Conradin Cramer: Der Mann ohne Makel

Conradin Cramer könnte mit gerade mal 37 Jahren den Sprung in den Regierungsrat schaffen. Der Liberale hat ein perfektes Image.

Cramers Laufbahn verlief immer gradlinig. 

(Bild: Hans-Jörg Walter)

Conradin Cramer könnte mit gerade mal 37 Jahren den Sprung in den Regierungsrat schaffen. Der Liberale hat ein perfektes Image.

Als Conradin Cramer im Oktober 2007 anlässlich der National- und Ständeratswahlen mit einem breiten Grinsen das Kongresszentrum verliess (für die LDP war es ein schwarzer Wahlsonntag), war er noch eine Provokation für seine Partei. «Der sollte irgendwann Regierungsrat werden, benimmt sich aber überhaupt nicht so», klang es leicht genervt aus der LDP-Ecke. Cramer lebte damals ein wildes Leben: Er feierte viel und gerne, war immer für eine saloppe Bemerkung zu haben, machte, worauf er Lust hatte.

Obwohl er parteiintern schon früh als gewünschter Nachfolger von Erziehungsdirektor Christoph Eymann gesetzt war, zeigte er keine Anzeichen, in dessen Fussstapfen treten zu wollen. Cramer wollte sich nicht festlegen, er hatte andere Prioritäten: Spass im Leben haben und seine Anwalts- und Notariatskarriere vorantreiben. Rund neun Jahre später ist alles anders: Der 37-Jährige ist auf Parteilinie und auf dem besten Weg, am 23. Oktober in die Regierung gewählt zu werden. Von seiner ausgelassenen Zeit hat er sich verabschiedet, Cramer gibt sich magistral.

Cramer sagt bei einem Bier an der Buvette Kaserne über seinen Wandel: «Es ist nicht so, dass ich mich eines Tages dazu entschieden hätte, seriös zu werden. Ich habe das Studentenleben sehr genossen, aber irgendwann fängt man halt an zu arbeiten und wird älter.» Er habe auch nicht das Gefühl, besonders wild gewesen zu sein, aber das sei immer eine Wahrnehmungssache, sagt er lachend. 

Eine Bilderbuchkarriere

Cramer, der bei der einflussreichen Anwaltskanzlei Vischer arbeitet, hat sich schwergetan mit seiner Regierungsratskandidatur. Denn er übe seinen jetzigen Job gerne aus und habe auch viel Zeit in die Ausbildung investiert. Doch blieb ihm – bei so viel Erwartungshaltung an seine Person – überhaupt etwas anderes übrig als anzutreten? Cramer blendete diese Tatsache einfach aus. «Ich wollte bewusst keinen Druck wahrnehmen, um frei entscheiden zu können – das ist mir auch gelungen.» Das ist typisch für ihn, er lässt sich nicht aus der Ruhe bringen.

Bald wird er vielleicht mit seinen beiden Kumpels Baschi Dürr (FDP) und Lukas Engelberger (CVP) («wir haben ein Vertrauensverhältnis zueinander») in der Regierung sitzen. Cramers Laufbahn verlief immer geradlinig, Rückschläge kennt er keine (die Anwalts- und Notariatsprüfung schaffte er im ersten Anlauf).

Cramer weckt – genauso wie Eymann – auch bei den Linken Sympathien. Er wird als perfekt wahrgenommen. Hört man sich um, ist es schon fast unheimlich, was für einen hervorragenden Ruf er geniesst: Als intelligent, kompromissbereit, lösungsorientiert und souverän wird er beschrieben. Aber auch als humorvoll, locker, nett. Cramer gilt als ausgeglichen, er ist ein Mann ohne spürbare Ecken und Kanten. Langweilig macht ihn das trotzdem nicht.



Cramer wird als intelligent, kompromissbereit und humorvoll beschrieben.

Cramer wird als intelligent, kompromissbereit und humorvoll beschrieben. (Bild: Hans-Jörg Walter )

Negatives über seine Person hört man nichts. Wenn, dann über seine Herkunft und seinen Werdegang. Dass er eine klassische Karriere verfolgt habe (LDP, Kanzlei Vischer). Dass er aufgrund seiner Abstammung so wohlbehütet aufgewachsen sei (seine Mutter Meret Cramer-Vischer ist die Cousine von Ueli Vischer). Und dass er nie mit wirklichen Sorgen konfrontiert gewesen sei.

Cramer wuchs zwar als Einzelkind wohlbehütet in Riehen auf («ich hatte eine glückliche Kindheit»), aber nicht in klassisch bürgerlichen Verhältnissen. Seine Mutter war alleinerziehend, denn als Cramer sechs Wochen alt war, starb sein Vater an Krebs. Dass er nur mit einem Elternteil aufwuchs, hat ihn geprägt: «Das hat mich insofern sensibilisiert, dass sich Lebenssituationen schnell verändern können.» Vielleicht hat ihn das auch einfühlsam gemacht. Dies zeigte sich, als er als Grossrätspräsident beim Schlussessen des Parlaments Anfang 2014 der damals angeschlagenen BastA!-Politikerin Sibel Arslan Blumen schenkte, weil sie wegen ihren Finanzen hart unter Beschuss geraten war.  

Cramer fühlt sich also trotz seiner Herkunft nicht als Mitglied des Daigs. «Ich habe mich deswegen als Kind und Jugendlicher nie einem bestimmten Kreis von Familien zugehörig gefühlt.» Auch heute sei dies nicht der Fall.

Steuern senken und deregulieren

Der Präsident der einflussreichen Bau- und Raumplanungskommission könnte als Regierungsrat ein Garant für die Kontinuität von Christoph Eymanns Politik sein, sollte er – wie von seiner Partei vorgesehen – das Erziehungsdepartement übernehmen. «Gerade bei den Schulen, die massive Reformen hinter sich haben, ist es wichtig, dass Ruhe einkehrt», sagt er. Auch hält er nicht viel von einem Unistandort im Baselbiet: «Mir schwebt eine Uni vor, die sich nicht zu fest verzettelt. Das heisst nicht, dass gewisse Angebote nicht in der Agglomeration sein dürfen – aber grundsätzlich gehört die Uni in die Stadt.» Möglich wäre jedoch auch, dass Cramer von Baschi Dürr das Justiz- und Sicherheitsdepartement übernehmen könnte (falls Dürr Regierungspräsident werden sollte). Er fände beides «hochspannend».

LDP, CVP und FDP treten für die Wahlen vom 23. Oktober erstmals mit der SVP auf einer Liste an. Obwohl sich Parteikollege Christoph Eymann mal eine SVP-freie Zone in Basel wünschte, macht die LDP nun mit der Volkspartei gemeinsame Sache, um die rot-grüne Mehrheit zu brechen. Cramer hat zwar Vorbehalte gegenüber der SVP-Politik, gibt sich aber gewohnt pragmatisch: «Die SVP ist eine politische Partei mit grundsätzlich bürgerlichen Werten. Auch wenn ich nicht überall gleicher Meinung bin wie die SVP, ist es wichtig, diese Kraft einzubinden.» Zudem handle es sich bei Lorenz Nägelin um einen moderaten SVPler.



Cramers Laufbahn verlief immer gradlinig. 

Cramers Laufbahn verlief immer gradlinig.  (Bild: Hans-Jörg Walter)


Was wäre denn anders, wenn die Bürgerlichen in der Regierung die Mehrheit zurückgewinnen würden? Cramer ist nicht der Typ, der Sachen schönredet oder dramatisiert:«Es wäre gelogen, wenn wir behaupten würden: ‹Heute ist alles schlecht, mit uns wird alles besser› – die Leute sind nicht doof.» Die Stossrichtung stimme, dem Kanton gehe es gut, er sei aber überverwaltet. «Das ist unser Grundsatz: Wir Bürgerlichen gehen mehr vom Einzelnen aus und wollen die Leute leben und machen lassen, während die Linken das Gefühl haben, für alles eine Vorschrift erlassen zu müssen.» Eine Verkehrsberuhigung in der Innenstadt hätte es wohl auch mit einer bürgerlichen Mehrheit gegeben, «aber nicht so eine radikale», sagt Cramer.

Auf Cramers Traktandenliste würde auch eine Steuersenkung stehen. «Wir möchten den Leuten weniger Geld wegnehmen.» Dass Basel-Stadt mit einer bürgerlichen Mehrheit wieder in ein Defizit rutschen könnte, glaubt er indes nicht. Es sei nicht hauptsächlich Eva Herzog (SP) zuzuschreiben, dass es Basel-Stadt finanziell so gut gehe. Ihr Vorgänger Ueli Vischer (LDP) habe das Defizit abgebaut. «Die Realität ist, dass Eva Herzog von vielen fetten Jahren profitieren konnte. Die Idee, dass die Finanzen davon abhängen, welche Partei dem Finanzdepartement vorsteht, ist falsch.»

Er fände es nach jahrelanger konstanter Mehrheit an der Zeit, dass es einen Wechsel gäbe. «Denn es kommt unter Rot-Grün immer mehr eine Selbstherrlichkeit zum Vorschein, was sich an der Tatsache zeigt, dass sie nun fünf von sieben Sitzen in der Regierung in Anspruch nehmen möchten», sagt Cramer und schwingt sich auf sein schickes, schwarzes Fahrrad. Früher fuhr er noch mit dem Cabrio in der Gegend herum. «Das kann ich ja nicht mehr in dieser Stadt», sagt er und fährt lachend davon.

Was beschäftigt die Basler Bevölkerung aus Ihrer Sicht am meisten?
Gemäss der Bevölkerungsbefragung von 2015 ist das die Sicherheit, also der Schutz der persönlichen Integrität und des Privateigentums. Die Sorgen vieler Menschen sind da sehr ernst zu nehmen: Sicherheit und Rechtsstaat sind nie eine Selbstverständlichkeit – aber die Bedingung für unsere offene Gesellschaft.

Wieso sollte man ausgerechnet Sie wählen?
Weil ich liberale Positionen klar und offen vertrete und dabei weiss, dass Politik eine praktische Kunst ist: Es geht darum Lösungen zu finden, die eine Mehrheit überzeugen, sich umsetzen lassen und auch berechtigte Anliegen von Minderheiten berücksichtigen.

Welches Buch liegt auf Ihrem Nachttisch?
Immer mehrere! Zurzeit: «Let Me Be Frank With You» von Richard Ford (grossartig, wie alles von Ford), Essays von Max Beerbohm (ein eher exzentrischer und durchaus geheimer Tipp) und als Dauergast die «Jahrestage» von Uwe Johnson.

Steckbrief:

Geboren: 1979.
Im Grossen Rat seit: 2005, Präsident der Bau- und Raumplanungskommission, Grossratspräsident 2013/2014.
Werdegang: Studium der Rechtswissenschaften an der Universität Basel und der Albert-Ludwigs-Universität in Freiburg im Breisgau. Master of Laws an der University of California (Berkeley), Anwalt und Notariat bei der Kanzlei Vischer, Lehrbeauftragter für Privatrecht an der Universität Basel. Von 2002 bis 2007 Mitglied des Riehener Einwohnerrats. Von 1999 bis 2005 Präsident der Jungliberalen Basel. 2004 Wahl in den Grossen Rat. Alt-Mitglied des Schweizerischen Zofingervereins und Vorgesetzter der E.E. Zunft zum Schlüssel.
Familiäres: In einer Beziehung mit Stephanie Balzien, lebt in Riehen.

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Die TagesWoche porträtiert während dem Wahlkampf alle bisherigen Regierungsräte und neuen Kandidaten. Bereits erschienen: Eva Herzog.
Demnächst im Porträt: Lukas Engelberger (CVP).

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