Nela Rajić ist Lehrerin in einem Schulsystem, das Katholiken und Muslime getrennt unterrichtet. Dabei interessieren sich die Kinder nicht für ihre Zugehörigkeit; das kommt erst später.
Nela Rajić spaziert durch Travnik und zeigt dem Besucher das Geburtshaus des Literaturnobelpreistägers Ivo Andrić sowie mehrere Gebäude, die zu Zeiten der osmanischen Herrschaft erbaut wurden. Sie betont, dass Travnik die einzige Stadt in Bosnien-Herzegowina mit zwei osmanischen Uhrtürmen sei, sogenannten Sahat Kula.
Nela Rajić studierte Lehramt in Sarajevo: «Ich habe mit dem Gedanken gespielt, nach Deutschland zu ziehen, die Hoffnung auf eine Stelle in Bosnien hatte ich schon aufgegeben.» Nun ist sie glücklich, doch eine Stelle gefunden zu haben, die ihrer Qualifikation entspricht. Die 27-Jährige arbeitet als Grundschullehrerin im nahegelegen Novi Travnik und verbringt die meisten Wochenenden weiterhin in Sarajevo.
Sie bleibt stehen, zeigt mit dem Finger auf ein Haus und erzählt: «Dort bin ich zur Schule gegangen.» Es ist ein Gebäude, dass zweigeteilt ist. Die eine Hälfte ist blau gestrichen und renoviert. Die andere Seite ist gelb gestrichen, heruntergekommen und vollgeschmiert. Ein Zaun teilt den Garten. Im renovierten Teil gehen die katholischen, im heruntergekommenen die muslimischen Kinder zur Schule.
Diese Schule erstickt die Hoffnung auf Einigkeit
Das geteilte Gebäude ist ein Sinnbild für die «Zwei Schulen unter einem Dach»-Politik des Kantons Zentralbosnien. Das Verfassungsgericht hat diese Praxis verboten, doch vor Ort interessiert das niemanden.
Der Vertrag von Dayton ermöglicht es, dass jede Gruppe ihre eigene Schule hat, in der die eigene Interpretation von nationaler Identität und Geschichte gelehrt wird. Die bosnischen Kroaten lernen mit Lehrmitteln aus Kroatien. Der Unterricht beginnt in den getrennten Klassen zu verschiedenen Zeiten und auch die Pausen sind nicht zeitgleich. Und falls doch mal alle Kinder zur selben Zeit auf dem Pausenhof sind, gibt es ja noch den Zaun.
Nela Rajić sagt: «Den Kindern ist die ethnische Zugehörigkeit egal. Der Zaun und die unterschiedlichen Schulzeiten sind unnötig.» In Travnik leben bosnische Kroaten und Bosniaken Tür an Tür. «Das Zusammenleben funktioniert hier besser als anderswo, aber wenn du Streit anfängst, wird sehr schnell die Nationalismuskarte gespielt.»
Denn aus den Kindern, denen die ethnische Zugehörigkeit egal ist, werden Erwachsene, für die es kaum etwas Wichtigeres gibt. Das gilt für die nach dem Krieg Geborenen noch mehr, als für diejenigen, die den Krieg erlebt haben. Die Phrase, dass die Jugend die Hoffnung für ein einiges Bosnien-Herzegowina sei, wird wie ein Mantra wiederholt. Dank Schulen wie dieser wird diese Hoffnung enttäuscht.
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Vor 20 Jahren beendete eine Reihe von Unterschriften den Bosnienkrieg. Das Töten hat damals aufgehört, aber wie weit ist der Frieden gekommen? Die TagesWoche wollte es genau wissen, unser Korrespondent Krsto Lazarević ist eine Woche durchs Land gezogen und hat Menschen befragt. Entstanden ist eine Porträtserie, deren Einzelgeschichten Sie nachfolgend aufgelistet finden.
Wer sich ein Bild vom Land machen will, dem empfehlen wir den Bildstoff – aber auch die Erklärung des politischen Systems, schliesslich gilt es als das komplizierteste der Welt.
Getrennte Schulen und ihre Wirkung: Grundschullehrerin Nela Rajić erzählt.
Die Islamisten kommen zum Kaffee: Was die Teilung des Landes zur Folge hat, erzählt Blagoje Vidović.
Zudem erklärt Autor Norbert Mappes-Niediek, wie das Friedensabkommen genau zustandegekommen ist und welche Fehler begangen wurden:
Wie die Amerikaner sich vor 20 Jahren in Bosnien durchsetzten – und sich dabei verschätzten
Im Interview hat Mappes-Niediek zudem mit dem deutschen Diplomaten Wolfgang Ischinger – Leiter der deutschen Delegation in Dayton – über die Fehler von damals und Parallelen zum Syrienkrieg gesprochen:
«Bis heute ist aus dem Waffenstillstand kein wirklicher Friede geworden»
Den gesamten Schwerpunkt in der Übersicht finden Sie in unserem Dossier zum Thema.