Die Ausstellung «Semiwild – or unlimited desire» ist ein wahrer Glücksfall für das Museum der Kulturen Basel. Die New Yorker Künstlerin Ania Soliman kombiniert darin eigene Werke mit Museumsstücken. Auf hintersinnig-sinnliche Art regt sie so zum Nachdenken über das Sammeln und Ausstellen von ethnologischen Objekten an.
Im dritten Stock des Museums der Kulturen steht eine grössere Gruppe von Holzfiguren. Sie alle sind bis auf eine von den Eintretenden abgewandt. Ihre Blicke sind auf eine Zeichnung gerichtet, die an der Rückwand hängt.
Die Holzfiguren sind alles Sammlungsstücke aus Ozeanien, Frauenfiguren mit zum Teil schwangeren Bäuchen und verdeckter Schamgegend, Männerfiguren mit unverhülltem Geschlechtsteil. Ausgewählt hat diese Figuren die in Warschau geborene und in New York lebende Künstlerin Ania Soliman. Von ihr stammen auch die Zeichnungen und Bilder, die an den Wänden hängen. Darunter die durchscheinend wirkende Zeichnung, auf die die Blicke der Holzfiguren gerichtet sind. Die Zeichnung trägt den Titel «Freud’s Desk» und zeigt einen vielschichtigen Einblick in das Studierzimmer des berühmten Begründers der Psychoanalyse Sigmund Freud.
Überraschende Konfrontationen
Eine Ethnologin wäre wohl kaum auf die Idee gekommen, Figuren aus Ozeanien mit Sigmund Freud in Verbindung zu setzen. Eine Künstlerin aber kann und darf in Umwegen denken und Verknüpfungen schaffen, die sich erst auf den zweiten Blick als schlüssig erweisen. Über Freud, seine Ausführungen zur triebhaften Urtümlichkeit und deren Zähmung durch Kultur wollen wir uns hier nicht länger ausbreiten. Soliman stellt diese Konfrontation unter den Begriff «Aneignung»; sie geht der Frage nach, wie sehr Objekte aus fernen Kulturen mit ihrem Transfer nach Europa zum Teil der hiesigen Kultur werden.
Interview mit Anna Schmid
In unserer Wochenausgabe vom 4. April 2014 lesen Sie ein ausführliches Interview mit Anna Schmid, der Direktorin des Museums der Kulturen Basel. Sie äussert sich darin über die Ausstellung «Semiwild – or unlimited desire» sowie über die Neuausrichtung des Museums, für die diese Ausstellung ein gelungenes Beispiel darstellt.
Die Ausstellung «Semiwild – or unlimited desire» ist in sechs Kapitel unterteilt. Sie alle sind mit Fragen verbunden, mit denen Ania Soliman die Bedeutung der Objekte, deren Entstehung, ihre Rezeption, ihren Wert und deren Einnahme durch die westliche Kultur hinterfragt. Eine andere Zeichnung im Kapitel «Aneignung» zeigt einen Blick in das Atelier von Georges Braque (1882-1962), der sich wie andere Künstler seiner Zeit von «Stammeskunstwerken» inspirieren liess.
Fragen stellen
«Stammeskunst», die oft erst durch den Transfer nach Europa zur Kunst wurde. In diesem Zusammenhang steht die Frage nach dem Wert eines Objekts. In einem grosse Iglu aus schwarzen Plastiksäcken ist, kunstvoll und präzise beleuchtet, eine prächtige ozeanische Malanggan-Maske ausgestellt, dem an der Wand daneben unter anderem ein dreifaches Schwarzweiss-Porträt gegenübergestellt ist. Offensichtlich hatten diese wunderbaren Masken an ihrem Ursprungsort über den Akt ihrer Herstellung und ihre Benützung während eines rituellen Aktes hinaus keine Bedeutung mehr. Sie wurden zerstört oder später eben an Sammler aus Europa verkauft.
Es sind wichtige Fragen, die Ania Soliman stellt und auf eine ausgesprochen einnehmende Art umsetzt. Über ein Stipendium der Laurenz-Stiftung, die auch Trägerin des Schaulagers ist, ist sie nach Basel gekommen. Hier hat sie sich längere Zeit mit den Sammlungsbeständen des Museums der Kulturen auseinandergesetzt. Aus dieser Arbeit ist nun das Ausstellungsprojekt entstanden, das spürbar auf einer intensiven Auseinandersetzung mit den Objekten und deren Geschichte fusst.
Objekte bestens zur Geltung gebracht
Die Zusammenarbeit mit einem Artist in Residence erweist sich als grosser Glücksfall für das Museum. Die Künstlerin hat sich über ihre Auseinandersetzung mit den Sammlungsobjekten zu eigenen Werken inspirieren lassen, die für sich selbst eine hohe Ausstrahlungskraft besitzen – alle gezeigten Werke sind übrigens in Basel geschaffen worden. Und nicht zuletzt werden die ausgewählten Sammlungsobjekte auf faszinierende Weise ins Rampenlicht gestellt: Man hat das Gefühl, dass diese durch die Konfrontation mit den zeitgenössischen Kunstwerken ihre originäre Wirkung besser entfalten vermögen, als sie dies im klassischen ethnologischen Kontext könnten.