Klackklackklack, Pschhhhhhhhh. Shez ist schon von weitem zu hören. Das satte Klicken der Mischkugeln. Das flauschige Geräusch seiner Spraydose, wenn er schwungvoll gelbe Farbe auf die pink grundierte Oberfläche aufträgt. Es riecht nach Lösungsmitteln.
Die Koordinaten der Wand kamen per SMS, sie steht in Münchenstein. Es ist eine von Shez‘ Wänden, eine, die er «klargemacht» hat. Hier darf er legal sprayen – beziehungsweise malen, wie man in der Szene sagt. Die Stimmung ist entsprechend entspannt.
Auf der Wiese liegen haufenweise Sprühdosen, Musik aus einem kleinen Lautsprecher, daneben zwei bequeme Campingsessel. Shez bespricht sich mit Zeta, einem Kollegen, der aus dem Tessin angereist ist. Sie wollen heute gemeinsam malen.
Es soll um Shez gehen, nicht um den Mann dahinter. Um den Künstler, nicht um den Angestellten mit 100-Prozent-Job.
Es ist eine Art nationaler Künstleraustausch. Die beiden kennen sich über Facebook und sehen sich heute zum ersten Mal. Gemeinsam Dosen schütteln, Ideen an die Wand bringen und Graffiti-Geschichten austauschen, von einander lernen. Sprayen als Familienangelegenheit.
Als Fixpunkt für das Bild dient ihnen der Buchstabe Z, den sie beide im Namen führen. Auch farblich haben sie sich gefunden: gelb-graue Schriftzüge vor pinkem Hintergrund sollen es werden.
Auch wenn es sich in diesem Fall um eine legale Wand handelt, wollen die beiden Sprayer anonym bleiben. Es soll hier um Shez gehen, nicht um den Mann dahinter. Um den Graffitikünstler, nicht um den Angestellten mit 100-Prozent-Job. Wir dürfen fotografieren, die beiden Künstler jedoch nicht von vorne zeigen.
Anonymität ist überlebenswichtig für Sprayer, denn trotz «klargemachter» Wände findet ein grosser Teil ihrer Kunst im Illegalen statt. Grosse Flächen, auf denen ohne Sorge vor Polizei und Schadenersatzforderungen gemalt werden kann, sind selten.
Und es gehört auch irgendwie dazu. Das Klandestine, Eingeschworene, Subversive. Daraus ist diese Kunstform entstanden, das ist der Mythos, der die Graffiti-Szene umweht.
Mit grösserer Präsenz im Netz erhöht sich auch die Beweislast. Das Vermächtnis kann zum Verhängnis werden.
Eines grosses «Piece» besteht aus mehr als nur aus dem künstlerischen Ausdruck. Es braucht grosse Erfahrung und präzise Planung. Nur so lässt sich beispielsweise ein Zug bemalen, der dann auch wirklich auf die Strecke geht, ohne dass ihn die SBB vorher austauschen kann.
Das Risiko steigt für einen Sprayer, je länger er dabei ist. Die Polizei dokumentiert jedes Werk. «Wird man dann in flagranti erwischt, versuchen sie dir natürlich jedes einzelne Bild mit deinem Schriftzug anzulasten.» Seit der Szeneblog «Wandschmuck Basel» online ging, sind die Bilder zwar im Internet öffentlich verewigt. Doch mit der grösseren Präsenz erhöht sich auch die Beweislast. Das Vermächtnis kann zum Verhängnis werden.
Shez ist schon sehr lange dabei und gehört noch immer zu den aktivsten Vertretern der Basler Szene. Wenn man seinen Namen bei «Wandschmuck» eingibt, werden alleine für das laufende Jahr elf Bilder aufgelistet. Er ist heute Mitte 30 und sprayt seit Sommer 2003. Zuvor hatte Shez drei Jahre lang nur auf Papier an seinem Style gefeilt.
«In der Berufslehre hat mir ein älterer Kollege gezeigt, was Graffiti ist. Er war dann auch ein paar Jahre mein Mentor. Hat mir Vieles erklärt und mich in den Szenekodex eingeführt. Mich hat das sofort gepackt. Graffiti hat schon immer in mir gesteckt, er musste die Leidenschaft nur noch wecken.»
Es kam der Schritt vom Papier zur Wand. Das Fieber hat ihn jetzt definitiv gepackt. Er malte exzessiv, ging jede zweite Nacht raus auf die Strasse. «Drei bis vier Pieces pro Woche, drunter gings nicht.» Shez verhielt sich wie ein Süchtiger, vernachlässigte Freunde und Familie, verschuldete sich mit mehreren Zehntausend Franken, weil er sein Geld für Dosen ausgab und Rechnungen nicht mehr beglich. So ging das rund sechs Jahre lang.
Sprayer führen zwei Leben
Dann kam der Zusammenbruch. Erst starb sein Vater, dann folgten gesundheitliche Probleme. Unter grossen Schmerzen versuchte er zuerst weiterzumalen, aber: «Ich konnte nicht mehr.» Mehrere Monate blieb er ans Bett gefesselt. Shez war gezwungen, über sein Leben nachzudenken.
«Als Sprayer führst du zwei Leben. Du willst deinen Namen in die Welt tragen. Du willst derjenige sein, der seine Bilder an die verrücktesten Orte malt. Derjenige, um den man in der Szene nicht herumkommt. Gleichzeitig führst du daneben eine normale Existenz, gehst einer Arbeit nach. Es ist sehr schwierig, diese beiden Leben unter einen Hut zu bringen.»
Damit ist das Bild vollendet. Während Shez und Zato ihre Dosen zusammeräumen, erzählt Shez seinem Tessiner Kumpel Graffiti-Geschichten von früher. Basel hatte schon in den 90ern den Ruf, erstklassige «Writer» hervorzubringen. Die «Basel Line» entlang der Einfahrt zum Bahnhof SBB ist europaweit bekannt. Der Konkurrenzkampf auf den Strassen und an den Wänden tobte. Verschiedene Crews machten sich Reviere streitig, wollten sich auf den prominentesten Wänden behaupten.
Wer draufgängerisch war und keine Skrupel kannte, konnte es in der Szene zu grossem Ruhm bringen. Es war ein Milieu, das einen bestimmten Schlag Mensch anzieht. Die Sitten waren zuweilen rau – auch Shez prügelte sich schon um Wände. Einmal hielt ihm ein anderer Sprayer sogar eine Pistole an den Kopf.
Muss man ein harter Typ sein, um sich in der Graffitiszene einen Namen zu machen?
«Es hilft sicher, wenn man sich auch in brenzligen Situationen behaupten kann. Ich bleibe nicht einfach freundlich, wenn mir jemand meine Position streitig machen will. Dafür sind mir in meinem Leben zu viele schlechte Dinge widerfahren.»
Heute malt Shez hauptsächlich legal
Die richtig wilden Jahre hat Shez hinter sich gelassen. Inzwischen malt er hauptsächlich legal. Er tritt sogar an Messen und in Galerien auf. Mehrere eigene Ausstellungen hat er bereits organisiert, seine Bilder auf Leinwänden verkauft. So kann er sich das Geld für sein Malgerät verdienen, einen Dosen-Sponsor hat er keinen.
Shez ist als Künstler gereift. Er schafft den Spagat von der ambitionierten Einzelmaske zur vernetzten Szenegrösse. Und doch steht er an diesem Nachmittag mit gerunzelter Stirn vor dieser Wand in Münchenstein.
«Da, diese Linie ist verwackelt. Und hier läuft die Farbe runter. Ich bin eigentlich nie mit mir zufrieden. Wenn ich ein Bild gemalt habe, will ich gleich das nächste anfangen. Es noch besser machen.»
Shez ist einer von vielen Graffiti- und Streetart-Künstlern, der am Urban Art Festival Basel teilnimmt. Zu sehen gibts seine Bilder vom 28. 10. bis zum 5. 11. in der Halle 2 der Messe Basel. Eintritt ist gratis.