Als ihr Haus überflutet wurde, erlebte Jasminka Arifagić die Solidarität ihrer Landsleute, die nicht nach Religion oder Name fragten. Aber auch Korruption und Kumpanei seitens der nationalistischen Regierungspartei.
Im Haus von Jasminka Arifagić lärmen ein Hund und ein Papagei um die Wette. Draussen, nur zwanzig Meter vor der Terrasse, fliesst die Bosna, der Fluss, der dem Land seinen Namen gab. Die schöne Lage im Örtchen Maglaj wurde der 59-jährigen Rentnerin im Mai 2014 zum Verhängnis. «Das Wasser kam ganz überraschend. Die Sirenen läuteten nicht und niemand hat uns zuvor gewarnt.»
Jasminka Arifagić stellt sich auf ihre Zehenspitzen, streckt ihre Hand hoch und sagt: «So hoch war das Wasser in unserem Haus. Über zwei Meter.»
Alles musste raus und ersetzt werden. Um das erste Stockwerk zu renovieren, musste Jasminka Arifagić einen Kredit aufnehmen, rund 10’000 Euro. Sie erhält die Mindestrente von 166 Euro. Ihr Mann hat etwas mehr als 200 Euro im Monat zur Verfügung. Von diesem Geld müssen sie nun den Kredit abbezahlen. Dabei ist es schon schwierig genug, davon zu leben. Sie dreht ihre Hosentaschen nach aussen und sagt: «Wir haben nichts mehr übrig, kein Geld.»
Die Rechnungen für die Renovierung hat sie aufbewahrt. Nun fordert sie das Geld von der Gemeinde Maglaj zurück, der sie vorwirft, Hilfsgelder veruntreut zu haben.
«Egal, was du willst, du musst in der Partei sein»
530 Personen haben sich im Verein «Die überschwemmten Bürgerinnen und Bürger Maglajs» zusammengeschlossen. Sie protestieren gegen die Gemeinde, weil sie die ihnen zustehende Hilfe nicht erhalten haben. «Von unseren Gerichten erwarten wir nicht viel, aber wir sind bereit, bis nach Strassburg zu gehen, um unser Recht einzufordern», sagt Jasminka Arifagić.
Von dem Hochwasser sind allein in Maglaj rund 1600 Personen betroffen. 250 davon haben bis heute überhaupt keine Hilfe bekommen. Jasminka Arifagić gehört zu der Mehrheit, die wenigstens ein paar Almosen erhalten hat: ein Handtuch, ein Kissen, Bettwäsche, drei Eimer und einige Mahlzeiten. Sonst nichts.
Laut Jasminka Arifagić wurde die Hilfe nach Parteibuch vergeben. «Wer Parteimitglied der regierenden SDA ist, dem wurde geholfen. Wer das falsche Parteibuch hat oder wie ich gar keins, dem wurde nicht geholfen. Egal, was du willst, du musst in der SDA sein.»
Regierungspartei macht Wahlkampf auf Kosten der Flutopfer
Jasminka Arifagić erzählt, wie nach der Flutkatastrophe internationale Hilfsgüter in Boxen mit dem Signet der bosniakisch dominierten SDA umgefüllt wurden. Damit wollte die regierende Partei die Hilfe aus aller Welt für ihren Wahlkampf nutzen und suggerieren, die Hilfsgüter kämen von ihr. Ausserdem sollen grosse Summen von Hilfsgeldern an Personen geflossen sein, die gar nicht von den Fluten betroffen waren. «Wenn so etwas noch einmal passiert, dürft ihr diese Leute nicht einmal mehr einen Sack Reis verteilen lassen. Die veruntreuen alles. Die Menschen, die hier die Hilfsgüter verteilt haben, haben eine sehr fragwürdige Moral.»
Sie betont, dass sie allen Menschen dankbar sei, die aus dem ganzen Land kamen, um zu helfen. Es war einer jener Momente in der jungen Geschichte Bosnien-Herzegowinas, in der die Religion und der Nachname der Menschen keine Rolle gespielt haben.
Doch die nationalistischen Parteien haben dank Dayton ein Klientelsystem aufbauen können, aus dem es kaum ein Entrinnen gibt. Wer einen Job oder auch nur humanitäre Hilfe erhalten möchte, tut gut daran, das richtige Parteibuch sein Eigen zu nennen.
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Vor 20 Jahren beendete eine Reihe von Unterschriften den Bosnienkrieg. Das Töten hat damals aufgehört, aber wie weit ist der Frieden gekommen? Die TagesWoche wollte es genau wissen, unser Korrespondent Krsto Lazarević ist eine Woche durchs Land gezogen und hat Menschen befragt. Entstanden ist eine Porträtserie, deren Einzelgeschichten Sie nachfolgend aufgelistet finden.
Wer sich ein Bild vom Land machen will, dem empfehlen wir den Bildstoff – aber auch die Erklärung des politischen Systems, schliesslich gilt es als das komplizierteste der Welt.
Getrennte Schulen und ihre Wirkung: Grundschullehrerin Nela Rajić erzählt.
Die Islamisten kommen zum Kaffee: Was die Teilung des Landes zur Folge hat, erzählt Blagoje Vidović.
Zudem erklärt Autor Norbert Mappes-Niediek, wie das Friedensabkommen genau zustandegekommen ist und welche Fehler begangen wurden:
Wie die Amerikaner sich vor 20 Jahren in Bosnien durchsetzten – und sich dabei verschätzten
Im Interview hat Mappes-Niediek zudem mit dem deutschen Diplomaten Wolfgang Ischinger – Leiter der deutschen Delegation in Dayton – über die Fehler von damals und Parallelen zum Syrienkrieg gesprochen:
«Bis heute ist aus dem Waffenstillstand kein wirklicher Friede geworden»
Den gesamten Schwerpunkt in der Übersicht finden Sie in unserem Dossier zum Thema.