Gegenüber Pegida darf es kein Verständnis geben

Nachdem rechte Islam-Gegner auf die Strasse gingen, forderten Politiker mehr Verständnis für die Anliegen der Bevölkerung. Das ist fatal. Die Geschichte hat gelehrt, wozu nationale Ideologien führen können.

In vielen deutschen Grossstädten finden Demonstrationen statt unter dem Titel: «Patriotische Europäer gegen die Islamisierung des Abendlandes.» (Bild: INA FASSBENDER)

Nachdem rechte Islam-Gegner auf die Strasse gingen, forderten Politiker mehr Verständnis für die Anliegen der Bevölkerung. Das ist fatal. Die Geschichte hat gelehrt, wozu nationale Ideologien führen können.

In den Pegida-Aufzügen von Dresden tritt das angeblich «normale sächsische Volk» auf und erklärt, was durchgesetzt werden müsse, weil es doch normal sei.

Hinlänglich bekannt geworden ist inzwischen, dass dieses Normale vor allem gegen Ausländer, namentlich gegen Flüchtlinge antritt, die man nicht in der eigenen Nachbarschaft haben will. Ausländer raus – wenn sie denn nicht gebraucht werden.

Diejenigen, die man brauchen kann, sollen sich dann aber gefälligst ducken, sollen sich so anpassen, dass sie überhaupt nicht mehr auffallen. Eine falsche, eine nicht sächsisch-weisse Hautfarbe – und siehe da, das Auffallen ist gar nicht zu umgehen. Und solcherlei ergibt automatisch Handlungsanweisung an die Politik, im Sinne von: weg, raus, fort damit.

Vornedurch verbalisiert geht es angeblich um das «christliche Abendland», welches durch «den Islam» bedroht werde. Diese Drohung ist zwar gerade in Sachsen zahlenmässig kaum erfassbar. So wenig übrigens wie «das Christentum».

Denn: 2011, anlässlich der letzten diesbezüglichen Erhebung des statistischen Bundesamtes, gab es in Sachsen folgende Verteilung der Bevölkerung nach «Weltanschauung»:

evangelisch

21,4 %

römisch-katholisch

3,8 %

evangelische Freikirchen

0,9 %

orthodoxe Kirchen

0,3 %

jüdische Gemeinden

0,0 %

sonstige

1,0 %

keiner öffentlich-rechtlichen Religionsgesellschaft zugehörig

72,6 %

(Quelle:http://de.wikipedia.org/wiki/Sachsen)

Bei den 1 Prozent «Sonstige» sind auch die Muslime in Sachsen statistisch zugeordnet. Bei einer Einwohnerzahl von vier Millionen Menschen sind demnach 40’600 Bewohner des Landes in «sonstigen» Religionen.

Es zeigt sich, dass die Pegida-Demonstranten mit ihren Programmen, welche die Politik gefälligst zu vollziehen habe, wenig bis nichts mit der Erhaltung des «Christlichen Abendlandes», dafür aber viel mit Rassismus und Xenophobie zu tun haben.

Die Legida-Demonstranten in Leipzig traten denn auch sehr naziaffin und gewaltbereit auf – wohl auch deshalb, weil die Leipziger Behörden und sehr viele Menschen aus der Stadt im Gegensatz zu den Verhaltensweisen vieler Menschen in Dresden gegen das verfassungswidrige Rassistengeschwätz im Vorfeld der Legida-Demonstration klare Kante gezeigt haben.



An Pegida-Aufmärschen überwiegen häufig die Gegendemonstranten, die wie hier in Frankfurt gegen rechte Ideologien auf die Strasse gehen.

An Pegida-Aufmärschen überwiegen häufig die Gegendemonstranten, die wie hier in Frankfurt gegen rechte Ideologien auf die Strasse gehen. (Bild: KAI PFAFFENBACH)

In Leipzig fand die Entlarvung der Pegida-Demonstranten statt. Aber auch das Dresdner Original hat sich inzwischen klar geoutet, indem der vormalige Pegida-Anführer Bachmann mit seinen Facebookeinträgen samt Bildmaterial deutlich gemacht hat, was seine wirklichen An- und schliesslich auch Absichten sind.

Im übrigen ist es ein Fakt, dass mit Ausnahme von Dresden in allen Städten Deutschlands, wo Pegida-Ableger ihre angebliche Wut gegen die Politik als Politgrösse herbei zwingen wollten, von vielen Bewohnern in Gegendemonstrationen der Kern der Pegida-Botschaft, nämlich verschwurbelt umschriebene  Xenophobie, zurückgewiesen worden ist – München, Berlin, Leipzig, Köln, Düsseldorf, Hannover, Würzburg sind Beispiele dafür.

Festzuhalten ist allerdings auch: Im medial ausgeleuchteten öffentlichen Raum in Deutschland, in den zahlreichen Talkshows der öffentlich-rechtlichen Sender sowie in vielen Radiosendungen existiert seit etwa zwei Monaten ein eigenartiges Missverhältnis in der Berücksichtigung von Wahrnehmungen über «Demonstrationen».

Politologe Patzelt verkündete, wie «normal» die Pegida-Demonstranten und wie verständlich ihre artikulierten Ängste seien.

Die Pegida-Geschichte, erkennbar eine lokale sächsisch-dresdnerische Angelegenheit, wird zu einem Nachrichtenriesen überhöht. Die bemerkenswerten Gegendemonstrationen in allen deutschen Metropolen ausser Dresden – aber auch dort, nach einer gewissen Verzögerung, – und in zahlreichen deutschen Gross- und Kleinstädten für soziale Vielfalt, für Offenheit und Toleranz gegenüber allen Minderheiten, für das fruchtbare, diskussionsbestimmte Zusammenleben innerhalb einer Gesellschaft, welche auf Zuwanderung schlicht angewiesen ist, und gegen die mediokren, fremdenfeindlichen «Abendlandbeschwörer» haben vor allem in den TV-Medien kaum Resonanz gefunden. Dort beschäftigte man sich dafür ausgiebig mit den angeblichen Ängsten der Leute, die von sich behaupten, sie seien «das Volk».

Bevor diese mediale Überhöhung des Dresdener Pegida-Phänomens so richtig ins Laufen kam, trat der Politologe Patzelt von der TU Dresden auf allen Kanälen des öffentlich-rechtlichen Rundfunks und Fernsehens in Deutschland  auf und verkündete, wie «normal» die Pegida-Demonstranten, wie berechtigt im Grunde genommen ihre Forderungen an die Politik und wie verständlich ihre artikulierten Ängste seien.

Plötzlich sprachen viele Journalisten über Formales, etwa darüber, dass der durchschnittliche Pegida-Demonstrant 48 Jahre alt, männlich, gut ausgebildet und gut verdienend sei. Das wüste Gehetze gegen «Ausländer», vor allem gegen «Flüchtlinge», welches an allen Dresdener Pegida-Demonstrationen tragender Bestandteil sowohl von Reden als auch von mitgetragenen Plakaten war, wurde häufig einfach ausgeschaltet – beispielhaft etwa bei Jauch in der ARD.

Mitte, nicht wahr, das sind wir doch alle.

Stattdessen erfolgte oft eine Art Kotau vor den Pegida-Leuten, was mit der Behauptung gerechtfertigt wurde, diese stammten «aus der Mitte der Gesellschaft». Wobei der Begriff «Mitte» nicht eine Art Beschreibung mit örtlicher Komponente darstellte,  sondern eine politische Verortung behauptete, etwa in dem Sinn: Mitte, nicht wahr, das sind wir doch alle.

Woher kamen solche Behauptungen? Nun, Professor Patzelt hat sie geliefert. Der hat eine «Studie» verfasst, deren Inhalt er mit Hilfe einer «Befragung» von 400 Demonstrationsteilnehmern (von ursprünglich 1000 geplanten Befragungen haben nur 400 Befragte geantwortet) belegte.

Inzwischen haben seine Fachkollegen und zahlreiche Studierende des Faches Politologie an der TU Dresden deutlich gemacht: Das, was Patzelt da veranstaltet hat, hat mit einer wissenschaftlichen Arbeit nichts zu tun. Da spielt sich einer auf und benutzt seinen Professorentitel, um der Pegida quasi einen sozial breit abgestützten Segen zu verleihen.

Nicht «dem eigenen Volk» angehörige Menschen sollen aus der nationalen Gesellschaft ausgegrenzt werden.

Was konkret vorhanden ist: Die Pegida-Inhalte sind altbekannt. Der Begriff Gleichberechtigung, die rechtsstaatliche Gleichheitserklärung eines jeden Menschen in der Tradition der Menschenrechtserklärungen, etwa durch die Französische Revolution und in der Verfassung der USA, soll abgeschafft werden.

Nicht «dem eigenen Volk» angehörige Menschen sollen aus der nationalen Gesellschaft ausgegrenzt werden. Ausgrenzen und «Ausschaffen» kennen in Europa auch eine Tradition, eine entsetzliche nämlich: Völkermord. Der europäische Judenmord. Der Mord an europäischen Sinti und Roma. Der Mord an den Kulaken, der Mord an politisch Andersdenkenden, der Mord an Hunderttausenden Kriegsgefangenen, der Mord an Minderheiten in den Bevölkerungen jeglichen Inhalts, etwa desjenigen der sexuellen Orientierung, des Geschlechts.

Aus der Erfahrung heraus, dass das Anderssein eines Menschen einen Grund für seine Tötung, oder seine «Ausschaffung» ins Nirgendwo ergab, wissen wir: Es fand eine angekündigte und gewollte Auslöschung statt. Was konkret heisst: Auslöschung eines Lebens, weil es das Leben einer Jüdin, eines Romakindes, weil es das Leben eines Romas, eines schwulen Deutschen, weil es das Leben eines Schwulen war.

Mit dem Recht eines jeden Individuums, als solches ernstgenommen zu werden, spielen auch manche Pegida-Versteher.

Auf dieser Erfahrung gründend existiert in Europa seit den späten Vierzigerjahren des letzten Jahrhunderts der Prozess einer Rechtsbindung innerhalb der europäischen Erklärung der Menschenrechte. Und es existiert eine Instanz, supranational zusammengesetzt und von politischen Strukturen unabhängig, welche die Konventionen für das Individuum schützt.

Kurz: Es handelt sich um das Recht eines jeden Individuums, als solches wahrgenommen und ernst genommen zu werden. Damit spielt auch ein Teil der Pegida-Versteher: Man erklärt, die Meinungs- und Demonstrationsfreiheit sei eines der höchsten Güter der Demokratie.

Dass die Pegida-Forderungen allerdings andere höchste Güter rechtsstaatlich organisierter Demokratie abschaffen wollen, etwa die rechtliche Gleichstellung aller, etwa die Prinzipien des Rechtsstaates, bezogen auf strafrechtliche Vorgehensweisen, wird einfach ausser Acht gelassen.

Was dann dazu führt, dass die Meinungsfreiheit – wie in einigen Fällen, welche die Polizei und die Staatsanwaltschaft in Dresden nachhaltig in Verruf gebracht haben (Pfarrer König aus Jena, Ministerpräsident Ramelow aus Thüringen) – von Kritikern der herrschenden CDU in Sachsen mit Vorsatz zu kriminalisieren versucht wurde.

Dem Ablehnen des Fremden steht das Prinzip der europäischen Menschenrechtskonvention gegenüber

Die Pegida-Forderungen sind nicht zufällig mit SVP- oder Front-National-, FPÖ- und Lega-Nord-Forderungen identisch, wenn es um Ausländer oder um Flüchtlinge geht. Denn den Rechtspopulisten überall in Europa ist – wie übrigens auch den Neonazis überall in Europa – die Abschaffung des individuell zu erfahrenden Rechts auf Gleichberechtigung wichtig. Sie wollen Pauschalisierungen. Pauschal also etwa: Leute aus Eritrea verdienen kein Asyl. Also raus mit ihnen. Oder: Muslime sind nur dann geduldet, wenn sie nützlich für die Wirtschaft sind. Sonst: Raus mit ihnen.

Das politische Prinzip in der Bevölkerungsfrage lautet für die Rechtspopulisten: Diskriminierung und gnadenhalber, jederzeit widerrufbar allenfalls Duldung des angeblich «Fremden». Wobei dieses «Fremde» natürlich nie definiert ist, weil man es ja ständig als Feindbild braucht, auch wenn gar keine «Fremden» örtlich erkennbar sind.

Also wird das Fremde derart verallgemeinert, dass daraus einerseits das Volk der Normalen und anderseits die Abnormalen, die Fremden werden. Fremd ist dann bei Bedarf auch der Schwule, der Mensch mit einer etwas dunkleren Hautfarbe und so weiter.

Dem steht das Prinzip der europäischen Menschenrechtskonvention gegenüber. Es beruht auf der individuellen Gleichberechtigung.

Insgesamt betrachtet habe ich die Vermutung, dass die Rechtspopulisten keinerlei Vorstellung über gesellschaftliche Prozesse kennen. Sie wollen zurück zur «Reinheit». Einer Reinheit, die es allerdings in keiner Gesellschaft je gegeben hat. Deshalb steht die Frage an, was «Reinheit» in irgendeiner Gesellschaft, bezogen auf deren Bevölkerung, bedeutet.

Es ist bezeichnend, dass es darauf aus den Kreisen der Rechtspopulisten in Europa keinerlei Ansatz einer Überlegung zu vernehmen gibt.

Aus diesem völkischen Reinheitsgedanken sind der Mord an über sechs Millionen Juden, an Hunderttausenden Sinti und Roma und schlussendlich der gewaltsame Tod von über 50 Millionen Menschen hervorgegangen.

Was wir aber wissen: Aus diesem völkischen Reinheitsgedanken sind, als er einmal an die Macht kam, mit Hitler und den Nazis in Deutschland, der Mord an über sechs Millionen Juden, an Hunderttausenden Sinti und Roma, der Mord an Millionen Russen, Polen, Serben, Griechen, an Zehntausenden Franzosen, Belgiern, Niederländern, Norwegern, Italienern und im Zweiten Weltkrieg der gewaltsame Tod von über 50 Millionen Menschen, zum grössten Teil Zivilisten, hervorgegangen.

Die Bilanz  von 13 Jahren Macht der «Reinen», der «Völkischen», des «Deutschen Volkes» von Nazis Gnaden ist derart, dass es sich meiner Ansicht nach verbietet, wieder in die Vorhölle einer sprachlichen Diskriminierung einzutreten, die seinerzeit sehr wohl vor dem – durchaus nach demokratischen Regeln erfolgten – Machtantritt der Nazis die deutsche Sprache und das «Wollen» der deutschen «Normalen» bestimmte: Die Hetze gegen «die Anderen» und «das Andere an sich».

Für mich bedeutet diese Erkenntnis, dass es gegenüber Hasspredigern aller Schattierungen, ob nun von völkischer oder von religiöser Infamie beherrscht, kein Verständnis geben darf, sondern nur die eindeutige Zurückweisung einerseits und das ständige Erläutern, Erklären, Hinweisen auf die reale Normalität des Vielfältigen, welches dem Menschen und den Menschen einfach eigen ist.

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