Brigham Baker schafft Werke, dass es einem schwindlig werden kann. Denn man erahnt darin, wie die Natur der Dinge funktioniert. Mit rotierenden Plastikflaschen hat er sich soeben den Kiefer-Hablitzel-Preis geangelt.
Brigham Baker kniet am Boden und fingert unter einem rotierenden Wasserdispenser-Behälter am Tretantrieb einer alten Nähmaschine herum. «Das Ding ist so alt, es macht, was es will», erklärt er. Je mehr man draufdrücke, desto schneller rotiere die grosse Plastikflasche. Jetzt müsse irgendwas getan werden, um die Bewegung zu regulieren. Baker klemmt einen Buntstift in den kleinen Zwischenraum der Trete. «Das sollte klappen.» Er steht auf.
Dass der Buntstift etwas schief in dieser Werklandschaft steht, stört ihn nicht. In seinen Werken geht es um das Bauen und Nachbauen von Prozessen, nicht um ästhetische Präzision. Und sowieso: Er hat soeben den Kiefer-Hablitzel-Preis für dieses Stück gewonnen, da wird ein kleiner Buntstift keine Furore machen. 15’000 Franken darf der 27-jährige Kalifornier, der in Zürich lebt und arbeitet, am Abend an der Preisverleihung in Empfang nehmen.
Eine Menge Geld. Er nickt. «Ich werd mir damit ein Atelier einrichten.» Wobei Werkstatt hier wohl besser passen würde: Baker nimmt gerne Dinge auseinander, um zu schauen, wie sie funktionieren. Dann bringt er die verborgenen Abläufe ans Licht. Das macht er mit Maschinen, aber auch mit der Natur und dem menschlichen Bewusstsein.
Ganz schön viel Wirbel
Aber lassen wir zuerst seine grossen Plastikflaschen rotieren. Von denen gibt es nämlich deren drei. Angetrieben werden sie von den Motoren alter Nähmaschinen. Diese hat Baker auf der Strasse gefunden. Entsprechend launisch verhalten sie sich: Die Flaschen drehen sich mal schneller, mal langsamer – je nach Laune der alten Dinger. Es sind die Innereien von Funktionsgegenständen, die keiner mehr will, und Baker wiederum macht sie zum Antrieb von geliebten Dingen.
Wie? So: In den Plastikflaschen befinden sich nebst Wasser geliebte kleine «Tokens» seiner Freunde. Mehrheitlich sind das Steine. Einmal blitzt noch eine kleine Plastikkassette aus einem Aufnahmegerät im Gewirbel auf. Kleine Andenken, die Baker in der Flasche gesammelt hat, mit etwas Wasser auffüllte, rotieren lässt und das Ganze «Reworking Alluvium» nennt. Alluvium, erklärt er, sind Ablagerungen von Gestein und Schlamm, die an strömungsarmen Flussstellen Schwemmböden bilden. Ein Motor einer weggeworfenen Nähmaschine treibt also diese kleinen geliebten Objekte an, vermengt sie in der Aufgabe, einen Boden zu bilden, der aber durch die stetige Rotation niemals einer werden wird.
Rollende Nostalgie-Maschine: Brighams ausgezeichnete Arbeit «Reworking Alluvium». (Bild: Eleni Kougionis)
Mir wird ein bisschen schwindlig ob der Poesie, die in dieser Erklärung liegt. Was meint der Pressetext? Ich linse rasch darauf und hoffe auf etwas Halt. «Kinetische Klanginstallation» steht da hölzern. Schon lege ich ihn wieder weg.
Baker ist in Kalifornien aufgewachsen. Als 15-Jähriger bekam er Lust auf Jahreszeiten und machte ein Austauschjahr in der Schweiz. «In einem Gebrauchtwarenladen fand ich damals ein Buch über die Schweiz. Da hiess es, man solle seine eigenen Handtücher mitnehmen, weil Europa einen Mangel an Handtüchern habe.» Er lacht.
Man schweift schnell ab mit ihm. Hier und dort noch eine kleine Nebengeschichte, ohne grosse Pointen, ohne fixe Zielgeraden. Sie müssen nicht sein. Bakers Erzählweise ist wie die Alluvium-Maschine: Anarchisch wirbelnd, gesetzlos und doch eine Einheit.
Arbeiten wie die Natur
Solche Einheiten sind auch in seinen anderen Arbeiten zu finden: Für seine Abschlussarbeit an der Zürcher Hochschule der Künste (ZHdK) zum Beispiel klaute er Türmatten in ganz Marseille zusammen und legte sie über ein ausgetüfteltes Bewässerungssystem in der Stadtgärtnerei Luzern. Nach einer Weile begannen Pflanzen zu spriessen, auf jeder Matte gemäss derer eigenen Geschichte, alle verbunden durch das Bewässerungssystem.
In einer Arbeit, die gerade in der Schwarzwaldallee ausgestellt ist, spannt er ein blau eingefärbtes Zeitungsblatt zwischen zwei Glaskuben. Das Papier ist ganz zerfressen und es sieht so aus, als wäre in den Vitrinen eine Substanz, die dafür verantwortlich ist. In Wahrheit aber sind die Zeitungsblätter eine alte Praxis, mit welcher Bienenvölker vereint werden: Man spannt ein Blatt Papier in einen Bienenstock, lässt auf jeder Seite ein Bienenvolk rein, und wenn sich die Völker durchgefressen haben, sind sie eins.
«Am liebsten mochte ich, wenns kleine Fehler gab.»
In einer anderen Arbeit scannt Baker den Himmel, ab Tageseinbruch, immer und immer wieder, bis es wieder dunkel wird. Ein einzelner Scanner auf einer Dachterrasse, auf den Himmel gerichtet. Das Gerät braucht 15 Minuten, um jeweils ein Bild zu produzieren. «Am liebsten mochte ich, wenns kleine Fehler, ‹Glitches› gab – zum Beispiel ein Vogel, der vorbeiflog. Der war dann nur als schwarzer Strich erkennbar.»
All diese Arbeiten hinterlassen jenes leichte Schwindelgefühl von eben, begleitet von der Ahnung, einer Entität beizuwohnen, die die grossen Zahnräder der Welt erkennt und sie für uns übersetzt: in 15-minütige Vögel, in Bienenvölker, in wuchernde Türmatten. «I try to recreate nature», sagt Baker. Er versuche, die Natur nachzubilden. Aber er bildet eben nicht nur die Natur nach. Er bildet uns Menschen in ihr nach. Und wenn die Nachbildung mal ausser Kontrolle gerät, reguliert eben ein improvisiert eingeklemmter Buntstift. Ein schönes Bild.
_
Nicht genug Kunst? 1001 Geschichte in unserem Live-Blog zur Art Basel 2016.