Sharon Möller ritzt mit der Wiedehopf-Haue zwei Kerben in den steinigen Boden. Dann holt sie aus und schlägt mit ein paar gezielten Schlägen ein Loch aus. «Es muss so tief sein wie die Wurzeln des Strauches.»
Es ist kurz vor acht Uhr morgens. Wir stehen auf einer Anhöhe der Clingenthal Kiesgrube Muttenz und pflanzen Berberitzen. Die Aussicht ist fast surreal, die Landschaft voller Brüche. Vor uns klafft, weit unten, die Grube wie ein Schlund im Boden, dahinter eine dünne Kette Wald, dann Eisenbahnschienen. Hinter uns schlängelt sich ein Weg über eine grüne Wiese zu einem Bauernhof, flankiert von einem Herbstwald in Grün-Rot-Gelb-Tönen.
Sharon Möller ist Forstwartin bei der Bürgergemeinde Basel-Stadt. Mit ihren Kollegen pflegt sie 690 Hektaren Wald in der Region, darunter auch in der Muttenzer Hard bei der Kiesgrube. Heute Morgen pflanzt Möller mit Lehrling Sämi eine Ladefläche voller Sträucher in die steinige Erde. Die 20-Jährige misst die Distanz zwischen den Pflanzen, weist auf eine Stelle und sagt zu Sämi: «Du pflanzt dort.»
Die Sträucher ersetzen rund 100 Weiden, die unten der Kiesgrube zum Opfer gefallen sind. Aufforstung ist eine der Aufgaben des Forstbetriebs. Das Gebiet erhält besondere Aufmerksamkeit, es ist Heimat für die geschützte Kreuzkröte. Sie wurde von der Zurlindengrube in Pratteln hierher umgesiedelt, als dort ein neuer Coop entstand.
Römm, römm macht die Motorsäge
Möller pflanzt gerne, aber noch lieber fällt sie Bäume, etwa, damit andere mehr Platz haben und gut wachsen können. «Dann wird einmal etwas Rechtes aus ihnen, sodass wir Holz ernten können.» Holz ernten ist befriedigend: «Dann siehst du am Abend, was du gemacht hast.» Bei den Kröten in der Kiesgrube ist sie sich nicht sicher, ob es die kümmert, ob sie ein paar Sträucher mehr oder weniger haben.
Ausserdem mag Möller Maschinen. Etwa die Motorsäge. «Manchmal gäselen wir schon ein bisschen.» Gäsele heisst mit dem Gas spielen. Das macht man vor allem am Anfang, wenn man die Säge einstellt. Man zieht zwei-, dreimal an der Schnur, bis der Motor läuft, dann spielt man etwas mit dem Gas, damit er nicht sofort wieder «verreckt». Dann ertönt dieses schöne Röhren, das Töfffahrer auch gerne produzieren, wenn sie nach dem Rotlicht anfahren. Römm, römm.
Eine Frage der Ehre
Aber Möller sagt nicht viel zum Gäsele, lieber erklärt sie, wie die Sicherheitshose funktioniert. Die hat eine spezielle Beschichtung. Wenn man mit der Motorsäge ausrutscht und ins Bein fährt, zieht die Hose Fäden, die sich um die Kette wickeln und sie so stoppen. Sicherheit ist für Forstwartinnen und Forstwarte eine Frage der Ehre: Möller und ihr Stift Sämi erzählen Geschichten von Bekannten, die ohne Schnittschutzhose oder Sicherheitsschuhe motorsägelten. «Aber nicht vor den Augen eines Forstwartes», sagen sie dann.
Bei aller Vorsicht kommt es dennoch zu Unfällen. Möller hatte einen im Juni: Sie sägte sich in den Unterarm. Eineinhalb Sehnen waren durch, aber keine Blutgefässe oder Nerven. Jetzt sieht man nur noch eine Narbe. «Ich hatte Glück.» Möller mag die Motorsäge immer noch.
Eine schwache Sonne scheint aufs Kiesplateau, doch sie vermag nicht recht zu wärmen. Zwar hat es an diesem Novembermorgen verhältnissmässig warme sieben Grad, doch kaum bewegt man sich nicht, wird es kalt. Im Winter wird es noch kälter. Möller zuckt mit den Schultern: Das gehört dazu. Sie trägt keine Thermounterwäsche unter der Schutzkleidung. «Wenn du mit Thermohosen in die Umkleidekabine kommst, gibts blöde Sprüche.»
Jetzt ist es neun Uhr, Zeit fürs Znüni. Wir fahren in die warme Küche des Werkhofs in Birsfelden. An einem langen Tisch sitzen die Kollegen und essen Brot und trinken Kaffee, an der Wand hängt ein Kalender mit leicht bekleideten Frauen, wie in so vielen Betrieben. Möller schaut sich das Bild genauer an, fachsimpelt über die Qualität des Kalenders. «Die hat ja noch schöne Kleider an.»
Sie ist die einzige Frau im Team. Die Waldarbeit gilt bis heute als männlicher Beruf. Gesamtschweizerisch schlossen letztes Jahr 278 Lernende ihre Ausbildung ab. Davon drei Frauen. Doch das soll sich ändern. Am diesjährigen Zukunftstag (9. November, siehe Box) bieten das Amt für Wald und das Erziehungsdepartement erstmals Mädchen die Gelegenheit, in Waldberufe reinzuschnuppern. Dasselbe im Baselbiet. Das kommt an: Die Plätze sind in beiden Kantonen bereits alle ausgebucht.
Das will der Zukunftstag
Mädchen werden Coiffeusen, Knaben gehen auf den Bau – so will es die Tradition in der Schweiz. In keinem anderen Land landen Knaben so konsequent in sogenannt typischen Männer- und Mädchen in Frauenberufen.
Wo liegt das Problem? Bei ungerechten Lohnunterschieden und Karrierechancen. In «Frauenberufen» verdient man weniger und hat weniger Aussicht auf eine Führungsposition. Doch Jugendliche sollen sich aufgrund von Interesse und Talent für einen Beruf entscheiden, nicht aufgrund ihres Geschlechts. Deshalb gibt es seit 2001 den Zukunftstag: Mädchen schnuppern in sogenannten Männerberufen, Knaben lernen «Frauenberufe» kennen. Im Angebot für Mädchen dieses Jahr: Waldberufe.
Auch Möller kam am Zukunftstag auf die Idee, Forstwartin zu werden. Sie begleitete ihren Bruder, der ebenfalls bei der Bürgergemeinde arbeitet, in den Wald und fand es super. «Ich wollte etwas schaffen, nicht ans Gymi. Und ich wollte dabei draussen sein. Forstwartin war deshalb perfekt.»
Selbstverständlich ist es nicht, dass sie eine Lehrstelle bekam. Viele Männer im Beruf finden bis heute: «Frauen haben im Wald nichts zu suchen.» Doch der damalige Ausbildner im Team stand kurz vor der Pensionierung. Ihn reizte es, einmal eine Frau auszubilden. Und der Chef des Betriebs, Reviersförster Christian Kleiber, war einverstanden: «Den Bäumen ist es gleich, ob sie einen Mann oder eine Frau vor sich haben.»
Allerdings hatte er eine Bedingung: «Du musst ins Fitnesstraining, bevor du die Lehre anfängst.» Kleiber hatte im früheren Betrieb einmal eine Lehrtochter, die eine Sehnenscheidenentzündung und Rückenschmerzen bekam. Das kann allerdings nicht nur jungen Frauen passieren. Auch junge Männer, die eine Forstwartlehre absolvieren, müssen manchmal Kraftaufbau machen.
Technik statt Muskeln
Jetzt ist Sharon Möller stark. Nicht so stark wie ihre Kollegen, aber Förster Kleiber stört das nicht: «Sharon ist ehrgeizig, sie macht das mit guter Technik wett.» Das sehen nicht alle so. Möller hat nach der Lehre ein halbes Jahr im Bernbiet gearbeitet. Dort gab es einen Kollegen, mit dem es nicht leicht war. Er dachte, sie arbeite weniger als er. Wenn sie etwa gesägte Holzrugeli auf den Pickup laden musste, kriegte sie diese gerade so rauf, während der Kollege sie locker in hohem Bogen ans Ende der Ladefläche warf. «Er fand es ungerecht, dass wir trotzdem gleich viel verdienen.»
Allerdings ist die Situation in der Forstwirtschaft nicht einfach. Die Holzpreise sinken seit Jahren, kaum ein Forstbetrieb schreibt schwarze Zahlen. Da ist die Bereitschaft, sich auf Neues – in diesem Fall Frauen – einzulassen, vielleicht nicht so gross.
Sharon Möller hat im Bernbiet gekündigt und arbeitet nun wieder im Forstbetrieb der Bürgergemeinde Basel-Stadt. Es sei ein gutes Team: «Wir haben es lustig zusammen.» Möller glaubt, dass eine Frau dem Team auch gut tut. «Wenn ich nicht wäre, gäbe es sicher noch mehr Sprüche über schöne Frauen.» Und wenn ihr die zu viel werden, geht sie einfach in ihre Umkleidekabine und schaut an die Wand. Dort hat sie einen Kalender mit leicht bekleideten Männern aufgehängt.