Dass Joselane Santos Huggler heute so ist, wie sie ist, das sei die Schuld ihres Vaters. Zumindest wenn man der Geschichte Glauben schenkt, die ihre Mutter gerne erzählt.
Und diese Geschichte, die geht so: Der Vater von Joselane habe sich als erstes Kind von ganzem Herzen einen Sohn gewünscht. Nur, geboren hat ihm seine Frau eine Tochter. Allerdings sei der Wunsch des Vaters nach einem Jungen während der Schwangerschaft derart stark gewesen, dass das ungeborene Kind dies gespürt habe. Und so habe seine Tochter einige der männlichen Eigenschaften mitbekommen, die eigentlich für den Sohn bestimmt gewesen wären.
«Es hat schon ein bisschen etwas», sagt Joselane Santos Huggler, als sie mit einem Lächeln diese Anekdote zum Besten gibt. Sie sei wahrlich kein typisches Mädchen gewesen. «Bei uns im Quartier interessierten sich die jungen Frauen für schöne Kleider und fürs Schminken und wurden dann mit 17 Jahren schwanger», erzählt sie.
«Weil ich immer anders war, war meine Familie nicht erstaunt, als ich in die Schweiz auswandern wollte.»
Mit alledem konnte sie selber gar nichts anfangen. Oberflächlichkeiten sagten ihr nichts. Sie war wissensdurstig, ging als einzige ihrer Familie an eine Universität. Wenn sie Geld verdiente, legte sie es zur Seite. Nicht um sich Accessoires zu kaufen, sondern um zu reisen. «Ich war immer ein bisschen anders als die Frauen in meiner Verwandtschaft. Daher war meine Familie gar nicht sonderlich erstaunt, als ich ihr mitteilte, dass ich in die Schweiz auswandern werde.»
Basel wie es leibt, lebt und isst
Die Idee zum Buch hatte Michael Martin, der im Friedrich Reinhardt Verlag für Spezialpulbikationen zuständig ist: Die Küchen, Köche und Köchinnen der Basler Gastronomie von ihrer internationalen Seite zu zeigen. Und damit auch Geschichten über die Migration zu erzählen.
Umgesetzt haben die Idee der SRF-Journalist und studierte Philosoph Philipp Schrämmli sowie der aus Dänemark stammende Fotograf Laurids Jensen. Herausgekommen ist das Buch «Die Welt in Basler Kochtöpfen» mit 25 einfühlsamen, spannenden Portraits von Menschen aus aller Herren Länder, auch aus der Schweiz, die in Basler Küchen dafür sorgen, im riesigen kulinarischen Angebot der Stadt über den Tellerrand hinausschmecken zu können.
Die TagesWoche stellt hier eines der Portraits vor und serviert dazu eines der vielen Rezepte, die sich auf den 216 Seiten finden: einen brasilianischen Fischeintopf, der Moqueca de peixe baiana (siehe am Ende dieses Beitrags). Erhältlich ist das Buch auch beim Co-Sponsor Globus, der in seinem Warenhaus auch einige der exotischen Zutaten anbietet. (cok)
» Die Welt in Basler Kochtöpfen», Reinhardt Verlag, 216 Seiten, 34,80 Franken
Geboren wurde Santos Huggler in Salvador, der drittgrössten Stadt Brasiliens. Sie wuchs auf mit zwei (jüngeren) Brüdern, den Eltern, einer Grossmutter und «ganz, ganz vielen Cousins und Cousinen». Ihre Familie gehörte zur Mittelschicht. «Wir hatten eine tolle Kindheit, wohnten alle nahe zusammen, spielten auf der Strasse und gingen gemeinsam in die Ferien. Wir hatten keinen Luxus, aber es fehlte an nichts.»
Nach der Schule wollte Santos Huggler ein Psychologiestudium beginnen, scheiterte jedoch zweimal an den Aufnahmeprüfungen. Also sattelte sie um und begann eine universitäre Sekretariatsausbildung. Dieser Studiengang nennt sich «Secretariado Executivo» und bereitet die Teilnehmenden darauf vor, später in den Sekretariaten grosser Unternehmen zu arbeiten.
Das vierjährige Studium beinhaltete zwei halbjährige Praktika, welche Santos Huggler in einer Bank und an der Universität selber absolvierte. Anschliessend fand sie eine Stelle bei einer spanischen Immobilienfirma, die eine Filiale in Salvador besass. Dort würde sie vielleicht noch heute arbeiten, wenn im November 2012 nicht ein Mann aus der Schweiz in ihr Leben getreten wäre.
«Eigentlich wollte ich nur Ferien machen» – wie aus Joselane Santos Frau Huggler wurde.
Ihren Herrn Huggler lernte Frau Santos bei einem Grillfest kennen. Herr Huggler war ein grosser Brasilien-Fan, betrieb seit Jahren die brasilianische Kampfkunst Capoeira, sprach Portugiesisch und spielte mit dem Gedanken, nach Brasilien auszuwandern. Deshalb war er zu jener Zeit auch in Salvador, um bei einem Ableger der Speditionsfirma, für die er in der Schweiz arbeitete, einen Monat lang zu schnuppern.
Noch faszinierender als das Land und die Arbeit fand er dann allerdings Joselane. Nur wenige Wochen nach seiner Abreise kehrte er bereits wieder nach Brasilien zurück, um sie wiederzusehen. Im Mai 2013 lud er sie dann für ein paar Tage in die Schweiz ein. «Eigentlich wollte ich nur drei Wochen Ferien machen», sagt Santos Huggler und lächelt. Denn sie ist bis heute geblieben. «Das war wirklich nicht geplant. Ich hatte sogar noch meinen Job in Salvador. Mein Vater musste ihn für mich kündigen und ich ihm dafür eine Vollmacht schicken.»
Der Anfang in der Schweiz war einsam
Der Anfang in der Schweiz sei trotz der Glücksgefühle einer jungen Liebe nicht einfach gewesen. «Als ich ankam, konnte ich weder ‹Ja› noch ‹Nein› sagen, ich sprach kein einziges Wort Deutsch», erinnert sich Santos Huggler. Die damals 29 Jahre junge Frau, die in Brasilien stets mit Freunden auf Achse war und – wie ihre Mutter gerne sagte – nur zum Schlafen nach Hause kam, war plötzlich einsam.
«Ich habe damals viel geweint», erinnert sie sich. Sie vermisste ihre Familie und die Spontanität ihrer Heimat. «In Brasilien wird man jeden Abend zu einer Party eingeladen. In der Schweiz muss man sich zwei Monate vorher verabreden, wenn man einen Kaffee trinken will.»
Mit der Zeit akklimatisierte sich Santos Huggler indes besser. Sie besuchte mehrere Sprachkurse und nahm an einem Berufsmentoring teil. Dort wurde ihr «Crescenda» empfohlen, eine Basler Organisation, die Migrantinnen beim Einstieg in die berufliche Selbstständigkeit hilft. Santos Huggler besuchte sowohl den Gründungs- wie den Gastronomiekurs. Denn Gastronomie sei für sie immer ein mögliches Berufsfeld gewesen.
«Unsere Mutter hatte zwar kein Geld für einen Diener, aber dafür hatte sie drei Kinder.»
Kochen lernte Santos Huggler nämlich schon in ihrer Kindheit. «Unsere Mutter war etwas unkonventionell. Anstatt uns zu verwöhnen, spannte sie mich und meine Brüder in den Haushalt ein. Sie hatte zwar kein Geld für einen Diener, aber dafür hatte sie drei Kinder», erzählt Santos Huggler und muss dabei herzhaft lachen. Schon mit zwölf Jahren habe sie manchmal für die ganze Familie gekocht. Noch heute tausche sie sich regelmässig mit ihrer Mutter aus und verwende viele ihrer Rezepte.
Nach den beiden Kursen blieb Santos Huggler bei Crescenda und arbeitet seither im Bistrot der Organisation beim Schützenmattpark. Zwei Tage im Service und jeweils am Mittwoch als Köchin. Dann ist der Crescenda-Speiseplan ganz brasilianisch. «Ich versuche, das Menü jede Woche zu ändern und immer etwas anderes zu kochen.» Daneben baut sie einen Cateringservice auf, «Tabuleiro Baiano». Das Ganze funktioniere derzeit noch fast ausschliesslich via Mund-zu-Mund-Propaganda.
Santos Hugglers Traum ist es, einmal einen kleinen Essensstand oder einen Laden zu führen. Zudem möchte sie sich weiterbilden, vor allem im kaufmännischen Bereich. «Mein grosses Ziel ist es, eines Tages selbstständig und unabhängig zu sein», sagt sie. Daran arbeite sie, seit sie in die Schweiz gekommen ist. «Ich weiss, dass das schwierig wird», sagt sie bescheiden.
Doch wer ihr zuhört, ihre Leidenschaft spürt und weiss, wie kurz sie erst in der Schweiz lebt, der hat kaum Zweifel, dass Joselane Santos Huggler das gelingen wird.
Das Bistrot Crescenda befindet sich am Schützenmattpark, Bundesstrasse 5, und hat montags bis freitags von 9 bis 17 Uhr geöffnet.
Das Rezept: Moqueca de peixe baiana – brasilianscher Fischeintopf à la Joselane Santos Huggler
Die Zutaten (für 4 Personen)
4 Filets vom Lachs oder von der Dorade (als Empfehlung des Autors dessen Verhältnis zum Kochen er so beschreibt: «Bin ein Versager, aber Geniesser»)
etwas Salz
2 Limetten
3 EL Palmöl (als Empfehlung der Redaktion: anderes Fett geht bestimmt auch)
1 Zwiebel, in Würfel geschnitten
½ grüne Paprika, geschnitten
2 reife Tomaten
1 Zwiebel, in Ringe geschnitten
1 grüne Paprika, in Ringe geschnitten
1 reife Tomate, in Ringe geschnitten
700 ml Kokosmilch
1 Bund frischer Koriander, gehackt
Die Zubereitung
Die Fischfilets abspülen und trocken tupfen. Mit Salz und Saft von einer Limette einreiben und 30 Minuten marinieren. Das Palmöl in einer grossen Pfanne auf mittlere Temperatur erhitzen. Die geschnittene Zwiebel, die halbe grüne Paprika, der Saft der anderen Limette und die Tomaten dazugeben und kurz anschwitzen.
Den Fisch mit Marinade in die Pfanne geben und einige Minuten dünsten. Anschliessend die Ringe von Zwiebel, Paprika und Tomaten sowie die Kokosmilch hinzufügen und 15 Minuten köcheln lassen. Den Koriander in den Topf geben, umrühren und abgedeckt 5 Minuten köcheln.
Beilagen: weisser Reis (Basmati) und Nusspüree (Vatapá)