Der Basler Rapper Sherry-ou gibt sich genre-untypisch soft. Das hindert ihn aber nicht daran, hart abzugehen.
Treffen sich zwei Basler Rapper: Levo Rimed, alter Hase, alte Schule. Er hat stets ein passendes 2Pac-Zitat zur Hand und ist der festen Überzeugung, im Hip-Hop habe sich seit Ende der 1990er-Jahre musikalisch alles zum Schlechten gewandelt. Ihm gegenüber sitzt Sherry-ou, jung und unbekümmert. Sherry-ou hat sich erdreistet, Levos Flow «nicht so dope» gefunden zu haben. Blankes Entsetzen.
Levo und Sherry, das sind nicht nur musikalisch zwei Welten. Auch ihr Selbstverständnis ist ein anderes. Levo macht Strassenrap, wie er typisch ist für die Basler Szene: klug getextet, grossmäulig, aggressiv. Sherry hingegen klingt, wie Basler Rap wohl noch nie geklungen hat. Er macht Trap, eine düstere, monotonere Spielart des Hip-Hop, entstanden in den Südstaaten der USA.
Es gibt unzählige Rapper, die sich an Trap schon versucht haben, seit deren Vertreter in den USA ganz vorne mitspielen. Doch so simpel gestrickt das Genre erscheinen mag, so schwierig ist es, dabei nicht lächerlich auszusehen. Bei Sherry klingt das für einmal gekonnt.
Die Musik ist hypnotisch, schleppend, basslastig, episch, reduziert. Die Stimme ist mal Rap-Stakkato, mal melodiöser Halbgesang. Mal tief, mal Kopf. Mal klar, mal elektronisch verzerrt.
Doch es ist nicht nur sein Stil, der Sherry in der Basler Rapszene alleine dastehen lässt. Rap aus Basel ist meist hart und Strasse. Battle-Rap. Rauer Wer-hat-den-Längsten-Rap. Doch Sherry weigert sich, die Mütter anderer Rapper zu beleidigen. Stattdessen sagt er von sich: «Ich stehe für die Liebe.»
Es ist ein klare Ansage, doch der 26-jährige Jeremias Ganzoni, so heisst Sherry mit bürgerlichem Namen, musste erst zu dem Künstler werden, der er heute ist.
Entwickelt hat sich zum einen die Musik.
Am Anfang war ein Computerproblem. Hätte Sherry im Herbst 2015 nicht ein Update auf seinem Mac installiert, würde er heute vielleicht ganz anders klingen. Oder sein erstes Solo-Album wäre noch immer bloss eine Idee. Seit Jahren in seinem Kopf, doch nie umgesetzt.
Sherry musste einen Teil seiner künstlerischen Arbeit in fremde Hände legen. Eine Befreiung.
Mit dem Update gingen alle seine Daten verloren, die ganzen selbstproduzierten Beats. Die Daten waren noch zu retten, doch das dauerte. Und Sherry ist nicht der Typ, der seine Zeit mit Warten verschwendet.
Er wollte loslegen, bloss fehlte ihm die Musik, über die er seine Zeilen rappen konnte. Er hatte plötzlich ein leeres Blatt vor sich. Nun musste er tun, was er nie tun wollte: Sherry musste einen Teil seiner künstlerischen Arbeit in fremde Hände legen.
Bei YouTube stiess er auf The Cratez, ein Produzententeam aus dem deutschen Göttingen. «Wir nahmen probeweise einen Song auf über einen ihrer Beats. Ich konnte mit meiner Stimme plötzlich das tun, was ich immer tun wollte», sagt Sherry. Es war eine Befreiung und der Rapper konnte sich endlich aufs Schreiben, Singen und Rappen konzentrieren. Ein Jahr später, im Spätherbst 2016, erscheint «Freak».
Seither hat sich viel getan: Sherry hat jetzt einen Plattenvertrag beim Berner Independent-Label No Hook, bei dem noch dieses Jahr sein zweites Album erscheinen soll. Und Sherry hatte einen vielbeachteten Auftritt am Virus Bounce Cypher 2017, dem jährlichen Schaulaufen der Schweizer Rapszene. Live am Mikrofon zeigte er, was er abseits von Hochglanzvideos und schick produzierten Studiotracks raptechnisch auf dem Kasten hat (Spoiler: so einiges).
Was Sherry aber beinahe noch mehr auszeichnet als sein Können am Mikrofon, sind seine Texte. Oft nachdenklich und gefühlvoll, meist mit positiver Botschaft, sind sie das Resultat eines schmerzhaften, persönlichen Reifeprozesses.
Der 26-Jährige hat ein schwieriges Jahr hinter sich. Eine langjährige Beziehung ging in die Brüche. Plötzlich alleine, musste sich Sherry zuerst wieder finden und sein Leben neu zusammensetzen. «Ich musste lernen, mich selbst zu lieben.» Diese Erfahrung hat er im Song «Alles» verarbeitet. Sherry richtet sich dabei direkt an seine Zuhörer, sagt: «Findet Erfüllung in euch selbst.»
Angst vor dem Leben
Zu der zerbrochenen Liebe kamen berufliche Zweifel hinzu. Das Studium zum Sozialpädagogen liegt derzeit auf Eis, den Job als Pfleger hat er ebenfalls gekündigt. «Ich habe mich gefragt, wessen Erwartungen ich eigentlich zu erfüllen versuche.» Auch diese Zweifel fanden Eingang in die Musik, wenn er in «Am Mic» gesteht: «Mängmol hani vorm Läbe Angscht.»
Sherry zog die Bremse. «Alles schrie nach Veränderung.» Heute arbeitet er Teilzeit als Lagerist und versucht, sich auf die Musik zu konzentrieren. Das gilt nicht nur für seine eigene Karriere, denn er nimmt als Tontechniker im Studio auch andere Bands und Musiker auf.
In seinem wechselvollen Lebenslauf war die Musik stets die Konstante. Mit 13 Jahren spielte er in seiner ersten Band. Das Vorbild hiess damals noch Muse statt Drake, pathetischer Stadionrock statt tanzbarer Hip-Hop mit Pop-Einschlag. Mit 14 begann er draussen mit Freunden zu freestylen. Doch auch jetzt sieht sich Sherry nicht exklusiv dem Hip-Hop verbunden. Er singt in einem Chor, spielt Schlagzeug, Klavier und Gitarre. «Dadurch, dass ich jetzt auf die Musik setze, bin ich mir selber treu.» Auch das eine typische Sherry-Botschaft.
Es ist ihm ein grosses Anliegen, seinen Fans über die Lieder etwas mitzugeben. «Es gibt so viel Schlechtes in der Welt, dass es einfach ist zu verzweifeln. Ich will den Blick aber auf die schönen Dinge richten», sagt Sherry. Rap sei oft voller Gewalt oder berichte von Unterdrückung, ihm fehle dabei die Lebensfreude. «Mir geht es in der Musik darum, meine Emotionen rauszulassen. Meine Welt ist nicht immer schön und einfach, aber ich werde stets versuchen aus negativer, positive Energie zu schaffen.»
Diese Echtheit, diese Authentizität ist es letztlich auch, was Sherry nun endlich die Anerkennung der eingeschworenen Basler Rapszene eingetragen hat. Denn die oberste Regel hier lautet: Sei real.
Kürzlich hat Levo ihn angerufen und gesagt, dass ihm «Am Mic» gut gefalle.
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Wer sich live von Sherry-ous Fähigkeiten überzeugen lassen will, hat an der BScene Gelegenheit dazu. Er tritt am 17. März in der Kaserne auf.