Schwulenhass ist auf verschiedenen Ebenen verwurzelt. Im Kern geht es dabei um die Wahrung einer propagierten Normalität, die überraschend schnell im Gewaltexzess enden kann. Vor diesem Hintergrund versucht Alois-Karl Hürlimann das Attentat von Orlando einzuordnen – als Tat gegen die Schwulen, die Lesben, die Transgender.
I
Die Ermordung von 49 schwulen, lesbischen, transgenderen Menschen in Orlando/Florida durch einen Einzeltäter ist nicht ein IS-Terrorakt gegen «alle», sondern ein Terrorakt gegen Unsereiner, also die Schwulen, die Lesben, die Transgender.
Erst einmal: Homophobie ist eine definierte und zugleich eine oft aktiv verurteilende Verhaltensweise gegenüber einem menschlichen Veranlagungsphänomen. Homophobie richtet sich gegen homosexuell und transgender lebende Menschen. Schwule, Lesben, Transgender bilden in den meisten organisierten Gesellschaften (also in den meisten Staaten) eine mehr oder weniger wahrnehmbare Minderheit.
Seit ungefähr vier Jahrzehnten haben sich weltweit Millionen Schwule, Lesben und Transgender auf dem Weg ihrer Emanzipation aus abgeschlossenen, versteckten, oft auch individuell unterdrückten Lebensäusserungen in ihre staatlich organisierten Gesellschaften hineinbewegt. Diese Emanzipation hat in zahlreichen Staaten viel Unterstützung aus der jeweiligen Gesamtgesellschaft erfahren. Sie hat ohne Zweifel auch zur Öffnung für andere als homosexuell orientierte Minderheiten beigetragen. Kurz: Der «Regenbogen» trägt zur Anerkennung und Gleichberechtigung der Vielfalten untereinander innerhalb offener Gesellschaften bei.
Aber: Alle Emanzipationsbewegungen wurden seit ihren Anfängen von Kreisen bekämpft, die meistens auf angeblich abgesichertem Herkömmlichem oder auch auf Vorurteilen beharren. Zivilrechtliche Errungenschaften wie in den Bereichen Partnerschafts-, Adoptions- oder Erbrecht greifen sie bei jeder sich bietenden Gelegenheit mindestens verbal an und stellen diese immer wieder grundsätzlich infrage.
Die Auseinandersetzung findet in der (westlichen) Öffentlichkeit auf sehr verschieden ausstaffierten Ebenen statt:
1. Die religiös motivierte Homophobie
Gesellschaftliche Realitäten und religiöse Dogmatiken prallen immer wieder aufeinander. Während die Buchreligionen (Judentum, Christentum, Islam) Streit und Rechthaberei zum Teil äusserst gewalttätig unter sich austragen, bleibt die strikte Verurteilung der Homosexualität eine der wenigen Klammern, die für Gläubige ein Mindestmass an religionsalltäglicher Verbindlichkeit messbar machen soll (zur Erinnerung: der Churer Bischof Vitus Huonder).
Diese religiöse Ebene besteht zwar aus vielschichtigen Elementen, ihr gemeinsamer Nenner ist jedoch die tatsächliche Verurteilung der Homosexualität als Akt gegen die angeblich sakrosankte Norm des Menschlichen, die allein durch göttliche Gebote definiert sei.
Es spielt für homosexuelle Menschen keine Rolle, ob man ihnen aus einer Religion heraus «mit Anstand», mit «Barmherzigkeit» oder – was weitaus häufiger der Fall ist – mit absoluter Verurteilung «begegnet». Die Verdammung der aktiv gelebten Homosexualität bleibt das Prinzip. Religiöse Dogmen sprechen etwa Schwulen das Recht auf ein erfülltes individuelles Leben schlichtweg ab. Da macht dann alles «Verständnis» nichts wieder gut.
Aus diesem Prinzip heraus ist – überall in religiös motivierten Homophobie-Kreisen sichtbar – ein grausamer Katalog voller religiös begründeter Besserwisserei entstanden, welcher sektiererische Elemente nachdrücklich etwa in die römisch-katholische Sexualmoral hineingepflanzt hat. Die Triebe dieser Pflanze, die man zum Beispiel mit «Schutz der Ehe» oder «Naturrecht» betitelt, sind längst vergiftet. Seit dem 17. Jahrhundert, als man die Verdammung der Homosexualität theologisch-dogmatisch verfeinert hatte, unter anderem als Anklagebegleiterin der Inquisition. Es ist das Gift, das den Namen Hass trägt.
2. Die pseudo-philosophische Verurteilung
Die zweite Ebene der Verurteilung ist besonders in Kreisen verbreitet, die sich selber als konservativ verstehen, als der «abendländischen Werteordnung verpflichtet». Unter Titeln wie «Erhalt der christlichen Grundlagen des Abendlandes» oder «werterhaltende Standpunkte kontra Anpassung an mediale und politische Beliebigkeit» fordern sie ausserreligiös ein normatives Verhalten. Eine Norm, die sich keinen «Modeströmungen» anpasst, sondern die Grundlagen einer «abendländischen», wahlweise auch «christlichen» Wertehierarchie «verteidigt». Orientierungspunkte, die nicht verrückt werden dürfen.
Dass sie nicht verrückt werden dürfen, wird meistens mit dem Begriff «Naturrecht» begründet. Die behauptete Unverrückbarkeit des «Naturrechts» ist eine dogmatisierte Behauptung, die als Axiom die Grundlage der Gesellschaftsvorstellungen vieler Konservativer darstellt. Sie ist nicht infrage zu stellen und sicher nicht «modisch» interpretierbar. Solcher Konservatismus ist erst einmal nicht politisch, sondern vielmehr – im Verständnis seiner Anhänger – sozialethisch motiviert.
3. Rechtskonservative Hetze
Diese Ebene, auf der vor allem alltagspolitische Agitation auftritt, wird oft von viel Krach und Lärm bevölkert. Beherrscht wird sie von Vertreterinnen und Vertretern rechtsgerichteter Parteien, die sich zu Rettern der «Keimzelle» der Gesellschaft, nämlich «der Familie» erklären. Diese Keimzelle ist ihnen «heilig», und die «Ehe» gilt ihnen als einzige «normale» Ordnungsform des Zusammenlebens – selbstverständlich ausschliesslich unter heterosexuellen Voraussetzungen, weil die Ehe «familienstiftend» sei.
Dass sich die rechtliche Stellung von «Familie» ständig verändert und keineswegs «überall» quasi allen anderen Beziehungs- und Zusammenlebensformen übergeordnet war oder ist, ignorieren sie.
Sie beharren auf dem, was in Europa zivilrechtlich als «Ehe» und «Familie» in der Form festgelegt wurde, an die man sich seinerzeit infolge der feudalistischen und im Zuge der industriellen Revolution umso strengeren paternalistischen Strukturen eben gewöhnt hatte.
Natürlich hat dieses Beharren auch mit Besitz zu tun. Das zeigen Begriffe wie «Familie als Keimzelle der Gesellschaft» oder «Keimzelle des Staates». Sie entspringen einer hierarchischen Ordnungsvorstellung von oben (Besitz) nach unten (Armut).
Solcherlei Gedankengut wird oft begleitet von einem nationalistisch begründeten Rassismus und – expressis verbis – der Forderung nach einem Verbot von Homosexualität mit unbedingter Strafverfolgung. Eine vor allem in Kreisen bis hin in das republikanische Establishment in den USA immer wieder vernehmbare Begründung für diese Forderungen: Schwule würden das «gesunde» Fortleben der Nation gefährden.
4. Sensationsgierige Medienlandschaft
Die vierte Ebene ist von besonders viel Aktivität belebt. Es benutzen sie Rechtspopulisten, religiöse Sektierer, rassistisch ausgerichtete Ordnungsfanatiker und Machtzyniker jeglicher Couleur: die Medienlandschaft, in der nur das Extreme Einschaltquoten bringt, Klicks generiert oder, wenn da noch etwas zu holen ist, Auflagen verkaufen lässt. Jegliche differenzierende Argumentation geht in dieser Hypewelt sofort unter.
Wer eine angeblich heile oder homogene, also eine «einrassige» Nation fordert, muss nicht argumentieren. Er muss bloss Bildfälschung betreiben. Schon kann er in der Medienwelt im Augenblick des Auftritts unwidersprechbar Hetze und Hassparolen verbreiten. Der Aufstieg von Trump im US-Vorwahlkampf ist für diese Feststellung ein eindeutiger Beweis. Ebenso der «Aufstieg» eines – sehr genau erkennbar – bloss auf inhaltsleeren Rassisten-Klamauk ausgerichteten Provinzpolitikers wie SVP-Glarner, der uns jetzt vor allem im Fernsehen überall begegnet.
Die Rechtsextremen, die Neofaschisten, die angeblich populistisch Agierenden beschwören immer das angeblich «Normale». Normal ist in dieser Kumpanei zwischen zahlreichen Medienveranstaltern und dem Rechtsextremismus der Weisse. Normal ist, dass der Mann zu Hause sagt, was gilt. Normal ist die Leugnung des Klimawandels. Die Leugnung des Holocaust.
Normal, sagen diese Ideologen, ist die Unterordnung der Frau, weil der Intelligenzquotient des Mannes messbar höher sei. Abnormal und deshalb zu verbieten sind Gender-Diskussionen. Abnormal ist die Gleichberechtigung – von Frauen, von Schwulen, von Zuwanderern, von Menschen nicht weisser Hautfarbe. Innerhalb des für die Nation angeblich notwendigen, disziplinierenden Familienrechts muss es für sie einen Vorrang der «Inländer» oder der «Rasse», des «Blutes» usw. geben. Denn nur der Reine, der immerwährende weisse US-Amerikaner, Deutsche, Franzose, Ungar, Pole, Schweizer (und dies im Normalfall in der männlichen Erscheinungsform) garantiert die Zukunft der Nation. Latinas und Latinos haben etwa in Trumps Gesellschaftsbild nichts verloren. Schwarze haben etwa in SVP-Glarners Gesellschaftsbild nichts verloren. Deutsche haben in SVP-Mörgelis Beschwörung eines verschlankten und vor allem nur von «Schweizern» betriebenen Bildungsstandorts Schweiz nichts verloren, weil sie nicht «schweizerisch» sind. Und so weiter.
Die Begründung für politisch lautstark geforderte Ausschlüsse von Minderheiten aus der rechtlich abgesicherten Gleichberechtigung brauchen keine detaillierte Ausführung. Es genügt, wenn «Neger» oder «Mexikaner», «Jude», «Schwule» oder «Islamist», «Scheinasylant» oder einfach «Ausländer» geschrien wird.
Jede gesellschaftliche Minderheit liefert der rechtsnationalistischen Propaganda den Vorwand, um eine homogene Staatsgesellschaft zu fordern, die angeblich die Erlösung von allen gesellschaftlichen Problemen darstellt. Aus der Begrifflichkeit einer «homogenen» Staatsbürgerschaft stammt das bei Lichte besehen dummdreiste Hetzmaterial gegen jegliche Minderheit. Mehr braucht es für den jeweiligen Propagandaapparat der Rechtspopulisten und der Neofaschisten nicht. Auch deshalb nicht, weil vor allem in zahlreichen TV-Medienanstalten kein auch nur ansatzweise wissender, kritischer Geist gegen solcherlei Propagandagift mehr existiert.
Nun: Auf dieser Ebene wird die Gleichberechtigung Homosexueller in Bezug auf Ehe, Adoption, Familienbildung, bezüglich wirtschaftlicher Grössenordnungen und namentlich etwa im Erbrecht, aber auch in Bezug auf das Sexualstrafrecht von den Rechtsextremen bei jeder sich bietenden Gelegenheit infrage gestellt.
Die Versuche, Homosexuellen in unseren Breitengraden die Gleichberechtigung wenigstens in Details vorzuenthalten, weisen darauf hin, dass bei entsprechenden Mehrheitsverhältnissen die Gleichberechtigung der Homosexuellen mit der Heterosexualität im Zivilrecht sofort rückgängig gemacht wird. Beispiele: Ungarn, Polen, Russland, versuchsweise seit den letzten Wahlen auch Kroatien.
Es ist festzuhalten:
Schwule, Lesben, Transgender eignen sich in den Augen des Rechtsextremismus und Neofaschismus für die Hetze gegen differenzierende gesellschaftliche Prozesse.
Dies, weil sie eine öffentlich inzwischen vielerorts gut wahrnehmbare, zudem ziemlich aktive gesellschaftliche Minderheit bilden. Das Recht auf differenzierende gesellschaftliche Prozesse bedeutet, dass in einem Staat nicht bloss eine arithmetisch vermutete Mehrheit ein für allemal bestimmt, wer dazugehören darf und wer nicht. Nicht Homogenität, sondern Vielfalt ist deshalb und absolut notwendigerweise rechtlich geschützt und zu schützen, will man die nun wirklich real in Europa überall existierende heterogene Gesellschaft nicht vernichten. Das ist eine der wesentlichen Grundlagen sowohl des Rechtsstaates als auch einer rechtsstaatlich verfassten Demokratie.
II
Man gelangt von den hier skizzierten vier Ebenen vor allem über zwei Durchgänge zu jener Verachtung der menschlichen Vielfalt, welche immer wieder im Exzess des Mordens im Namen von Gott, im Namen der Staatsmacht, im Namen der «Normalität» oder irgend einer machtgeilen Ideologie endet.
1. Die Verurteilung der Homosexualität als «widernatürliches, perverses Verhalten» ist ein leicht zu erringender gemeinsamer Nenner divergierender politischer Machtklüngel im rechtsextremen und rechtskonservativen Bereich der Politik. Dies, weil Homosexualität in ihrer definierten Erscheinungsform als soziale und sexuelle Verhaltensweise von Individuen in einer Gesellschaft nach wie vor als spezielle Minderheitsposition verstanden wird. Dazu tragen paradoxerweise auch die vielfältigen Äusserungsmöglichkeiten schwuler Menschen bei, die heute Eingang in das mediale Alltagssystem finden. Notfalls kann solche Vielfarbigkeit, auch die Originalität einer der «schwulen Lebensfröhlichkeit» zugeschriebenen Leichtigkeit des Seins durch gezielt eingesetzte Hetze sofort in Verfolgung umschlagen.
Die Werkzeuge für die Verfolgung homosexueller oder transgender Menschen stehen jeder PR-Abteilung von rechtsextremen, rechtspopulistischen, vor allem neofaschistisch-rassistischen Kreisen sofort zur Verfügung: Das Internet, die Socialbooks sowie journalistisch gestaltete Medien, welche ja auch Netzlieferanten sind:
Man muss diese Medien nur «füttern». Der Rest läuft von selbst.
Darüber muss man meiner Ansicht nach auch im Fall des Massenmordes in Orlando eine klare, begründete Sprache führen. Diese Sprache sagt, wie eingangs bereits formuliert, deutlich: Der Täter handelte nicht «gegen alle», nicht «gegen den Westen», nicht gegen «die USA», auch nicht gegen das christliche Abendland. Nein. Der Täter hat gezielt Schwule, Lesben und Transgender ermordet.
Schwule, Lesben, Transgender aber sind Menschen, welche als Minderheiten ihre sozialen Möglichkeiten leben wollen. Sie sind nicht «uniform», vielmehr fallen sie sofort dann, wenn sie öffentlich ihre Gleichberechtigung mit allen in einem Staat fordern, aus dem Rahmen uniformierter Gleichheit.
2. Die inzwischen zahlreich publizierten Recherchenergebnisse über den Mörder Omar Mateen beschreiben einen Menschen voller Widersprüche. Charakterisierungen reichen von «Homophobie», welche etwa der Vater des Mörders öffentlich betont, bis zu einem Leben in oder vor einer schwulen Existenz (aktive Datingportalbenutzung, Besuch von Gaybars und Schwulentreffpunkten). Gearbeitet hat Mateen in einer der laut «Zeit» weltweit grössten Sicherheitsfirmen. Die Beschreibungen seines Charakters ergeben keine eindeutigen Symptome für einen Hang zur Gewalttätigkeit, aber auch nicht eine besondere Intensität irgendeines sektiererischen religiösen oder politischen Extremismus.
» Siehe dazu: Was wir über Massaker und Täter wissen (zeit.de)
Dieser gegenwärtig abrufbare Wissensstand weist – vorsichtig und keineswegs apodiktisch zusammengefasst – darauf hin, dass der Mörder vermutlich kein verblendeter respektive verführter «Soldat Allahs» war, auch nicht ein ausgebildeter oder ein abkommandierter IS-Terrorist, sondern ein Mensch, der in widersprüchliche Lebensgefühle verstrickt war und deren Spannung durch eine explosive Tat auslöschen wollte. Dass er mit einer detailliert vorbereiteten Explosion, einem Massenmord an homosexuellen Menschen, eine Art von Tabula rasa schaffen wollte, ist offenkundig. Dass Schwule das Ziel seiner Mordabsichten wurden, kann biografische, familiäre, religiöse oder gesellschaftspolitische Gründe haben.
Immer wieder ähnliche Tatumstände
Zu bedenken ist aber auch, dass der Ort, den der Mörder für seine Tat ausgesucht hat, ein Schwulentreffpunkt ist. Ein solcher Treffpunkt, der geschlossene Räume aufweist, ist relativ leicht zu überfallen, wenn man sich die notwendigen Kenntnisse über Lokal und Betriebsablauf verschafft hat und etwa weiss, dass es über keine organisierte Sicherheitsaufsicht verfügt.
Dieser Umstand ist auch bei anderen Massenmorden in letzter Zeit von Bedeutung gewesen. Ich erinnere an die kleine Insel Utøya im Tyrifjord bei Oslo, wo Breivik am 22. Juli 2011 69 junge Menschen, Mitglieder der norwegischen sozialdemokratischen Jugendorganisation, ermordet hat. Breivik setzte in eine Polizeiuniform gekleidet mit der Fähre zur kleinen Insel über, rief die Jugendlichen unter einem Vorwand zusammen und begann dann mit dem Massenmord. Die räumliche Begrenztheit der Inselausdehnung und natürlich das Fehlen eines Sicherheitsdispositivs verunmöglichte für viele eine Flucht vor den Schüssen.
Ein weiteres Beispiel für solche Tatumstände ist der Überfall auf den Club Bataclan in Paris am 13. November 2015: Einerseits wurde so das Lebensgefühl von Minderheiten als Ausdruck gesellschaftlicher Vielfalt angegriffen. Anderseits existiert offensichtlich bei den Tätern eine Art Tatbegründung, indem man auf Versatzstücke der medial bekannt gewordenen und leider am laufenden Band verbreiteten Hetze zurückgreift, also beispielsweise Schwulenhetze, beispielsweise Linkenhetze, beispielsweise Hetze gegen Flüchtlinge, Hassparolen gegen «die Muslime» oder, in Deutschland kürzlich, gegen Bundestagsabgeordnete mit türkischer Herkunft, welche der Erklärung über den Völkermord an den Armeniern zugestimmt haben.
In den drei genannten Terrorakten und vielen anderen mehr wurden Menschen, welche einer Minderheit angehörten, gezielt getötet. Dabei bestanden die Minderheiten sowohl aus Menschen, die eine bewusst eingegangene Mitgliedschaft respektive Anwesenheit (politische Gruppierung, Besuch eines Konzertes in einem Club) oder durch einen nicht selbstbestimmten Umstand, also durch die Geburt (beispielsweise das Geschlecht usw.) oder durch die Entwicklung zur individuellen Persönlichkeit (beispielsweise die sexuelle Ausrichtung) in ihrem individuellen Leben standen.
Eine Voraussetzung für terroristische Akte gegen eine Minderheits-Gruppe in einer Gesellschaft ist unter anderem, dass eine Minderheit sich als solche manifestiert. Dazu gehören Treffpunkte, Partys, Demonstrationen und so weiter. Kurz: allgemein bekannte Öffentlichkeit von Minderheiten.
III
Eine heterogene Gesellschaft kennt immer unterschiedlich sozialisierte, unterschiedlich sprechende, von unterschiedlichen ethnischen, religiösen oder eben auch unterschiedlichen sexuellen Präferenzen geprägte Gruppen, die mehr oder weniger selbständig organisierte und lebende Teilgesellschaften oder, anders gesagt, eben Minderheiten innerhalb einer heterogenen Gesellschaft bilden. Von ganz wenigen Ausnahmen mit winzigen Bevölkerungszahlen abgesehen bestehen global alle Staaten aus solch heterogenen Gesellschaftsteilen.
Die rechtliche wie die allgemeingesellschaftliche Akzeptanz oder ihr Gegenteil kann man am «Umgang mit Homosexualität» in einem Staat ziemlich gut darstellen:
Zuerst: Religionsdogmatiker aus jüdischer, christlicher und – teilweise – muslimischer Tradition halten bis heute unverdrossen an Verurteilungstexten talmudischer Quellen fest und verurteilen Homosexualität als «wider die Natur» gerichtete «Erbsünde». Das von ihrer Rechtsposition aus festgestellte sogenannte «Naturrecht» wird dabei etwa durch die römisch-katholische Hierarchie nach wie vor und ex cathedra dogmatisiert und als sakrosankt erklärt.
Dann: Die massenweise Verfolgung Homosexueller etwa über Strafgesetzesparagrafen war im Grossen und Ganzen eine Erfindung der europäischen Nationalstaaten, also eine Form der nationalistisch definierten «Bürgerlichkeit» in Straf- und Zivilrechtsangelegenheiten sowie – nicht zu unterschätzen – im Militär seit Beginn des 19. Jahrhunderts. Homophobie wurde, gut erkennbar, unter anderem auch Ausdruck einer höchst verlogenen Prüderie, die vor allem seit der Installation eines besitzbürgerlichen «Biedermeiertums» in Europa über alles gelegt wurde, was mit dem Erleben von menschlichen Bedürfnissen, die sich unter anderem auch in Sexualität ausdrücken, in Zusammenhang stand.
Schliesslich: Die in einzelnen Rechtsstaaten in Europa und teilweise in Latein- und Nordamerika erreichte staatliche Rechtsqualität der Emanzipation von Homosexuellen hin zur mit der Heterosexualität völlig gleichberechtigten Rechtsstellung ist keineswegs für alle Zeiten gesichert. Wie man bei manchen AfD-Exponenten genauso hören und nachlesen kann wie bei US-TV-Predigern oder den Propagandisten der rechtsnationalistischen Regierungen von Moskau über Warschau bis Budapest, eignen sich Schwule gut als Hetzobjekte von reaktionären Gesellschaftsmodell-Verkündern oder religiösen Fundamentalisten bis weit hinauf beispielsweise in die römisch-katholische Hierarchie.
Da wird wird immer das angeblich «Normale» besungen. Meistens mit dem Zusatz «national», also das «nationale Normale».
Diese gesellschaftspolitisch reaktionäre Politikerzunft postuliert – meistens übrigens in trauter Gesinnungs- und Verkündigungsgemeinschaft mit Hierarchen sowohl der römisch-katholischen als auch der jeweils vorherrschenden orthodoxen Kirchen – dass Schwule in der «Normalität» einer auf sogenannter staatlich ausgeübter Autorität zugunsten der Nation ausgerichteten, «geordneten» und polizeilich oder geheimdienstlich durchleuchteten Staatsnorm unzuverlässige und autoritätsschädliche Elemente seien. Sie seien, wie all die «Sicherheitskräfte» seit den Zeiten von Fouché im frühen 19. Jahrhundert zu wissen vorgaben und immer wieder vorgeben, «Internationalisten», «Geheimbündler», «Verräter» und so weiter. Deshalb müsse man sie auch und gerade heute notfalls einsperren, wenn sie denn frech und laut oder schrill werden oder nach «Gleichberechtigung», «Anerkennung ihrer Rechte» rufen. Nur dadurch werde man der Unzucht, der «Widernatürlichkeit» und der Verführung der Jugend Herr.
«Das Volk», behaupten diese Kreise wie immer, wenn keine reale Argumentation möglich ist, wolle keine Schwulenrechte. Das «Volk» wolle seine Jugend vor der Verführung durch Homosexuelle «retten». Wenn nicht das «Volk», nun, dann sicher Gott.
Bei genauerem Hinschauen entdeckt man meistens folgende Anti-Schwulen-Dogmenstruktur:
1. Das «Normale» ist immer dasselbe: Nationalistisch, also an eine «Nation» im Sinne des 19. Jahrhunderts gebunden, an eine bestimmte Hautfarbe, also in unseren Breitengraden an die möglichst «reine» weisse, an eine bestimmte Sprachgewöhnung, in der Schweiz beispielsweise an ein längst durchmischtes Schweizerdeutsch (Französisch gehört da trotz «Willensnation» schlicht nicht dazu).
«Normal» ist, wenn man verheiratet ist. Normal ist nach wie vor, wenn «die Frau» den Haushalt macht, also «zu Hause» ist, während der Mann arbeitet und bestimmt, was mit dem verdienten Geld geschieht. Und natürlich ist «normal», wenn die eigene Nation über allen anderen Nationen steht, wenn Menschenrechte den Bedürfnissen der Nation selbstverständlich untergeordnet sind.
2. Was nicht in diese knapp skizzierte «Normalität» passt – und das ist inzwischen in weiten Teilen Europas sehr vieles, weil sich sehr vieles aus den verschiedensten Gründen anders als nationalstaatlich, gar als lokal entwickelt hat – wird von rechtsnationalistischen, neofaschistischen und rassistischen Kreisen verfolgt – zurzeit noch meistens nur verbal. Die Verfolgung dient dem Ziel der Unterdrückung und schliesslich der «Abschaffung» des «Unnormalen». In Ansätzen ist die Anwendung physischer Gewalt gegen Schwule, gegen Flüchtlinge, gegen Frauen, gegen Farbige durchaus alltäglich.
Das bedeutet:
Immer wieder muss man feststellen, dass der Schritt von tiradisch propagierten angeblichen Normalitäten zu Gewaltexzessen gegen die schwule Minderheit irgendwo auf der Welt ein sehr kurzer ist.
Es ist nicht unwahrscheinlich, dass die Ermordung von 49 homosexuell und transsexuell veranlagten Menschen in Orlando durch den Einzeltäter Omar Mateen einen Zusammenhang hat mit den Hass- und Hetzpredigten gegen die Schwulen, wie sie in den USA als eine äusserst laute und ständige Veranstaltung bis weit ins republikanische Politikestablishment hinein gepflegt wird. Denn die massive Präsenz des Hasspredigertums im Namen Gottes gegen «Abweichler» vom Plan Gottes macht Schwule zu Objekten, die man im Interesse von Gottes Nation ausmerzen muss. Da kann man sich auch mal von innerem Druck befreien und die schwulen Todsünder erledigen. Die Prediger aber tun so, als hätten sie damit nichts zu tun.
Es war eine verbrecherische Tat gegen die Schwulen, die Lesben, die Transgender. Da Schwule, Lesben, Transgender Menschen mit allen denkbaren menschlichen Charakteren, allen Fehlern, allen Zuneigungs- und Abneigungsritualen und allem Liebenswerten oder nicht so Liebenswerten, was Menschen ausmacht, ausgerüstet sind, so wie Du und Ich, Wir, nun ja, alle mit Widersprüchen, Unklarheiten, Mängeln ausgerüstet sind, kann man erkennen:
Es geht darum, die Vielfarbigkeit, die Verschiedenheit des Menschlichen überall, global also, gegen die Angriffe des sich selber als «das Normale» Verkündenden zu verteidigen. Die Rezepte der Einfarb-Reklamierer führen automatisch zu massiver Ungerechtigkeit gegenüber jedem denkbaren Individuum, wie auch immer es erkennbar ist.
Die nach und nach bekannt werdenden Hintergründe der Ermordung der britischen Labour-Abgeordneten Jo Cox in Nordengland weisen genauso auf die Folgen alltäglich vor allem in zahlreichen medialen Strukturen nicht mehr bekämpfter verbaler Gewaltsprache hin wie die Ermordung von 49 schwulen, lesbischen Menschen an einem ihrer für sie eigentlich vertrauten Rückzugsorte.