Menschenrechte – viel Lärm um viel

Schwule, Ausländer, «Asylanten» – Rechtspopulisten konstruieren ein «Wir», um «das Fremde» auszuschliessen. Dagegen braucht es Widerspruch – im Namen jener Heterogenität, welche jede Gesellschaft ausmacht, in der es demokratisch, freiheitlich-liberal und deswegen notwendigerweise rechtsstaatlich zu- und hergeht.

TORONTO, ON - SEPTEMBER 29: Unheard of 20 years ago, blacks and whites march side by side. 300 participants came out to the 8th annual Soweto Gay Pride Parade. This parade would have been unheard of 20 years ago. In addition to people being openly gay in public, there was also a small number of white gays and lesbians mixing with their black counterparts South Africa has gone through decades of upheaval and transformation. It's been 18 years since the end of Apartheid and South Africa hasn't quite lived up to the promises of Mandela and the early years of the new state. 12-09-29 Richard Lautens/Toronto Star Lautens/Africa (Richard Lautens/Toronto Star via Getty Images)

(Bild: Getty Images)

Schwule, Ausländer, «Asylanten» – Rechtspopulisten konstruieren ein «Wir», um «das Fremde» auszuschliessen. Dagegen braucht es Widerspruch – im Namen jener Heterogenität, welche jede Gesellschaft ausmacht, in der es demokratisch, freiheitlich-liberal und deswegen notwendigerweise rechtsstaatlich zu- und hergeht.

«Menschenrechte sind voraussetzungslos. Sie können und müssen nicht verdient werden. Es gibt keine Bedingungen, die erfüllt sein müssen, damit jemand als Mensch anerkannt und geschützt wird. Zuneigung oder Abneigung, Zustimmung oder Abscheu zu individuellen Lebensentwürfen, sozialen Praktiken oder religiösen Überzeugungen dürfen keine Rolle spielen. Das ist der Kern einer liberalen, offenen, säkularen Gesellschaft.» 
Carolin Emcke, aus ihrer Rede zur Überreichung des Friedenspreises des Deutschen Buchhandels 2016, 23. Oktober 2016, Paulskirche, Frankfurt am Main

Seit einiger Zeit geht es in der publizistischen Öffentlichkeit um mehr als die Deklamationen oder die «Werbung» für oder gegen politisch ideologisierte Ideen. Es geht auch um mehr als blosses Aufmerksamkeitsheischen oder um sogenannte «Provokationen».

Bezogen auf die voraussetzungslose Gültigkeit der Menschenrechte kennt man inzwischen die provokanten «Sprüche», mit denen Stimmung exakt gegen diese Voraussetzungslosigkeit erzeugt werden soll:
Stimmungsmache gegen bestimmte Menschengruppen, Stimmungsmache mit «Inhalten», welche «das Volk», also «die Mehrheit» vorschreibt, damit man von ihm, «dem Volk» dieser Mehrheit, überhaupt geduldet wird.

Wer nicht angehören darf, wer wegen angeblich mangelnder «Assimilation», fälschlicherweise «Integration» genannt, nicht geduldet ist, wird abgeschoben, wird entrechtet und schliesslich zum Verschwinden gebracht. Natürlich «nur» verbal, nur «provokativ», nur im Sinn, dass «man» die «freie Meinungsäusserung» vor angeblich alles verbietender «politischer Korrektheit» retten wolle oder müsse. Oder im Sinn wahlkämpferischer «Verdeutlichung.»

Einige Beispiele:

«Das Schlimmste ist ein fussballspielender, ministrierender Senegalese. Der ist drei Jahre hier – als Wirtschaftsflüchtling – den kriegen wir nie wieder los.»
CSU-Generalsekretär Scheurer

«Steht bei Dir ein Asylant im Keller, war Sommaruga schneller!»
Tweet von A. Glarner, SVP-Nationalrat

Und wenn wir grad bei Glarner sind:

 
Weiter:

«Wir haben bei uns ein klares System: Homosexuelle können Lebenspartnerschaften anmelden. Aber sie können keine Ehen schliessen und keine Kinder adoptieren. Das ist seit 20 Jahren Gesetz, wurde schon Anfang der 1990er-Jahre vom Verfassungsgericht bestätigt und darauf bestehen wir mit unserem neuen Verfassungstext. Geändert hat sich nichts.»
Victor Orban, ungarischer Ministerpräsident 

«Ich könnte auf der 5th Avenue stehen und jemanden erschiessen und würde keine Wähler verlieren.»
Donald Trump

Oder:

 

Die hier zitierten Sprüche von Politikern und das Plakat der Basler SVP erscheinen auf den ersten Blick als Übertreibungen oder als unhöfliche Aussagen gegen Personen, die man nicht mag. Ihre scheinbare Alltäglichkeit soll Ausdruck von «Volkes Stimme» sein, soll ausdrücken, was «doch noch gesagt werden darf».

Die Botschaften, welche durch solche Zitate in den Alltagssprachgebrauch gestellt werden sollen:

Was soll durch diese Zitatbeispiele «noch» genau gesagt werden dürfen?
Wo steckt die Botschaft, wenn es denn eine Botschaft sein soll?

1.
Der «Senegalese» ist per se ein «Wirtschaftsflüchtling». Der haut zu Hause ab, um «bei uns» zu Geld aus den staatlichen Sozialkassen zu kommen. Wenn er sich hier etabliert hat, zieht er seine Brüder nach. Und «wir» werden von «Schwarzen überflutet». Wir sind dann nicht mehr bei uns zu Hause.

«Der Senegalese» ist natürlich von anderer als «unserer» Hautfarbe. Propagiert wird mit diesem Satz nicht nur schlichter Rassismus – ein Schwarzer ist es nicht wert, dass man ihn als Menschen anerkennt – vielmehr wird zugleich behauptet, er sei «bloss» ein «Wirtschaftsflüchtling».

Ein ministrierender Schwarzer, der auch noch Fussball spielt, ist eine Falle: Am Ende gewöhnen wir uns noch daran.

Unterstellt wird in der Folge weiter, dass es bei «uns» so dumme gläubige Katholiken oder sonstige Einheimische gibt, die nicht sehen wollen, dass ein ministrierender Schwarzer, der im Dorfklub auch noch Fussball spielt, eine Falle ist! Die Falle besteht darin, dass «wir uns» an «Schwarze unter uns» gewöhnen. 

Und dann: Eines Tages sind dann diese Schwarzen, eh gebärfreudig und kinderreich, in der Mehrzahl und «wir» können dann schauen, wo wir bleiben. Am schlimmsten wird es, wenn Schwarze «uns» dann auch noch «unsere Mädels» wegnehmen. Die scheuen ja nicht vor Vergewaltigungen zurück, auch nicht vor Sex-Anmache sondergleichen. Und viele «unserer Frauen» sind nicht genügend abgehärtet, diesen Versuchungen zu widerstehen.

2.
Man sollte den SVP-Nationalrat Glarner nicht allzu sehr damit bedienen, dass man seine Hetzsprüche weiterverbreitet. In diesem Fall aber ist es sinnvoll, zu überlegen, was als Botschaft gedacht und als scheinbare «Spontaneität» getwittert wird. Hinter drei Wörtern stehen drei Botschaften:
Ein Mensch auf der Flucht ist immer ein Asylant. Korrekt hiesse der Begriff Asylsuchender, weiblich: Asylsuchende. Bei der SVP-Generalsprachlinie über das «Asylwesen» heisst es immer nur Asylant respektive im Plural Asylanten. In der deutschsprechenden Schweiz ist dieser Begriff längst salonfähig geworden und gilt auch in zahlreichen redigierten Medienveröffentlichungen als «alltäglich» anwendbar.

Diesem «allgemein anwendbaren» Begriff fügt Glarner – vielleicht nicht nur aus eigener Wort- oder Symbolerfindung stammend – das Wort «Keller» bei. «Asylant im Keller» unterstellt auch, dass Asylsuchende in Keller eingesperrt gehören. Keller sind keine Aufenthaltsräume, klar. Für Asylanten aber genügen Keller als Zuweisungsorte. Dann spricht sich «im Ausland» herum, dass man sie «bei uns» nicht haben will. Und dann gehen sie sicher woanders hin oder bleiben dort, wo sie hingehören, nämlich in Afrika oder sonstwo.

Im «Keller» sein heisst, dass sie kein Tageslicht sehen sollen, dass sie nicht am Leben teilnehmen können. Versteckt, abgelegt, aus den Augen, aus dem Kopf von «unsereiner».

Und zu all dem gehört dann natürlich auch noch die von der SVP-Propaganda seit Jahren aufgebaute Hassfigur, Bundesrätin Sommaruga. Die war also «schneller». Was nach Glarners doppelbödiger Botschaft verändert werden muss. Damit «unsere Keller» eben nicht von Asylanten verdreckt werden, sondern in ihnen «unsere» Gartengeräte, «unsere» Kartoffelvorräte und «unsere» Weingestelle ungestört vor sich hin schlummern können. Sommaruga muss das «Handwerk» gelegt werden. Man muss sie verjagen, muss ihren Posten am besten abschaffen, dann gibt es auch keine Gesetze mehr, die man einhalten müsste.

3.
Homosexuelle bilden in zahlreichen gesellschaftlichen Auseinandersetzungen immer wieder eine Minderheit, über die aus dem Selbstverständnis des «Normalen» heraus gegen «Abartigkeit», stellvertretend gegen all das «Andere an sich», das die Gesellschaft «krank», «unmännlich», «unmütterlich» Machende gesprochen wird. Schwule und Lesben sollen froh sein, dass man sie leben lässt. Zur Zeit wird in Europa Homosexualität vielerorts als Lebensgestaltungsform mehr oder weniger anerkannt (Ausnahmen existieren verbal und teilweise auch gesetzgeberisch in Polen und Ungarn).

Aber:
Man habe, sagt also der ungarische Premier Viktor Orbán, ihnen ermöglicht, sich in Lebenspartnerschaften anmelden zu können. Mehr sei nicht «christlich», nicht «abendländisch» und vor allem für die Nation nicht zumutbar. Die Botschaft lautet: Wer nicht den Normen der klassischen Ehe und damit der einzig richtigen Familienstruktur entspricht, kann keine Ehe schliessen und auch keine Adoption von Kindern vornehmen. Dies bedeutet konkret unter anderem, dass Patchwork-Familien immer heterosexuelle Paarstrukturen aufweisen müssen, sollen in ihnen Kinder leben.

Schwule und Lesben bilden eine Minderheit, welche der Rechtsnationalismus und der Rassismus in der Vorratskammer haben.

Schwule und Lesben, dies die doppelbödige Botschaft von Orban, aber auch von Politikerinnen und Politikern der CVP und der SVP in der Schweiz, sind heute «leider» nicht mehr einfach zu kriminalisieren, wenn sie sich öffentlich zu ihrer sexuellen Orientierung bekennen. Das «leider» tönt für unsereiner, die Schwulen und Lesben, allzu häufig immer wieder mit.

Darin versteckt sich eine Drohung: Wenn ihr euch nicht mit dem zufrieden gebt, was wir euch «bewilligen», werden «wir» eure Rechte, die wir nicht verhindern konnten, ganz rasch wieder abschaffen, wenn «wir» dazu die Macht erhalten. Schwule und Lesben bilden eine Minderheit, welche der Rechtsnationalismus und der Rassismus quasi in der Vorratskammer haben und von dort abrufen, wenn sie es für rentabel halten.

5.
Trumps Tweetsprache ist inzwischen allgegenwärtig. Seine Selbstvermarktung beruht auf seit Jahrzehnten eingeübten und ins kleinste Detail aus der Meinungsforschung und der Verhaltenspsychologie-Forschung aufbereiteten «Verkaufsbotschaft»-Permanenz vor allem durch die Television. Im Gegensatz zur Television verschwindet aber der Tweet – wie auch etwa Facebook oder gar Mails, kurz: das Internet – nicht einfach im Nichts einer Dauerperformance, welche Aktivität, also «Antwort», gar nicht zulässt.

Tweets bleiben im digitalisierten öffentlichen Raum erst einmal einfach stehen. Jedermann kann sie abrufen, man kann auch nach Stunden oder Tagen nachschauen, was da geschrieben, gefilmt oder gesagt wurde. Auch von wem, sofern man unter Klarnamen publiziert – was Politikerinnen und Politiker natürlich tun müssen, wenn sie Botschaften an die Welt ihrer Anhänger senden wollen. Um Botschaften wieder aus der Welt zu schaffen, braucht es viel grössere Zeitaufwendung als dafür, sie zu schreiben, zu filmen oder vorzusprechen. Dieser Umstand ist vielen Politikerinnen, Politikern, Wirtschaftsbossen, Journalistinnen und Moderatoren schon zum Verhängnis geworden.

Trump macht das, was seine Anhänger nicht können. Er schiesst scharf. Und sie wollen immer intensiver, dass er scharf schiesst.

Trump benutzt diese Gefahr als Aussage-Hebel, um ihr quasi von Vornherein die Realisierungsmöglichkeit eines Misslingens seiner Botschaft zu nehmen: Er übertreibt derart, dass die Übertreibung zur Posse wird. Posse heisst dann Humor. Humor bedeutet für die meist passiv dasitzenden «Zuschauergenerationen» Unterhaltung.

Unterhaltung ist erst einmal ein Nichts, wenn es zum Beispiel um Machtpolitik geht. Das Nichts füllt die Aufnahmefähigkeit der «Zuschauergeneration». Nachrichten über Politisches haben keinen wirklichen Platz mehr in diesem «Zeittotschlaggefüge». Nur durch «Unterhaltung», bestehend aus möglichst einfacher, «gewöhnlicher», vor allem provokanter Sprache gegenüber «Correctness», bindet man Zuschauer, Zuhörer an Unterhaltungsformate. Aus denen können Anhänger von Moderatoren werden, und seien es solche, die aus lauter Gewohnheit, von einem wie Trump unterhalten zu werden, dessen Sprache übernehmen, dessen Botschaften für Realität halten. Wahr wird dann, was unterhält.

Trump sagt: Seht, ich bin ein Macho. Seht, wir können alle Machos sein. Wir müssen uns nur getrauen. Da ich berühmt bin, mache ich es, wie ihr es ja auch wollt. Ich mache es für euch. Er ernennt sich zum Vollzieher der Macho- und vor allem der Rachegelüste, welche viele unter der «Zuschauergeneration» mangels wirklicher interessanter Lebenslauferfahrung entwickelt haben. Er macht das, was sie nicht (mehr) können. Er schiesst scharf. Und sie wollen immer intensiver, dass er scharf schiesst.

Er wird ihr Scharfrichter, ihr Rächer.

Das ist Trumps Werbemethode. Und es ist die Methode zahlreicher Rechtspopulisten. Man darf sagen, was «wahr» ist! Und weil das, was gesagt wird, also, dass es die terroristischen Muslime, die bösen Schwulen, die Clintons, die mexikanischen Kriminellen, die Latinos und die «Lügenpresse» sind, welche «unser Leben» kaputt machen, muss man «uns», die Populisten, wählen und «uns» dann machen lassen.

Warum Widerspruch gegen die Trumps wichtig ist:

Die zuletzt kurz vorgestellte Methode von Trumps Wahlwerbung wird auch von anderen populistisch auftretenden Machtanstrebern verwendet, um sich rund um die Uhr in den Nachrichten, vor allem aber in den TV-Talks zu halten. Talkselfies sind diesen Leuten das Wichtigste: Ein wenig randalieren, den «anderen» ständig dreinreden und immer wieder behaupten, eben diese anderen liessen einen nicht zu Wort kommen. Dafür gibt es auch schweizerische Beispiele.

Grob gesehen kann man über das Aufkommen dieser nationalistischen Propaganda in eine permanente Schrei-Position im öffentlich ausgetragenen Diskurs festhalten:
Zwischen dem Ende des 2. Weltkrieges und der grossen Bankenkrise 2008 hatten diese Figuren – heute im Allgemeinen Rechtspopulisten genannt – in Westeuropa kaum eine Chance auf Übernahme von politischer Macht durch demokratisch organisierte Wahlen.

Es gab in Westeuropa einen Militärputsch, der für einige Zeit zu einer Obristendiktatur führte (Griechenland). Es gab einen Militär-Putschversuch in Frankreich, der zwar mittelbar die vierte Republik beendete, der aber mit der Ernennung de Gaulles zum Ministerpräsidenten durch das gewählte Parlament sofort entmilitarisiert und rechtsstaatlich abgesichert wurde – was zur Bildung der Präsidialregierung in der 5. Republik führte.

In der unmittelbaren und inzwischen auch der mittelbaren Folge der Bankenkrise hat sich aber die Glaubwürdigkeit von Politik und zu Wirtschaftsführungen für sehr viele Bürgerinnen und Bürger, lange Zeit beinahe unbemerkt, massiv verändert. Es ist eine anhaltende Vertrauenskrise entstanden. Eine, die überall in Europas heute zwischen 20 und 35 Prozent der wählenden und abstimmenden Bevölkerungen zur Abgabe von Proteststimmen führt.

Es ist nicht schwierig, den islamistischen Terror als ein Nebenprodukt der Ressourcenjagd von Unternehmenskonglomeraten zu erkennen.

Diese Krise ist keineswegs «ausgestanden», vielmehr hat sie eine für sehr viele Bürgerinnen und Bürger überhaupt nicht mehr zu überschauende Lebenssituationen geschaffen, aus der heraus etwa in den USA Millionen Menschen in schlichter Wohnungslosigkeit, in Not, in Armut landeten. Es sind Zukunftsängste entstanden, die lange nicht wahrgenommen worden sind.

Bei genauerem Hinsehen kann man erkennen, dass es sich um Globalisierungsphänomene handelt, die Angst erzeugen. Angst erzeugen auch die zahlreichen Gewalt- und Bürgerkriegssituationen vor Europas Haustüre. Es ist nicht allzu schwierig, den islamistischen Terror als ein Neben- oder auch als ein Hauptprodukt der Ressourcenjagd von riesigen Unternehmenskonglomeraten zu erkennen. Das macht auch ohnmächtig, weil erkennbar ist, dass diese anonymen Financiers des Todes nicht fassbar sind.

Die Flüchtlinge, welche nach Europa strömen, fliehen, um weiterleben zu können. Mit anderen Worten: Globalisiert ist nicht nur die sogenannte Finanzkapitalwirtschaft, nicht nur die Produktionswirtschaft, etwa die Agrochemie, die Autoindustrie oder die Energieherstellung. Globalisiert ist auch die Klimasituation, in deren Windschatten sich die Lebensmöglichkeiten vielerorts radikal verändern, ohne dass dort Ressourcen für die Angleichung von Wohn- und Arbeitsraum an die klimatischen Voraussetzungen gegeben wären (Beispiel Bangladesch, wo in absehbarer Zeit für über 160 Millionen Menschen kein Lebensplatz mehr zur Verfügung stehen könnte, weil der Lebensraum überflutet werden wird). Globalisiert ist die unmittelbare Nachbarschaft von Glanz und Elend.

Die Zeit läuft.

Es gibt zahlreiche Gründe, dass sich auch die Gewalt gegen Menschen, die tägliche Verletzung der Menschenrechte an Millionen Menschen globalisiert hat. Was im syrischen oder im libyschen Bürgerkrieg geschieht, wirkt sich innert kürzester Frist auf Europa aus. Wie der mexikanische Drogenkrieg geführt wird, wird durch US-Politik mitbestimmt. Die korrupten Oligarchen in der Ukraine bestimmen genauso wie die EU, Russland oder die USA mit, wie es um den Bürgerkrieg in der Ostukraine steht.

Nur:
Genau diese Oligarchen, korrupt, aber mit Privatarmeen und beispielsweise ihrer Bankenmacht Teil der ukrainischen wie der dort am laufenden Band versagenden resteuropäisch-russischen Politik, kommen in den öffentlich geführten Diskussionen über die Ukraine nicht vor.

Es gibt zu viel Leerraum, den der Rechtspopulismus, aber auch «links» daherredende Vereinfacher mit ihren Rezeptangaben füllen. Ihre Rezepturen handeln immer von Ausweisung, von Abschiebung, von Rechtsverletzung zugunsten der «Einheimischen», zu Gunsten der «Nation». Sie schüren Fremdenangst.

Das «Fremde» muss durch die Populisten mehr oder weniger neu erfunden werden.

Gerade dies aber ist gar nicht so einfach, wie es gemeinhin dargestellt wird. Viele «Fremde» – also beispielsweise zahlreich in europäischen Ländern lebende Muslime, Schwarze, Polen in Grossbritannien, Türken in Deutschland, Maghrebiner in Frankreich oder Albaner in der Schweiz, sind «unsere» Nachbarn. Seit Jahren, seit Jahrzehnten lebt man zusammen und hat sich nicht nur aneinander gewöhnt, sondern hat auch voneinander vieles gelernt, vieles abgeguckt, etwa was die Küche, was das Essen betrifft: Da ist eine beeindruckende Vermischung entstanden, welche nirgendwo, vor allem nicht nördlich der Alpen, wegzudenken ist.

Also muss das «Fremde» durch die Populisten mehr oder weniger neu erfunden werden. Es wird folglich von Asylschwemme geredet. Wenn das nichts bringt, wechselt man auf «Ausländerkriminalität». Aber auch da gibt es jenseits von Taschendiebstählen kaum wirklichen Handlungsbedarf. Daher kommen Verhaltensweisen oder Kleiderfragen an die Reihe. Der «Muslim an sich», die Burka, die vielerorts gar nicht vorkommt, dann das Kopftuch und notfalls, etwa in Ungarn oder in Polen längst auch wieder die Kipa.

Vergewaltigungsversuche junger «Asylanten» werden breitgeschlagen, aber die zahlreichen sexistischen Frauenverhunzungen durch Trump und seinesgleichen werden als «männlich», als «normal» verteidigt – und man hetzt dann grad gegen «Genderforschung», gegen die «Dominanz» der Schwulen in der Öffentlichkeit und so weiter.

Programme, die zu einer wirklichen Verbesserung schwieriger, angstmachender Lebenssituationen vor Ort, im eigenen Land, in Europa usw. führen könnten, existieren bei den Angst- und Hassverbreitern nicht. Ihr Programm besteht darin, rassistische Vorurteile so zu verstärken, damit, so ihre Berechnung, daraus ihre Machtübernahme entstehen könnte.

Und dann?
Konkret?

Widerspruch, Kritik, lautstark und auch leise vorgetragen, ist notwendig, wenn man nicht wieder eines durchaus nicht so fernen Tages dort aufwachen will, von wo man in Europa nach zwei Weltkriegen – deren zweiter die damaligen Rechtsnationalisten und Rechtspopulisten, Judenhasser und Minderheitenverfolger überall in Europa gewollt haben, um ihre Macht über den Rest der Welt im Namen ihrer Rasse für ewig einzurichten – sich mühsam aus dem Untergang wieder aufgerichtet hat.

In 70 Jahren seither ist, nicht nur, aber auch, ein Bewusstsein für jene Heterogenität entstanden, welche jede Gesellschaft ausmacht, in der es demokratisch, freiheitlich-liberal und deswegen notwendigerweise rechtsstaatlich zu- und hergeht.

Die angeblich reine, nationale oder «rassistisch» einheitliche «Mehrheit» existiert nur auf den Propagandaflyern der SVP, des Front National, der FPÖ, von Fidez oder den Superkatholiken in Polen. «Das Volk» existiert nirgendwo als Einheitsguss. Es ist vielmehr immer die Versammlung der Individuen in einem bestimmten Land, einer Stadt, auf einem Kontinent.

Individuen aber sind existenziell voneinander verschieden. Jedes Leben ist auch ein Einzelleben. Diese Verschiedenheit und ihr soziales Kompendium andererseits gerade auch vor Ort, in der Nachbarschaft, im eigenen Haus sind, zusammen zu verstehen, für uns lebensbestimmend, sie sind vor allem selbstverständlich. Sie machen aus, was wir Menschrechte nennen. Sie gilt es zu verteidigen. Laut. Deutlich.

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