Der Basler Scheich im Wüstensand

Scheich Ibrahim alias Johann Ludwig Burckhardt reiste vor 200 Jahren in den Orient. Er entdeckte Petra, Abu Simbel und unternahm sogar eine Pilgerreise nach Mekka. Timbuktu, das Ziel seiner Expedition, erreichte er aber nie. Zwei Ausstellungen in Basel befassen sich aktuell mit ihm.

Agent im Orient: Der listige Basler Forscher Johann Ludwig Burckhardt, als Scheich Ibrahim getarnt. (Bild: © Universitätsbibliothek Basel)

Scheich Ibrahim alias Johann Ludwig Burckhardt reiste vor 200 Jahren in den Orient. Er entdeckte Petra, Abu Simbel und unternahm sogar eine Pilgerreise nach Mekka. Timbuktu, das Ziel seiner Expedition, erreichte er aber nie.

Eigentlich hätte sein Leben so verlaufen sollen, wie es für die Söhne reicher Basler Familien vorgesehen war: Nachfolge im väterlichen Handelshaus, Karriere als Diplomat, ein Richteramt oder eine Professur. Aber nein, Johann Ludwig Burckhardt zog in die Welt, entdeckte vor genau 200 Jahren die jordanische Felsenstadt Petra und später den Tempel von Abu Simbel – beides Stationen auf seinem Weg ins Innere Afrikas, das er nie erreichen sollte: Nur 33 Jahre alt starb er in Kairo an einer Fischvergiftung.

Erfolglose Bewerbungen

Wir schreiben das Ende des 18. Jahrhunderts, Napoleons Truppen besetzen Basel. Vater Burckhardt, ein Seidenbandfabrikant, vertritt vehement anti-republikanische Ansichten und macht sich derart unbeliebt, dass er ins Exil gehen muss, um seine Familie nicht zu gefährden.

Johann Ludwig, am 25. November 1784 geboren, ist das achte Kind der wohlhabenden Familie. Seine Kindheit im Stadtpalais Kirschgarten und auf dem Landsitz Erndthalden bei Gelterkinden ist unbeschwert. Die Studienjahre verbringt er in Göttingen und Leipzig. Die politische Situation zu Hause dürfte ihm klar gemacht haben, dass er nicht auf das Familienvermögen zählen kann, sondern sein Geld selber verdienen muss. Seine Bemühungen, nach Studienabschluss eine diplomatische Laufbahn anzutreten, schlagen fehl. Für Vertreter des Ancien Régime ist im revolu­tionär gesinnten Europa kein Platz.

Was bleibt, ist England, der Erzfeind Napoleons. 1806 erreicht Johann Ludwig London und bemüht sich erfolglos um einen Posten im diplomatischen Dienst. Zufällig trifft er auf Forschungsreisende, die von Expeditionen aus Indien, dem Orient und Afrika zurückgekehrt sind. Sie wecken im jungen Basler die Reiselust, und er bewirbt sich, ohne grosse Hoffnungen, für eine Afrikaexpedi­tion. Er hat Glück. Ohne jede Erfahrungen erhält er die Stelle bei der «African Association». Sein Auftrag: Er soll von Kairo aus die Handelswege ins Innere Afrikas erkunden. Um ihn nicht völlig ahnungslos ziehen zu lassen, ermöglicht ihm die Association ein Studium der arabischen Sprache und der muslimischen Sitten an der Universität in Cambridge.

Agent für England

Anfang 1809 schifft sich Johann Ludwig nach Malta ein. Er verlässt Europa und seine Familie für immer. Eine Zeichnung aus jener Zeit zeigt einen sympathischen, dunkelhaarigen Mann mit kurzem Bart und gepflegtem Schnauz, dunkle Augen blicken den Betrachter offen an – es ist sein letztes Bild als Europäer. Auf der Mittelmeerinsel Malta verwandelt er sich in den indischen Muslim und Kaufmann namens Scheich Ibrahim ibn Abdallah. Er lässt sich in Aleppo nieder und unternimmt von da aus Erkundungen, beobachtet und berichtet nach London, feilt an seinem Arabisch. Das sei «eine Sprache, die nicht gesprochen, sondern herausgegurgelt werden muss», schreibt er nicht ohne ­Humor nach Basel.

Erst 1812, Napoleon sammelt in Europa Truppen für seinen Russlandfeldzug, erteilt ihm die Association die Erlaubnis, nach Kairo weiterzureisen. Er nimmt die beschwerlichere Inlandroute, reist zu Pferd oder auf dem Esel meist als Teilnehmer einer Karawane, oft geht er zu Fuss. Als aufmerksamer Reisender hört er von der «Wunderstadt» im Wadi Musa, aber es ist nicht leicht, jemanden zu finden, der ihn in das abgelegene Tal führt. Die Einheimischen misstrauen seinem Vorwand, an Arons Grab hinten im Wadi Musa eine Ziege opfern zu wollen. Lokale Beduinenclans befürchten, dass der Fremde die Schätze, die unter den Ruinen liegen, stehlen könnte.

Riskantes Unterfangen

Ein Mann führt ihn schliesslich durch eine Schlucht, an deren Ausgang er als erster Europäer die prachtvollen, in die roten Felswände eingehauenen Grabfassaden, die antiken Strassen, das Amphitheater zu sehen bekommt – eine verwunschene Stadt, verlassen seit Jahrhunderten. Scheich Ibrahim hat das antike Petra wiederentdeckt, das zwar aus alten Schriftquellen bekannt ist, aber von dem man vergessen hat, wo es liegt.

Sein Entzücken muss er für sich behalten. Er hat nur Zeit, eine Ziege zu opfern, aber keine, um die Stadt zu erkunden. Auch darf er sich keine Notizen machen. Der Akt des Schreibens hätte ihn als Europäer entlarvt – und ihn vermutlich das Leben gekostet. Für die Einheimischen grenzt Schrift an Magie; nur der Koran darf auf Papier fixiert werden. Erst später und im Geheimen hält Scheich Ibrahim seine Eindrücke schriftlich fest.

Auch wenn die Einheimischen nicht wissen können, wie ihre Zukunft aussieht, so trügt sie ihr Gefühl nicht, dass die Fremden mit dem Anfertigen von Notizen ein Unrecht begehen. Es sind Vorbereitungen für die kolonialen Eroberungen, die von diesen Karten und Aufzeichnungen profitieren werden.

Entdeckung des Tempels von Ramses II.

Scheich Ibrahim reist nach Kairo weiter, wo er aber keine Karawane findet, die westwärts Richtung Timbuktu zieht. Er unternimmt stattdessen Expeditionen nilaufwärts nach Oberägypten und entdeckt 1813 als erster Europäer Abu Simbel, den grossartigen Tempel von Pharao Ramses II.

Wie sah Scheich Ibrahim damals aus? «Meine Tracht bestand aus einem braunen, losen Wollmantel, wie ihn die Bauern in Oberägypten tragen, aus einem Hemd und Pump­hosen von grober, weisser Leinwand, aus einer weissen, wollenen Kappe, mit einem gewöhnlichen Taschentuch, wie ein Turban umwunden, und aus Sandalen. In der Manteltasche trug ich ein Tagebuch, einen Bleistift, einen Taschenkompass, einen Tabakbeutel und einen Feuerstahl. Auch besass ich einen Taschenkoran und einige Blätter Papier, um Amuletts für die Neger zu schreiben. Ich hatte eine Flinte, eine Pistole und einen grossen Stock, an jedem Ende mit Eisen beschlagen, der der Landessitte gemäss mein ständiger Begleiter war. Meine Börse trug ich in einem Gürtel unter dem Mantel.»

Zurück in Kairo verfasst er Berichte über Landwirtschaft, Flora und Fauna, Städte und Dörfer, Altertümer und über das, was ihn am meisten interessiert: die Menschen und ihre Lebensweise. Es sind erste ethnografische Aufzeichnungen, die noch heute wertvoll sind, um das Wesen der nomadischen Stämme zu verstehen.

Pilgerreise nach Mekka

Die Wartezeit auf eine Karawane macht ihn mürbe. Das Reisen, erst nur Broterwerb, ist zu seinem Lebensinhalt geworden, es hält ihn nicht mehr lange an einem Ort. Er bricht wieder auf, diesmal geht es über das Rote Meer nach Mekka. Als erster Europäer macht er den Hadsch, die islamische Wallfahrt, und kehrt zurück, um darüber zu berichten. Bis heute ist unklar, ob Scheich Ibrahim zum Islam übergetreten ist, oder ob er nur so tat als ob.

Schwere Erkrankungen

Medina ist die nächste Station des Entdeckers. Er erkrankt dort schwer an der Ruhr und kann erst drei Monate später nach Kairo zurückkehren, wo er wieder auf eine Karawane nach Timbuktu wartet. Zwei Jahre vergehen, bis im Herbst 1817 Gerüchte kursieren, dass eine Karawane zusammengestellt werde. Doch sie wird ohne Scheich Ibrahim losziehen. Der Forscher liegt mit einer schweren Lebensmittelvergiftung darnieder und stirbt am 15. Oktober 1817. Sein Grab befindet sich auf einem muslimischen Friedhof in Kairo.

Seine Schriften vermachte Johann Ludwig Burckhardt alias Scheich Ibrahim der Association in London und der Universität von Cambridge. Verwunderlich, wie wenig die Vaterstadt Basel ihren verlorenen Sohn achtet und beachtet, war er doch ein mutiger Orientforscher, dem grosse Entdeckungen gelungen sind. Immerhin bietet die Entdeckung von Petra vor 200 Jahren nun Gelegenheit, ihm Reverenz zu erweisen.

Zwei Ausstellungen:
– Antikenmuseum Basel, «Petra – Wunder in der Wüste. Auf den Spuren von J. L. Burckhardt alias Scheich Ibrahim», 23. Oktober bis 17. März 2013. Vernissage So, 21.10., 11 Uhr.
– Historisches Museum Basel, Haus zum Kirschgarten, «Scheich Ibrahims Traum. Schätze aus der Textil- und Schmucksammlung von Widad Kamel Kawar», bis 7. April 2013.

 

Artikelgeschichte

Erschienen in der gedruckten TagesWoche vom 12.10.12

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