Farnaz Seifi war eine der ersten Bloggerinnen im Iran und eine führende Stimme der Feministinnen in ihrer Heimat. Ihr Aktivismus führte sie zuerst ins Foltergefängnis und dann ins Exil. Jetzt kommt mit «Forbidden Voices» ein Film über sie ins Kino. Im Interview mit der TagesWoche erklärt sie, warum sie es wieder tun würde.
Ein Laptop, Internetanschluss und den festen Entschluss, etwas an den Missständen ihres Ländes zu ändern: Viel mehr braucht es heute nicht mehr, um zur weltbekannten Widerstandskämpferin zu werden. Drei mutige Frauen machen dies in «Forbidden Voices» vor. Die unter sehr schwierigen Umständen grösstenteils heimlich gedrehte Dokumentation der Schweizer Regisseurin Barbara Miller begleitet die Bloggerinnnen Zeng Jinyan (China), Farnaz Seifi (Iran) und Yoani Sànchez (Kuba) in ihrem von Repressionen und Repressalien geprägten Alltag und bei ihrer politischen Arbeit. Der eindrückliche Film mit dem Slogan «How to Start A Revolution With A Laptop» verstört und berührt, vor allem aber inspiriert er dazu, selber aktiv zu werden.
Die TagesWoche hat die Iranerin Farnaz Seifi (30), die mittlerweile als Medienwissenschaftlerin im Exil lebt und für die Deutsche Persische Welle arbeitet, in Zürich getroffen – und eine herzliche, gleichzeitig unbeugsam starke Kämpferin kennengelernt.
Farnaz Seifi, können Sie sich noch an Ihr erstes Mal Surfen im Internet erinnern?
Ja, da war ich 16. Meine Eltern hatten soeben für meinen Bruder und mich einen Heim-PC gekauft. Ich habe als erstes einen Yahoo-Account eröffnet und bin diversen Chatrooms und Mailinglisten beigetreten. Dieses merkwürdige Geräusch, das die alten Modems machten, wenn sie sich mit dem Internet verbanden, wurde für mich zu einem der schönsten Klingeltöne überhaupt, es klang wie…
…der Klang der Freiheit?
Genau! (lacht)
Wann begannen Sie zu bloggen?
Das war 2003, etwa drei Monate, nachdem ich erstmals vom Phänomen gehört hatte. Damals gab es nur eine Handvoll Blogs im ganzen Iran. Ich war noch sehr unsicher, wie ein eigener Blog aussehen, worum es gehen sollte, da es kein öffentliches Tagebuch, aber auch kein journalistischer Text sein sollte. Ich beschloss schliesslich, einfach aus meinem Alltag zu berichten und diese Posts dann via Mail an Freunde, Bekannte und andere Blogger zu schicken. Nach einer Weile verlinkte einer der damals berühmtesten iranischen Blogger auf mich. Von da an ging es aufwärts – nach einem Jahr hatte ich regelmässig tausende Hits.
Sie haben sich von Beginn weg in Ihrem Blog als Feministin «geoutet» und Irans Unterdrückung der Frauen angeprangert. Hatten Sie keine Bedenken, sich so zu exponieren?
Nein. Es gab damals noch keinen im engeren Sinne feministischen Blog im Iran und in der Bloggerszene kaum Frauen. Dies wollte ich ändern. Ausserdem war das Thema zu Beginn meines Studiums gerade erst richtig aktuell geworden. Ich realisierte, wie sehr die Frauen hierzulande diskriminiert waren.
Das realisierten Sie erst als Studentin?
Ja, denn zuvor hatten meine Eltern immer Wert darauf gelegt, mich und meinen Bruder gleich zu behandeln. Im Gegenteil: Gerade aufgrund der männerdominierten iranischen Gesellschaft hatten mich meine Eltern ermuntert, meine Freiheiten zu nutzen und eine Karriere anzustreben.
Tatsächlich? Hier hat man den Eindruck, die Frauen seien viel extremer und grundsätzlicher unterdrückt, als Sie es darstellen.
Nun, so einfach ist es nicht. Meine Grosseltern waren sehr traditionell, aber trotzdem unterstützten sie die Ausbildung und Karriere meiner Mutter, schlicht, weil sie Bildung für alle Menschen für wichtig und richtig hielten. Vor der Revolution hat in meiner Familie keine Frau einen Schleier oder Kopftuch getragen. Auch in meinem Umfeld, bei Freunden und Nachbarn, wurden die meisten Mädchen gleichberechtigt erzogen. Allerdings nicht alle: Es gab durchaus Familien, deren Töchter sich kaum frei bewegen durften, also etwa nicht ohne Begleitung Freundinnen besuchen konnten. Das wurde aber meistens mit Angst um ihre Sicherheit begründet.
Dann täuscht der Eindruck des Westens?
Die Perspektive ist oft sehr einseitig. Die iranische Gesellschaft ist genauso vielfältig und vielseitig wie westliche Gesellschaften. Die Regierung setzt aber alles daran, dass nur ein Blickwinkel nach draussen dringt. Dabei wird der Regierungskurs nur von einer Minderheit wirklich unterstützt.
Haben Sie von Anfang an über diese Themen gebloggt?
Auch. Zunächst waren es aber eher persönliche Erlebnisse als junge Studentin. Das Politische stand noch im Hintergrund. Ich schrieb einmal darüber, dass ich meine Periode hatte. Worauf mir ein, zwei andere Frauen schrieben, ob ich mich nicht schämen würde, so etwas Persönliches zu veröffentlichen. Ich antwortete: «Wieso denn, das ist doch das Natürlichste überhaupt?» Sonst waren die Reaktionen aber eigentlich meist positiv.
Das heisst, die Überwachung der Blogger war damals noch nicht so lückenlos?
Nein. Es war ein neues Phänomen, und die Regierung kannte es nicht, verstand es nicht. Als zum ersten Mal einer der bekanntesten Blogger Irans verhaftet wurde, weil er sich in einer Zeitungskolumne kritisch über die Regierung geäussert hatte, stellten sie ihm sehr seltsame, lustige Fragen, etwa: «Wo ist ihr Geheimbüro? Wer sind ihre Helfer?» Sie konnten sich nicht vorstellen, dass man nur mit einem Laptop Regimekritik üben konnte.
Das hat sich geändert.
Leider. Als sie realisierten, wie rasch sich Blogs ausbreiten und was für eine Gefahr von dieser neuen Form der unbeschränkten Meinungsfreiheit ausgeht, mussten sie mit drastischen Mitteln reagieren. Heute sind sie bedauerlicherweise internettechnisch extrem vif, wenn es ums Filtern und Kontrollieren von unliebsamen Posts geht.
Wann haben Sie diesen Kurswechsel bemerkt?
Es begann schleichend. Einmal hatte ich mich über die rechtliche Ungleichheit der Frauen beklagt. Da bekam ich eine anonyme Mail von jemandem, der mir meine private Adresse schickte und drohte, dass er mich vor meinem Haus abpassen und mit Säure übergiessen würde, weil ich eine Schande für das Land sei. Ich war vollkommen schockiert und bin mit meinen Eltern zur Polizei gegangen. Die wollten mir helfen, realisierten dann aber, dass es noch gar keine rechtliche Handhabe gegen Drohungen im Cyberspace gab. Der Vorfall hat mich monatelang verfolgt, ich traute mich kaum mehr allein auf die Strasse. Irgendwann sagte ich mir, dass es nur ein Einschüchterungsversuch sei, dass man mich mundtot machen wollte. Und dass ich umso überzeugter für meine Anliegen einstehen müsse.
Doch es blieb nicht bei dem einen Versuch.
Nein. Ich war in der iranischen Frauenbewegung aktiv. Wir hatten das Ziel, eine Million Unterschriften für die Gleichberechtigung der Geschlechter zu sammeln. Der Erfolg übertraf unsere Erwartungen – innert kürzester Zeit schlossen sich hunderte Frauen unserer Gruppe an, wurden zehntausende Unterschriften gesammelt. Von da an galten wir als Bedrohung, als Staatsfeinde. Einmal wurde ich von einem Polizisten verhört, der alle meine Blogposts ausgedruckt vor sich hatte und ständig Stellen daraus zitierte. Zunächst fühlte ich mich fast geschmeichelt. Ich hätte ihn am liebsten gefragt, ob ich die Ausdrucke mitnehmen dürfte, da ich selber keine besass.
Wann zog sich die Schlinge zu?
Einige Kolleginnnen und ich wollten 2006 an einen internationalen Internet-Workshop nach Indien reisen. Am Flughafen hatte ich bereits ein seltsames Gefühl, den Eindruck, dass etwas nicht stimmte. Bei der Passkontrolle hielten sie uns länger als nötig fest – dann wurde ich plötzlich von Polizisten umringt und vor den Augen meiner Eltern wie eine Schwerverbrecherin in Handschellen abgeführt. Ich weiss noch, dass mir in diesem Moment all die entsetzten Blicke unglaublich peinlich und unangenehm waren. Ich dachte: «Die halten mich jetzt alle für eine Terroristin.»
Was Sie in den Augen der Regierung wohl auch waren.
Ja. Man brachte mich als Staatsfeindin nach «Evin», in ein berüchtigtes Foltergefängnis. Ich wurde tagelang festgehalten und mit verbundenen Augen verhört. Man warf mir vor, eine Landesverräterin zu sein, weil ich an diesem, von westlichen Ländern mitorganisierten Workshop teilnehmen wollte. Hauptanklagepunkt waren aber meine Blogtexte, die einen schädlichen Einfluss auf die iranische Gesellschaft hätten. Als ich gegen Kaution frei kam, wurden alle Blogs und Magazine, an denen ich mitarbeitete, gesperrt. Da wusste ich, dass ich im Iran keine Perspektive mehr hatte, dass ich gehen musste.
War Ihnen da auch klar, dass Sie möglicherweise nie zurückkehren könnten?
Nicht wirklich. Ich wollte zunächst meinen Master im Ausland, in Holland, machen, in der Hoffnung, dass sich das Klima während meiner Abwesenheit verbessern würde. Bis zuletzt rechnete ich aber gleichzeitig damit, dass der Staatsschutz mich daran hindern würde. Erst als ich im Flugzeug sass, wurde mir klar, dass ich fortan im Exil leben würde. Trotzdem hielt ich mich die ersten beiden Jahre mit Bloggen zurück, weil ich die Chance auf eine Rückkehr nicht vergeben wollte. Ich habe alle Hebel in Bewegung gesetzt, um meinen Pass wiederzubekommen, damit ich keinen Status als «Illegale» oder «Papierlose» hatte, und hoffte, dass das Verfahren gegen mich eingestellt würde.
Doch das war eine Illusion?
Am Tag nach den iranischen Wahlen 2009, als Ahmadinedschad gegen den Volkswillen «wiedergewählt» wurde, war mir klar, dass im Land etwas Schlimmes passieren würde. Als daraufhin Dutzende Regimekritiker – darunter auch viele Blogger – verhaftet und die ersten Demonstranten getötet wurde, hatte ich die schreckliche Gewissheit. Es war das Ende eines beziehungsweise meines lange gehegten Traumes.
Von da an waren Sie völlig auf sich gestellt.
Es war schrecklich. Ich sass den ganzen Tag vor Portalen wie Youtube und drückte wie wild auf den Refresh-Button, um mir die neusten Videos von Strassenkämpfen anzusehen. Es war wie ein Albtraum oder ein Verkehrsunfall, ich konnte nicht aufwachen, nicht aufhören oder wegsehen. Die ganze Zeit in der Hoffnung oder Angst, auf den Bildern jemanden zu sehen, den ich kenne. Ich hatte solche Angst und Sorge um meine Familie, meine Freunde, mein Land – zu Recht, weil schlimme Dinge passierten. Viele wurden verhaftet, ins Gefängnis geworfen oder mussten Hals über Kopf flüchten.
Seither bloggen Sie notgedrungen nur noch anonym. Trotzdem entschlossen Sie sich, Ihre Geschichte im Film «Forbidden Voices» zu erzählen.
Ich kannte Barbara (Miller, die Filmregisseurin) schon lange durch «Reporter ohne Grenzen», aber ich habe sehr, sehr lange gezögert, an diesem Projekt teilzunehmen. Am Schluss habe ich zugesagt, weil es um Frauen geht. Normalerweise werden in Ländern, wo die Menschen politisch unterdrückt werden, fast ausschliesslich Männer als Widerstandskämpfer gewürdigt. Doch es ist für mich sehr beeindruckend, was Frauen wie Yoani Sànchez und Zeng Jinyan für die Freiheit ihrer Völker leisten.
Sehen Sie sich als Teil einer neuen Generation Feministinnen, die durch ihren Aktivismus im Netz die Welt verändert?
Das ist ein grosser Ausdruck. Aber ich bin stolz, dass ich für meine Ideale eingestanden bin und für meine Freiheit und Selbstbestimmung gekämpft habe – und damit vielleicht auch ein positives Vorbild für andere bin. Deshalb würde ich es auch sofort wieder tun, keine Frage. Ich bereue nichts.
Zurzeit ist viel Bewegung in den Nahen Osten geraten. Hoffen Sie, dass der Arabische Frühling die Wende bringt?
Um ehrlich zu sein, bin ich nicht mehr so optimistisch wie ich es zu Beginn war. Vor allem, wenn es um die Situation der Frauen geht. Ich hoffe, es gibt keine islamische Revolution im ganzen Nahen Osten, welche für das Volk ein derart bitteres Erwachen bedeutet – denn Ägypten scheint zurzeit leider denselben Weg zu gehen wie der Iran vor 33 Jahren. Das wäre eine Tragödie, eine weltweite Katastrophe. Aber: Ich habe immer noch Hoffnung. Sonst würde ich mich umbringen. Es ist wie ein Marathon: Auch wenn man weiss, dass man nicht erster wird, rennt man einfach weiter, versucht man mit allen Mitteln bis zum Ziel durchzuhalten.
Was wäre Ihre Botschaft an junge Frauen?
(Denkt lange nach) Egal, was man euch auch sagt, wie man euch beeinflussen möchte: Ihr habt heute die Möglichkeiten, für euch selber zu sprechen, und damit zu erreichen, dass andere euch auch zuhören, also die Möglichkeit, wiederum andere zu inspirieren. Darum: Gebt nicht auf. Eines Tages wird die Welt, unsere Welt besser werden – hoffentlich.
Dann wollen Sie nach wie vor in den Iran zurückkehren?
Natürlich. Ich träume davon. Denn egal wie schlimm es darum steht, es ist und bleibt meine Heimat.
«Forbidden Voices» läuft ab Donnerstag im Basler Kultkino Atelier. Details unter: Kultkino und Forbidden Voices, Trailer hier:
Quellen
Artikelgeschichte
Das einstündige Interview mit Farnaz Seifi wurde aus Anlass des Filmstarts von «Forbidden Voices» in einem Zürcher Hotel geführt.