Kirchenvertreter halten Homosexuelle für abnormal – dagegen muss man sich wehren

Nachdem Irland ein Referendum zur Homo-Ehe angenommen hat, schimpft Kardinal Pietro Parolin über eine «Niederlage für die Menschheit». In der Aussage zeigt sich, wie verklemmt und unmenschlich die Haltung von bestimmten Kirchenvertretern ist.

Laut Katholiken sollen homosexuelle Paare «abnormal» sein: Eine Haltung, gegen die man sich zur Wehr setzen muss, findet Alois-Karl Hürlimann. (Bild: Reuters)

Nachdem Irland ein Referendum zur Homo-Ehe angenommen hat, schimpft Kardinal Pietro Parolin über eine «Niederlage für die Menschheit». In der Aussage zeigt sich, wie verklemmt und unmenschlich die Haltung von bestimmten Kirchenvertretern ist.

«Ich glaube, man kann nicht nur von einer Niederlage der christlichen Prinzipien, sondern von einer Niederlage für die Menschheit sprechen.» Das sagte laut «Spiegel» der Staatssekretär des Vatikan – in etwa der Premierminister des Papstes –, Kardinal Pietro Parolin zum Ausgang des Referendums über die totale rechtliche Gleichstellung der gleichgeschlechtlichen mit heterosexuellen Ehe in der Republik Irland.

Eine Niederlage der Menschheit?

Ein – vielen Menschen in dieser Zeit durchaus bekanntes – christliches Prinzip ist an sich das, was der Begriff «Nächstenliebe» auszudrücken versucht:

  • Liebe den Nächsten wie Dich selbst.
  • Achte auf den Nächsten wie auf Dich selber.
  • Beachte die Lebensgrundlagen des Nächsten, als seien es Deine eigenen.

Im allgemeinen Verständnis der Prinzipien des Christentums ist der Begriff Nächstenliebe der Fixpunkt, nach dem sich alles ausrichtet.

Es ist auf der Ebene dieses Begriffs, also auf der Ebene eines hauptsächlichen christlichen Prinzips, nicht zu akzeptieren, wenn ein hoher Hierarch der katholischen Kirche dann, wie im Falle des Referendums in Irland von einer «Niederlage der christlichen Prinzipien» spricht.

Parolin stellt das Menschliche an sich in Frage

Er sagte nicht: Ein Prinzip der katholischen Kirche, nämlich die Unauflöslichkeit und die sakramentale Bedeutung der Ehe zwischen Mann und Frau sei in Frage gestellt, stehe in der Diskussion, werde gesellschaftlich hinterfragt.

Er sagt nicht: Ein kirchenjuristisches Momentum sei durch ein staatsjuristisches Momentum in Frage gestellt oder in ein soziales Experiment hineingebracht worden.

Nein, er sagt etwas ganz anderes: Für ihn ist die Infragestellung allein von ihm abschliessend definierten «christlichen Prinzipien» weit mehr als eben eine Infragestellung, nämlich die Infragestellung des Menschlichen an sich.

Nach seiner Aussage ist diese Referendumsentscheidung in Irland, wo rund 62,5 Prozent der Wählenden – und das bei einer sehr hohen Wahlbeteiligung – die rechtliche Gleichstellung aller Ehen zwischen erwachsenen Menschen in der Verfassung bestimmt haben, eine «Niederlage der Menschheit».

Kein Platz im Weltbild der Katholiken

Mit anderen Worten: Die Entscheidung ist laut Vatikanstaatssekretär gegen die Interessen «der Menschheit» gerichtet. Denn eine «Niederlage für die Menschheit» ist nichts anderes als ein Verlust für «die» Menschheit, also für «alle» Menschen.

Wenn man es mit der Sprache etwas genauer nimmt, schliesst sich aus diesem Satz das Folgende als logische Konsequenz an: Nicht zur Menschheit gehören nach dieser Lesart jene Menschen, die durch die Entscheidung der irischen Referendumsmehrheit profitieren, indem sie konkret einen gleichgeschlechtlichen Partner mit exakt den gleichen rechtlichen Bedingungen und Folgen heiraten können wie ein heterosexuelles Paar.

Solcherlei gehört nach dem Vatikanhierarchen Pietro Parolin nicht «zur Menschheit». Solcherlei zivilrechtlich eingeführt bedeutet eine «Niederlage der Menschheit».

Anders gesagt: Von Gleichheitsgarantien staatlicher oder auch, was die Gnadenerweise Gottes betrifft, kirchlicher Observanz, vom Schutz ihrer Persönlichkeitsrechte ausgenommen sind Lesben und Schwule. Weil sie nicht heterosexuell veranlagt sind, sind sie, um das deutlich festzuhalten, nicht der Norm «der Menschheit» entsprechend im Leben unterwegs, also «abnormal». Folglich haben sie im Grunde genommen innerhalb der Menschheit in der Definition des  Kardinalstaatssekretärs im Vatikan keinen Platz.

Päpste kommen und gehen, die konservative Haltung bleibt

Einer, der es im Vatikan zum Staatssekretär gebracht hat, ist geübt darin, kirchenjuristisch exakt zu formulieren. Er ist geübt darin, keinen Gedanken zu irgend etwas zu äussern, bevor er ihn nicht mit allen möglichen Hierarchen neben und vor allem über sich auf Zulässigkeit und auch auf Konformität hin abgesprochen hat.

Ob der Kardinalstaatssekretär den Gedanken, wonach die Gleichstellung der gleichgeschlechtlichen Ehe mit der heterosexuellen Ehe eine «Niederlage der Menschheit» sei, mit dem Papst abgesprochen hat?

Nun, das spielt für seine Absicherung vermutlich kaum eine bestimmende Rolle. Jedenfalls kann man den Satz in diese Richtung deuten: Wichtig ist im Vatikan nach wie vor die Herrschaft von Kardinälen, Erzbischöfen und sonstigen – selbstredend ehelosen, männlichen – Hierarchen, welche ihre Himmelreiche nicht im Jenseits, sondern standfest hienieden, im Vatikan nämlich, eingerichtet haben.

Päpste, so diese Lesart, kommen und gehen, neuerdings treten sie sogar zurück. Was standfest bleibt, ist die hierarchisch abgeriegelte Glaubensverwaltung, die nach allen Regeln des absolutistischen Herrschens allein und endgültig (unfehlbar) bestimmt, was in der katholischen Kirche schlussendlich ist und was nicht ist.

Unter Johannes Paul II. zum Schweigen verurteilt

Wer meint, solcherlei könnte sich zur Zeit mindestens in vielen Fragen ändern, übersieht oder hat vergessen, was nach dem zweiten Vatikanischen Konzil geschehen ist: Vor allem durch die Herrschaft des polnischen Papstes Johannes Paul II. wurden etwa sämtliche Bewegung aus den Ortskirchen heraus, wurde das, was Bischofskonferenzen in Sachen Sozialgerechtigkeit (Stichwort: Befreiungstheologie), Geburtenplanung, Ehe, Homosexualität, Pastorale insgesamt an den Vatikan herangetragen haben, weggewischt.

Zahlreiche innerkirchliche «kritische Geister», im Zweiten Vatikanischen Konzil immerhin angehört, ja zu Mitarbeitern zahlreicher Bischöfe ernannt, wurden abgemahnt, wurden von ihrer Lehrbefugnis entbunden und zum Schweigen innerhalb der Kirche verurteilt. Nur wenigen ist es gelungen, dieser während der Amtszeit des polnischen Papstes und auch jener seines Nachfolgers entwickelten vatikanischen Diktatur über Fragen gegenwärtiger, äusserst heterogen daherkommender Lebensgrundlagen der Menschen insgesamt zu widerstehen. Viele Stimmen verschwanden.

Dafür kletterte unter anderen auch jener Karrieretypus die Hierarchiestufen hoch, der in Personen wie dem inzwischen über Peinlichkeiten eines personenbezogenen Luxusgehabes unmöglich gewordenen Bischofs von Limburg oder in jenem total freudlosen, von winkeladvokatisch aufgezogener und biederer Rechthaberei in seinem Auftreten geprägten Churer Bischof Beispiele aus dem deutschsprachigen Raum abgeben.

Naturrecht? Damit hat es nichts zu tun

Was die katholische Kirche und die Sexualität betrifft: Warum nur tritt diese Kirche ex catedra seit langer Zeit derart körperfeindlich, derart lebensfeindlich und mit  kirchenstrafrechtlich ausgerüsteter Verurteilungshaltung an, sobald es um jene Ausdrucksformen des Lebens geht, welche eben nicht nur Kinderzeugung, sondern auch Ausdruck von Lebenslust, von Zugehörigkeit, von Freude am Andern ist? Warum existiert ein Kirchenkatalog voller Verwerfung des schlicht Gegebenen, nämlich der Sexualität als einer der existentiellen Lebensgrundlagen?

Das sei dem Naturrecht geschuldet, wird behauptet. Dieses Naturrecht weist nach Ansicht der katechetisch vorgetragenen katholischen Morallehre der Sexualität ein einzige Berechtigung zu: das Zeugen des Nachwuchses.

Mit «Natur» hat solcherlei allerdings nichts zu tun, mit «Recht», das sich laut katholischer Moraltheologie aus der Natur ergebe, ebenso wenig. Zu tun hat es mit den Diktatgelüsten besserwissender Religionsverwalter. Religion ist dafür da, ihren Anhängern Angst einzujagen. Der «furchtbare Gott», der «strafende Gott», der «Allmächtige», dessen Allmacht Religionsstifter und vor allem die ganzen auserwählten Priesterschaften den dummen, unwissenden, für die Gnade Gottes ohne ihre Hilfe nicht würdigen oder empfangsbereiten Gläubigen am laufenden Band erläutern müssen: Du darfst nicht!

Galileo Galilei – das ist längst vorbei

Wenn dies wenigstens unter dem Vorbehalt des immer möglichen menschlichen Irrtums geschehen würde. Also unter dem Vorbehalt zeitgebundener Erkenntnisse. Aber die katholische Kirche tritt seit dem ersten Vatikanischen Konzil, also seit etwa 140 Jahren, mit dem Anspruch der päpstlichen Lehr-Unfehlbarkeit auf.

An sich und in sich eine Ungeheuerlichkeit gegenüber dem Menschen und den Menschen und dem einen individuellen als auch den unzähligen sozialen Lebensprozessen gegenüber.

Erinnert man die Kirchenoberen an jemanden wie Galileo Galilei, dann sagen die sofort und meistens süffisant besserwissend gestimmt: Aber das war doch früher, das ist längst vorbei.

Dass Galileo Galilei erst kürzlich, rund 400 Jahre nach seinem Tod, kirchlich rehabilitiert wurde, übergeht das klerikale Getue genau so wie die Tatsache – und das ist nun sehr auch in der Gegenwart angesiedelt –, dass es wohl ausser der klerikalen Struktur der katholischen Kirche keine andere weltweit auftretende Institution mit einem derart auf Sexualität, auf deren Unterdrückung, deren verklemmte Anwendung, deren kriminelle Erpressung und Ausbeutung  fixierten Gruppen – ja hauptsächlichem Institutionsverhalten gibt.

Man muss sich zur Wehr setzen

Man darf sich als schwuler Zeitgenosse weder von einem Kardinalstaatssekretär noch von irgend einem Bischof, weder von einer Religionsdogmatik noch von pietistisch-frömmelnden, oft genug auch grad noch rechtsnationalistischen Kreisen nicht in die Ecke des «Geduldetseins» drängen lassen.

Das Selbstbewusstsein, in vielen teilweise schwierigen Prozessen und Auseinandersetzungen entstanden, darf man sich nicht durch Kleriker eintrüben lassen. Man muss sich gegen die Anmassungen kirchenjuristischer Ungleichheitsansprüche zur Wehr setzen.

Als Denkanregung sei zum Schluss Ernst Bloch zitiert:

«Ich bin.
Aber ich habe mich nicht.
Darum werden wir erst.
Das Bin ist innen. Alles innen ist an sich dunkel. Um sich zu sehen und gar was um es ist, muss es aus sich heraus….»

(Ernst Bloch, Tübinger Einleitung in die Philosophie, Zugang aus sich heraus)

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