kann.
Ohne Feindbilder geht diese ganze Machtabsicherungspolitik rasch unter, in Langeweile, in totalem Desinteresse des «Publikums», in der Lächerlichkeit, welche ihr die gesamte Socialworld täglich bereitet. Anderseits: Ordnet sich die Person, welche Parlamentarierin oder Parlamentarier geworden ist, der Parteiführung nicht unter, ist ihre oder seine Karriere zu Ende.
Und die Fassbarkeit geht verloren
Die Folge: Der Politikbetrieb verliert an menschlicher Fassbarkeit. Gemeint ist die Begrifflichkeit des Citoyen, der seine Interessen durch eine von ihm gewählte Vertretung in einer Legislative wahrnimmt.
Das ist natürlich von der Konstruktion des Systems her ein Idealzustand. Aber seit Jahrzehnten erfahrbar und inzwischen ziemlich ausschliesslich vorhanden sind zwei Entwicklungen, welche dem demokratisch verfassten System die Glaubwuürdigkeit vollends entziehen: Das eine ist die Machtanmassung der Lobbyisten, welche sich «Parlamentarier» quasi zur Verfügung halten. Das andere ist die Machtentfaltung einzelner Politgrössen, welche mit diktatorischer Absolutheit Parteien beherrschen und Machthöfe konstruieren, die in den Staatsverfassungen gar nicht vorgesehen sind.
Zurück zu Herrn Frehner und seiner Absicherungspolitik in eigener Sache: Natürlich strampelt da jemand um seine unmittelbare berufliche, vermutlich in diesem Zusammenhang auch finanzielle Zukunft. Offensichtlich ist dieses Strampeln bei dieser Person ziemlich permanent vorhanden. Es bestimmt ihre Karriereschritte – vor vier Jahren genauso wie heute, wo wieder eine Nationalratswahl vor der Tür steht.
Studieren kann man in den – an sich unbedeutenden, sehr lokal allenfalls wahrnehmbaren Streitereien und der ungeschickten Selbstverteidigung des «Entlarvten», wie unwichtig für ihn und seine unmittelbare Umgebung glaubwürdige Politik ist. Herr Frehner verbrennt sich seine Finger nicht an politischen Themen. Politisch ist er ein reiner Absicherer, im besten Fall, von seiner Parteizentrale aus betrachtet, ein so genannter Parteisoldat.
Es ist offensichtlich, dass Leute wie Frehner an anstrengender Regierungsarbeit aber auch gar nicht interessiert sind.
Er fügt sich ohne Widerrede in die Kampagnen der SVP ein, mögen die auch noch so antiurban sein, wie sie tatsächlich sind. Frehner hat keinen inhaltlichen politischen Ehrgeiz. Das lässt er von der Parteizentrale, einer ausgefuchsten Verkaufsorganisation von einfachster, inhaltsleerer Propaganda, deren alleiniger Zweck im Machterhalt von Blocher sowie im Übergang von diesem zu einer Reihe von machtgierigen Ideologen und Rechthabern besteht, erledigen.
Interessant ist, dass die SVP in Basel-Stadt, trotz ihrer Wählerstärke, mit Personen wie Frehner nie auch nur den Hauch einer Chance hat, in der Kantonsregierung mitwirken zu können. Es ist offensichtlich, dass Leute wie Frehner an solch anstrengender Politikarbeit auch gar nicht interessiert sind. Ihnen geht es um ihre persönliche Absicherung.
Und es geht um die Absicherung der Macht in partikularer Rechthaberei, durchaus auch parteieigener, welche jegliche Art von Zerstörung in Kauf nimmt, damit man selber profitieren kann. Man zieht einen Profit aus dem Titel Nationalrat. Besässe man den Titel nicht, wäre man ein Niemand. That’s the real story. Stoff von globaler Wirklichkeit, heruntergeklont auf ein lokales Ereignis, welches ein paar Tage lang die Skandalrunde machen darf.