In Rosario Romeos Schuhmacherei wurden nicht nur Schuhsohlen geflickt. Eine «Seelenwärmflasche» war der kleine Laden für viele Menschen im Quartier. Nun muss Rosario Romeo schliessen. Ein letzter Besuch.
Schuhe reparieren war nur ein Teil seiner Arbeit. Genauso viel Freude hatte Rosario Romeo an den Menschen, die in seinem kleinen Laden ein- und ausgingen.
(Bild: Jonas Grieder)Alte Kasse, alte Fotos: Dieser Laden steckt voller Erinnerungen.
(Bild: Jonas Grieder)Er war nicht immer Schuhmacher. Rosario Romeo hat auch als Gärtner und Taxifahrer gearbeitet.
(Bild: Jonas Grieder)In diesem Geschäft kamen Leute aus der weiten Welt zusammen. Rosario Romeo ist in Sizilien aufgewachsen.
(Bild: Jonas Grieder)Rosario Romeo bedauert, dass er zumachen muss.
(Bild: Jonas Grieder)Mit seiner Schuhmacherei hat Rosario Romeo jahrelang seine ganze fünfköpfige Familie ernährt. Umso schwerer fällt der Abschied von seinem Geschäft.
(Bild: Jonas Grieder)Die alte Singer-Nähmaschine hat Romeo erst vor zwei Jahren gekauft. Seine Tochter fragt sich, wer sie übernehmen könnte.
(Bild: Jonas Grieder)«Wotsch e Gaffi?», fragt Rosario Romeo, während er ein süsses Marmeladencornetto kleinschneidet. «Mit Grappa?», hakt er nach. Es ist Donnerstagmorgen, 10 Uhr in der Früh. Nein zum Grappa, ja zum Kaffi. Oder, besser gesagt, zum «caffè». Im kleinen Geschäft von Schuhmacher Rosario Romeo wähnt man sich mehr in Italien als an der Haltingerstrasse.
Italienische Lebensweisheiten hängen an den Wänden, die Tochter von Rosario schaut gerade mit ihrem kleinen Jungen vorbei («Leonardo, cosa fai?») und zwei Kundinnen holen ihre Schuhe ab – selbstverständlich auch nicht, ohne einen Espresso aus Lavazzatässchen zu schlürfen.
Romeos Schuhmacherei gehört zu jenen Institutionen, für die es kaum Adjektive gibt – sie wirken altmodisch und zeitlos zugleich, gehören für die Menschen im Quartier zum Inventar. Die abgewetzte Lederbank wackelt, das Holzregal sieht nach späten 80er-Jahren aus, die in Plastik verpackten Schuhsolen, die an den Wänden hängen, haben Staub angesetzt.
Alles unwichtig. Wo andernorts die schnieke Einrichtung und das fancy Angebot Kunden anziehen, kommen sie hier von selbst. Und das seit 37 Jahren. Dafür gibt es einen Grund, der auch in 100 Jahren noch gelten würde: Hier geht es nicht nur um kaputte Schuhe. Hier geht es um die Menschen.
«Mi Frau wird sunscht hässig»
«Allein war Rosario Romeo nie. Ein Treffpunkt tagsüber für die Nachbarn, Rentner, Studenten, Musiker, Mütter mit Kleinkindern, abends Büromenschen, auf dem Weg nach Hause.»
TagesWoche-Leserin Pia Lachmann hat uns mit einigen Zeilen auf das kleine Schuhmachergeschäft im Kleinbasel aufmerksam gemacht. Die Zeit für unseren Besuch bei Rosario Romeo drängte. Ende Juli wird Romeo seine Werkstatt schliessen müssen, er hat die Kündigung für die Geschäftsräume erhalten. Es bricht dem 78-Jährigen fast das Herz, seine Schuhmacherei aufgeben zu müssen. Sie war nicht einfach der Ort, wo er von 9 bis 18 Uhr arbeitete. In diesen kleinen Räumen habe «fast ein halbes Leben» stattgefunden, sagt er.
Romeo scherte sich nicht um die Öffnungszeiten, wenn seine Kollegen am Abend noch vorbeischauten. Nur die Mittagspause, die hat er immer streng eingehalten. «Mi Frau wird sunscht hässig», erklärt er kurz und knapp. Sonst waren seine Türen auch offen, wenn im restlichen Kleinbasel alles ruhte. Leserin Pia Lachmann:
«Ich erinnere mich gerne an jenen 24. Dezember, als ich mit einer niederländischen Freundin, die mich besuchte, am Nachmittag eine geöffnete Bar oder ein Kaffee suchte. Also durchstreiften wir das Kleinbasel, eigentlich beliebt wegen seiner Dichte an gemütlichen gastronomischen Orten, auf der Suche nach der heiteren offenen Gesellschaft, der wir uns anschliessen könnten.
Nach 16 Uhr waren am ‹Heiligen Abend› aber auch die offenherzigsten Wirte auf dem Weg in die eigenen vier Wände. Nur bei Romeo war noch Licht, der kleine Raum neben der Werkstatt proppevoll, der winzige runde Tisch vollgestellt mit Gläsern, Tassen, Flaschen, Gebäck. Das kunterbunte Stimmengewirr und Gelächter konnte man bis auf die Strasse hören.»
An der Wand in Rosario Romeos Schuhmacherei hängt das Foto dieses Weihnachtsfestes. Die Studenten aus der Wohnung oberhalb seien damals mit einer Flasche Prosecco im Laden aufgetaucht. Die Augen von Rosario Romeo leuchten leise. Dann sagt er: «Alles vorbei.» Die Melancholie in seiner Stimme ist nicht gespielt.
Leonardo wartet
Pläne für die Zukunft ohne Schuhmacherei hat Romeo noch nicht. Er blickt von seinem Caffè auf die alte Singer-Nähmaschine, auf die Schuhe, die noch abgeholt werden müssen und sagt: «Was soll ich denn jetz mache?» Woanders ein nächstes Geschäft eröffnen, das sei unmöglich. Und es tue ihm furchtbar weh, alles wegzugeben.
Seine Tochter hilft ihm beim Aufräumen. Sie hat auch schon eine Idee für Rosarios Zukunft: «Jetzt wird er einfach vollumfänglich Nonno», und denkt schmunzelnd an ihren jüngsten Sohn Leonardo. Rosario Romeo bleibt ein gefragter Mann. Mit der Schliessung seines Geschäfts verschwindet aber für das Quartier ein bescheidener, menschlicher Ort für immer.
«Wir werden dich vermissen, kleiner Schuhmacherladen und Seelenwärmflasche im Herzen des Kleinbasel.»