Die Islamisten kommen zum Kaffee

Der Rentner Blagoje Vidović ist als einer von wenigen Serben nach Ošve zurückgekehrt. Die anderen haben ihre Häuser verkauft – an Salafisten, die sich im Bergdorf ausbreiten.

Blagoje Vidović hat lange in München gearbeitet und ist nach dem Krieg in sein Heimatdorf zurückgekehrt.

(Bild: Krsto Lazarević)

Der Rentner Blagoje Vidović ist als einer von wenigen Serben nach Ošve zurückgekehrt. Die anderen haben ihre Häuser verkauft – an Salafisten, die sich im Bergdorf ausbreiten.

Blagoje Vidovićs Häuschen schmiegt sich an den Hang über Ošve. Der 75-Jährige ist einer der wenigen serbischen Rückkehrer in dem Bergdorf. Über der Veranda rankt sich Wein und bildet einen Schutz gegen Sonne und Regen. Wenn Blagoje Vidović auf seiner Holzbank sitzt, sind die reifen Trauben zum Greifen nah.

Er raucht eine Zigarette nach der anderen. «Das ist gute deutsche Qualität», sagt er und zeigt stolz auf seinen Aschenbecher. Den hat er aus München mitgebracht, wo er sein halbes Leben gearbeitet hat. Seit elf Jahren ist er Witwer, im Sommer kommen seine Kinder zu Besuch. «Die Luft ist hier so gut, die geniessen die Ruhe.»

Von hier hat der 75-Jährige das Dorf und das ganze Tal im Blick. Man sieht auch die Häuser einer salafistischen Gemeinde, die sich hierher zurückgezogen hat. An einem der Häuser hängt die Flagge der «El Mudschahid», einer Einheit, der im Bosnienkrieg Dschihadisten aus aller Welt angehörten und die für ihre Brutalität berüchtigt war. Die Ausbreitung des Salafismus in Bosnien-Herzegowina wird oft mit diesen Personen in Verbindung gebracht.

Den Sliwowitz lehnen die «Bärtigen» ab

Nachdem das Land durch den Vertrag von Dayton in eine serbische und eine bosniakisch-kroatische Entität geteilt wurde, haben die meisten Serben aus Ošve ihre Häuser für wenig Geld verkauft und sind in den serbischen Landesteil gezogen. Gekauft wurden die Häuser von Salafisten.

Ošve gelangte in diesem Sommer in die Schlagzeilen, weil mehrere Bewohner als Kämpfer nach Syrien und in den Irak gegangen sind. In einem Artikel der «Daily Mail» wird sogar behauptet, dass sich hier ein Terroristencamp befinde. «Das ist Unsinn», sagt Blagoje Vidović. «Die tun mir nichts und ich tue ihnen nichts. Ob welche nach Syrien gegangen sind, kann ich nicht sagen und es interessiert mich auch nicht.»

Neben Vidovićs Haus steht das Gemeindezentrum von Ošve. Eine Art Berghütte, in der die Bewohner des Dorfs und andere aus den angrenzenden Örtchen einmal in der Woche zusammensitzen und Sliwowitz trinken, den berühmten Pflaumenschnaps der Region. «Aber die Bradonja, die machen nicht mit, die sind da sehr streng.» Bradonja, die Bärtigen. Das ist sein Wort für die Salafisten.

Manchmal kommen seine neuen Nachbarn aber vorbei. «Wir trinken dann zusammen Kaffee, hier, auf der Bank.» Das Zusammenleben scheint gut zu funktionieren. Nur einen Kritikpunkt will er dann doch los werden: «Ich dachte, die haben mehrere Frauen und können mir eine abgeben, aber leider stimmt das nicht», sagt Blagoje Vidovic, lacht und zündet sich die vierte Zigarette binnen 20 Minuten an.

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