Es ist halb fünf in der Früh. Flüssige weisse Kreide spritzt auf den Asphalt. Es muss schnell gehen. Schnauze und Schwanz des Tiers werden etwas zu rund. Spielt keine Rolle. Den Kojoten erkennt man auch so. Aus dem Schatten des Theaterplatzes schaut eine ad hoc zusammengewürfelte Aktionsgruppe Simon Aeberhard zu. «Warte bitte noch mit den Plakaten. Wir machen erst hier fertig», bittet er eine Mitstreiterin, die gerade die Werbeplakate für seine Petition gegen Pelzimporte ausrollen will.
«Wenn die Polizei kommt, verweist auf mich. Ich nehme das auf meine Kappe», hatte er vor der Aktion im Oval der Serra-Plastik gesagt. Aber eigentlich will auch er keinen Ärger mit den Gesetzeshütern. Aeberhard schüttelt die Sprühflasche und sieht sich dabei um. Ein Auto fährt vorbei. Nein, nicht die Polizei. Also weiter. Noch ein paar Spritzer und das rund zwei Meter lange Tier ist fertig gesprayt.
Die sechs Tierschützer kleben Plakate an die Serra-Plastik dahinter. Zünden Grabkerzen an und verteilen um den Kojoten Blumen, die Aeberhard aus dem Friedhofskompost geholt hat. «Pietätlos? Nein, das ist Recycling!» findet er augenzwinkernd. Ein Thema, das Aeberhard in die hiesigen Medien brachte. Seinetwegen standen in diesem Sommer zum ersten Mal Recycling-Stationen am Rheinufer. Auch dafür hatte er eine Petition gestartet.
Ein Jahr zuvor sorgte Aeberhard mit seinem Kampf gegen Kirchenglocken in Olten für Furore. Als damaliger Anwohner der Friedenskirche rissen ihn die Uhrschläge nächtens aus den Träumen. «Es gab keine Argumente für das Geläut. Wir haben ja alle Armbanduhren und Handys.» Er suchte das Gespräch, sammelte Unterschriften und reichte schliesslich einen Antrag ein. Die Kirche knickte ein. Seither läuten die Glocken in der Nacht immerhin nur noch stündlich.
Die Welt verbessert Aeberhard auch im Berufsalltag. Als Musiklehrer an einer Bezirksschule im Aargau. Dort sensibilisiert er zum Beispiel mit Hip-Hop, Soul und Funk für die prägende Vergangenheit anderer Kulturen. «Aus der Musik lässt sich viel mehr herauslesen, als bloss Noten und Tonleitern», so Aeberhard.
Einen Konflikt zwischen seiner Vorbildfunktion als Lehrer und der nächtlichen Aktion sieht Aeberhard nicht. Im Gegenteil. «Die Schüler nehmen andere Widersprüche viel stärker wahr», ist Aeberhard überzeugt. «Zum Beispiel, wenn ein Lehrer von Ausbeutung in Kupferminen spricht und trotzdem stets das neueste Smartphone kauft.» Indem er etwas unternimmt, sei Aeberhard erst recht ein Vorbild. In Zeiten von Rechtsrutschen, Trump und Co. brauche es mehr Aktivismus. «Ich achte aber stets darauf, dass kein Schaden entsteht. So bleibe ich zumindest in einer Grauzone.» Darum hält er auch einen Kreide- und keinen Farbspray in der Hand.
Während die spontan zusammengekommene Aktionsgruppe die letzten Blumen und Kerzen richtet, steigt ein Strassenarbeiter der Stadtreinigung die Treppe hoch. Und – oh weh – am Steinenberg zieht eine Kehrmaschine ihre Runden. Dem Mahnmal droht ein kurzes Dasein. Aeberhard ist verunsichert. Er zögert.
Dann geht der Aktivist zum Angriff über: «Grüezi!», spricht er den Arbeiter höflich an. Ein paar kurze Worte mit einem freundlichen Lächeln, verständiges Nicken und freundschaftliches Winken beim Verabschieden. «Sie lassen es stehen», verkündet Aeberhard erleichtert. Die Aktion ist gerettet.
Das Mahnmal steht. An der Wand hängt ein schwarzes Kreuz aus Plakaten. Davor der Kreide-Kojote inmitten von Blumen und Kerzen. Aeberhard ist zufrieden. Es sei seine bisher grösste Aktion dieser Art. Mahnmale hat er schon öfter errichtet. Vor Modeläden in der Stadt zum Beispiel. Seine Mitstreiter dafür findet er in den sozialen Netzwerken. Anders als Aeberhard, der bereitwillig vor dem Mahnmal für Fotos posiert, möchten sie lieber anonym bleiben.
Aeberhard bedankt sich bei seiner Gruppe für die erfolgreiche Aktion. «Ich habe euch noch ein kleines Dankeschön mitgebracht», sagt er und drückt jedem einen selbergebackenen Lebkuchen in die Hand. «Tschüss und bis bald auf Facebook!» Aeberhard bleibt allein zurück. Mit Kreide hinterlässt er noch eine Botschaft ans Theater, falls sich jemand über die Kerzen und Blumen aufregen sollte. Und dann tritt auch er zufrieden den Heimweg an. Bis er, wie eben hingeschrieben, am Nachmittag sein Mahnmal wieder abräumt. Das gebietet der Anstand.