Der politische Aufwiegler und sein Orchester

Ruedi Linder ist diesjähriger Kulturpreisträger der Gemeinde Riehen. Mit einigen Freunden gründete der politisch engagierte Musiker 1980 basel sinfonietta. Auf die Blasinstrumente brachte ihn sein Vater, ein Heilsarmist.

Riehener Kulturpreisträger 2012: Ruedi Linder. (Bild: Aissa Tripodi)

Ruedi Linder ist diesjähriger Kulturpreisträger der Gemeinde Riehen. Mit einigen Freunden gründete der politisch engagierte Musiker 1980 basel sinfonietta. Auf die Blasinstrumente brachte ihn sein Vater, ein Heilsarmist.

Man sieht ihn oft im Kleinbasel. Schnellen Schrittes den Claraplatz überquerend, mit dem Fahrrad an der Buvette bei der Oetlingerstrasse vorbeifahrend oder bei einem Kaffee im «Graziella» sitzend, vielleicht mit einer neuen musikalischen Idee im Kopf. Der schlaksige Mann mit dem hellblonden Schopf fällt auf. Auch als er den idyllischen Hof des Stadthauscafés betritt, wo wir uns zum Gespräch treffen. Das kennt er noch nicht.

Ruedi Linder bewegt sich in zwei riesigen Universen, in dem der Musik und in dem der Kunst. In beiden erlebt er viel Freiheit. Das ist es, was er anstrebt. Experimentieren und improvisieren, nicht lediglich interpretieren, wie dies als Instrumentalist in einem konventionellen Orchester oft der Fall ist. «Der Instrumentalist ist sozusagen der Pinsel des Komponisten», sagt er und beantwortet damit die Frage, weshalb er nach dem Studium der Trompete an der Musik-Akademie Basel im bewegten Jahr 1980 mit einigen Mitstreiterinnen und Mitstreitern ein selbstverwaltetes Orchester gründete: basel sinfonietta. Damit erklärt er auch, warum er zeichnet und malt. Ihm geht es um die direkte Teilhabe am kreativen Prozess. Nichts dazwischen.

Heilsarmee-Posaune zum Start

Linder wächst in Riehen auf und geht dort zur Schule. Er ist gut in jenen Fächern, die «nicht zählen»: Die Musik fasziniert ihn, das Zeichnen und die Natur. Der Vater spielt Posaune in der Heilsarmee und bringt die Grundlagen auch dem Sohn bei. So beginnt das mit der Musik. In den folgenden Jahren übt Linder für sich.

Obwohl es nicht das ist, was er wirklich will, absolviert er bei Hoffmann-La Roche eine Lehre als Maschinenmechaniker. Nach dem Lehrabschluss wird er wegen politischer Aufwiegelung der Lehrlinge nicht weiter beschäftigt. Er steht der linken Lehrlingsorganisation Hydra nahe, einer Vorläuferorganisation der Poch.

Linder beginnt, regelmässigen Trompetenunterricht zu nehmen und meldet sich auf Empfehlung seines damaligen Lehrers für die Aufnahmeprüfung am Konservatorium an. Er besteht. Für ihn ist nun klar, wohin die berufliche Reise in den nächsten Jahren geht; zur Prüfung der Kunstgewerbeschule, die er ebenfalls in Erwägung gezogen hat, tritt er nicht mehr an. 1975 nimmt er an der Musik-Akademie Basel sein Studium in der Klasse von Mario Populin auf.

Er beherrscht «das Horn und seine Verwandten». Seit 1998 spielt er auch Shakuhachi, eine japanische Bambuslängsflöte und Meditationsinstrument zen-buddhistischer Mönche. Er verbrachte mehrere Unterrichtsaufenthalte in Japan, «in einer Kleinstadt im Süden, nicht in Tokio». Touristen gebe es dort keine und Blondhaarige wie er seien manchmal schon ein bisschen genauer angeschaut worden, erzählt er.

Musik, Kunst und Politik

Politisch aktiv ist Linder nach wie vor, wobei für ihn Musik, Kunst und Politik voneinander nicht zu trennen sind. «Müsste ich mich einem -ismus zuordnen, wären das politisch der Kommunismus und philosophisch, weltanschaulich der Existenzialismus und der Atheismus», sagt der stets parteilos Gebliebene. Doch im Grunde sei er einfach ein politischer, sozial denkender Mensch. Gerade kommt er von einer Solidaritätsveranstaltung für 200 Sans-Papiers, die beim Zoll Otterbach die Grenze passiert haben, um für ihre Rechte zu demonstrieren.

Auch die Suche nach einem neuen Orchesterkonzept um das Jahr 1980 war politisch motiviert. Es war die Zeit des Autonomen Jugendzentrums (AJZ). Zahlreiche selbstverwaltete und genossenschaftliche Organisationen und Projekte entstanden, der Verein Kulturwerkstatt Kaserne, der Studentenreisedienst, die Rote Fabrik, die WoZ. Basisdemokratische Entscheidungsfindung, Selbstverwaltung und Emanzipation in jeder Hinsicht waren seit 1968 die entscheidenden Themen.

Unter der Initiative Linders und mit viel Idealismus wurde das Orchester basel sinfonietta gegründet. Verdient hat dabei niemand. Auch die Zugreisen bezahlten die Musiker am Anfang noch selbst. Jedoch war das Orchester, das sich heute noch selbst verwaltet, frei in der Wahl seiner Dirigenten, Solistinnen und des Programms. Auf der Suche nach ideeller und finanzieller Unterstützung konstituierte sich ein politisch breit abgestützter Förderverein. Als schliesslich 2005 eine Grossbank als Sponsorin auf den Plan trat, reichte Linder, damals Präsident des Orchesters, seinen Rücktritt ein.

Ohne Musik zu unterrichten, überlebt kaum ein Musiker. Für viele ist die Musikvermittlung der Brotjob, der es ihnen ermöglicht, der wirklichen Leidenschaft nachzugehen. Nicht so für Linder. Er gibt sein Wissen gerne weiter; sieht darin sogar eine Verpflichtung im positiven Sinn.

Seit 1987 doziert er an der allgemeinen Schule der Musik-Akademie Basel, seit 2007 hat er ein kleines Pensum an der Fachhochschule Nordwestschweiz FHNW. Seine Schülerinnen und Schüler kommen oft über Jahre zu ihm; es ist spannend, sie in ihrer musikalischen Entwicklung zu begleiten. Etwa zu beobachten, wie auch ein musikalisch weniger begabtes Kind seinen Weg machen kann und als Jugendlicher in ein Blasorchester eintritt und vor Publikum spielt.

Von Folk-Pop bis Alphorn

Immer besonders fasziniert haben ihn spartenübergreifende Projekte, gemeinsame Arbeiten mit Schauspielerinnen (Marianne Sägebrecht), mit Philosophen (Rüdiger Safranski) oder mit Tänzerinnen (Kendra Walsh). Auch die Popmusik verschmäht er nicht;. Während zweier Jahre spielte er Trompete in der Basler Folk-Pop-Band Bartrek. Gegenwärtig probt er intensiv mit dem Alphornquartett Hornroh; im nächsten Jahr kommt ein neues Programm.

Zudem ist Linder damit beschäftigt, sich in Porrentruy ein Atelier einzurichten. Er liebt den bereits etwas französisch anmutenden Jura, der trotz seiner Ländlichkeit nicht allzu weit von der Stadt entfernt ist, in der er lebt und wo seine Freunde leben. Und vom «Graziella». Im Jura wird er malen und zeichnen und «das Horn und seine Verwandten» spielen.

Artikelgeschichte

Erschienen in der gedruckten TagesWoche vom 24.08.12

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