«Fehler gehören bei uns dazu, sie sind sozusagen stilprägend», sagt Adrian «Adi» Frommherz, Vollbart, Käppi, ein Armband, das aussieht wie der Reifen einer Motocrossmaschine. Der 30-Jährige sitzt auf einer Werkbank in einer Scheune in Magden, die Füsse leger auf den Rädern eines Motorrads abgestellt.
Es ist ein Wahnsinnsmotorrad, ein «geiler Hobel», das erkennt auch der ahnungsloseste Laie auf den ersten Blick. Aus den Boxen dröhnt Rock ’n’ Roll, in den Regalen stapeln sich Motorradteile, an einer Wand hängt der obligate Kalender mit Fotos leichtbekleideter Frauen.
Adi und sein Kumpel Jan «Johnny» Lüscher sind die Köpfe von Be Unique 2.22. Hinter dem kryptischen Namen verbergen sich nicht nur eine Motorradwerkstatt, ein Laden mit vorwiegend gebrauchten Kleidern und anderen Töff-Accessoires, ein Blog sowie ein wöchentlicher Szenetreffpunkt. Der Name selbst ist Beleg für die gelebte, ja eigentlich geliebte, Fehlerkultur.
Der Fehler auf der Haut
Als Adi und Johnny damit anfingen, zusammen an ihren Motorrädern rumzuschrauben, und ausserdem eine Möglichkeit suchten, ihre überquellenden Kleiderschränke etwas zu entlasten, wollten sie sich und ihrer Bastelscheune in Magden einen offiziellen Namen geben. Auch der Shop im angrenzenden Gebäude sollte so etwas professioneller rüberkommen.
«Be Unique» stand bereits fest, doch fehlte noch das gewisse Etwas. Eines Nachts kam Johnny die Idee mit «2.22» – zwei für B, den zweiten Buchstaben im Alphabet, und 22 für U. «2.22», das klang nach Motoren, nach Rennsport und liess sich gut auf Töffs draufpinseln.
Dann kam Johnnys Schwester ins Spiel. Sie war offenbar die erste, die richtig nachzählte. Das U steht nämlich an 21. Stelle im Alphabet. Dummerweise waren zu diesem Zeitpunkt bereits Visitenkarten und T-Shirts bedruckt, die Website programmiert und ein Tattoo auf Johnnys Arm gestochen.
Fehler ausbügeln kommt nicht infrage. Wäre nicht echt, nicht authentisch.
«Egal», dachten sich Adi und Johnny, «so haben wir wenigstens eine Geschichte zu erzählen.» Den Fehler ausbügeln, das wäre für sie nicht infrage gekommen. Wäre nicht echt, nicht authentisch gewesen. Diese Haltung vertreten die Töfflibuebe aus Magden auch mit Be Unique. Das Label stellt eine Plattform dar für diesen Lifestyle, den mehr auszeichnet, als die blosse Begeisterung fürs Motorradfahren.
Denn Fehler – oder um ein schöneres, unbelasteteres Wort zu benutzen: Spuren – tragen alle Motorräder, an denen Adi, Johnny und ihre Freunde rumschrauben. Sie kaufen alte, manchmal beschädigte Motorräder möglichst günstig auf. Danach basteln sie in ihrer Freizeit, eigentlich in jeder freien Minute, an ihren «Projekten» herum. Machen aus einem gewöhnlichen Töff eine einzigartige Maschine, nach der sich an den Szenefestivals jeder umdreht.
Ambitionierte Hobbyschrauber mit grosser Passion
Das Improvisierte gehört dazu, denn Geld haben die beiden keins zur Verfügung. Benötigen sie etwa Blech, um einen Tank oder eine neue Front zu formen, dann fischen sie dies meist aus irgendeiner Mulde. Neue Teile werden selten verbaut und kaum einmal Fachleute beigezogen.
Ein weiteres bezeichnendes Element von Be Unique: Sämtliches Wissen über Motoren, Chassis, Verkabelung, jeder Handgriff ist selbst erlernt, ergoogelt, vom Profi abgeschaut. Weder Adi (gelernter Kaufmann, arbeitet im Verkauf) noch Johnny (gelernter Bootsbauer, aktuell Bühnenbildner) haben eine entsprechende Ausbildung. Sie sind zwei ambitionierte Hobbyschrauber mit einer grossen Passion.
Adi besitzt zurzeit «etwa 13 bis 17 Motorräder», wovon er aber nur zwei regelmässig fährt. Und auch Johnny nennt mehrere Töffs sein eigen. «Die Maschine, auf der ich heute gekommen bin, habe ich bereits drei oder vier Mal umgebaut», sagt Johnny. Wenn ein Projekt fertig geworden ist, verkaufen die beiden das Motorrad meist. Um Platz zu schaffen für ein neues Projekt. Und um ein wenig Geld zu verdienen, für neues Werkzeug oder Ersatzteile.
Nische zwischen Design und Kunst
Bisher haben Be Unique vor allem für sich und ihre Freunde geschraubt und nebenbei den Shop und den wöchentlichen Treffpunkt mit Grill und Bier vor ihrer Werkstatt in Magden aufgezogen. Ganz nebenbei hat sich so ihr Bekanntheitsgrad gesteigert.
So wurde ein Mann auf ihr Talent aufmerksam, dank dem die Töfflibuebe aus der Scheune nun plötzlich zu einem Auftritt an einer grossen Messe in Basel kommen: Anthony «Tony» Vischer, bekannter Basler Sammler und Förderer von Kunst sowie Präsident des Kunstvereins Baselland, fährt selbst leidenschaftlich gerne Motorrad.
Vischer und seine Schwester Nadine Vischer Klein haben eine neue Messe ins Leben gerufen. An der «Tresor – contemporary craft» wollen sie die Nische zwischen Design und Kunst bespielen. Es geht um zeitgenössisches Kunsthandwerk, etwa die Verarbeitung und Bearbeitung von Keramik oder Edelmetallen, jedoch nicht unbedingt um Gebrauchsgegenstände. Der Schreiner, der einen Tisch baut, der mehr Skulptur ist als Möbel. Die Glasbläserin, die Objekte schafft ohne konkrete Anwendung.
Die entkleidete Ducati
Tony Vischer wünschte sich für diese neue Messe ein Aushängeschild. Ein Objekt, das Handwerkskunst auf Weltniveau verkörpert, gleichzeitig jedoch Emotionen weckt und jedermann zugänglich ist. Also gab er bei den Schraubern in Magden ein Custombike in Auftrag. Einzige Bedingung: Schmied Reto Berger aus Basel soll die Metallarbeiten übernehmen.
Die beiden Low- bis No-Budget-Schrauber Adi und Johnny hatten damit zum ersten Mal die finanziellen Möglichkeiten, ihre Kreativität unbeschränkt walten zu lassen. Sie erstanden eine praktisch neue Ducati Hypermotard 796 und konnten auch sonst die feinsten Materialien einsetzen.
Als Erstes entkleideten sie die Ducati, bis von der Maschine bloss noch Rahmen, Motor und Räder dastanden. Sie wollten dem bulligen Kraftprotz eine schneidige Carrosserie verpassen. Inspiration holten sich die beiden nicht etwa bei anderen Motorrädern, sondern bei Flugzeugen, Booten und Rennwagen aus den 30er-, 40er-Jahren.
Für den Entwurf setzten Adi und Johnny nicht, wie sonst in der Branche üblich, auf ein Computerprogramm. Alles in Handarbeit, hiess die Maxime. Also klebten sie grosse Styroporklötze zusammen und schnitzten daraus in nächtelanger Kleinarbeit ein lebensgrosses Modell zurecht.
Dieses ging dann zum Metallbauer, der die Aufgabe hatte, die Carrosserie aus Aluminiumplatten nachzuformen. «So wenige wie möglich», sagt Adi, «weil wir die Schweissnähte ins Design einbauen wollten.» Dieser Arbeitsschritt dauerte drei Monate, denn Aluminium ist extrem schwierig in der Verarbeitung. «Vom Handwerklichen her ist diese Arbeit mit derjenigen eines Goldschmieds zu vergleichen», sagt Auftraggeber Vischer.
Eine schlummernde Rennmaschine
Nach etwas über einem Jahr stand das Motorrad fertig in der Magdener Scheune. Hector haben Adi und Johnny ihr Baby getauft. Die Verwandtschaft mit schnittigen Holzjachten ist dem Töff anzusehen, Einlagen aus Mahagoni ergänzen das gehämmerte Aluminium und das grob genarbte Leder des Sitzpolsters.
Hector ist ein klassischer «Café Racer» mit modernstem Innenleben. Äusserlich aufs Minimum reduziert, schlummert drinnen eine potente Rennmaschine. Ganz so wie seine Vorgänger, die in den 60er-Jahren in London von Rockern für ihre illegalen Strassenrennen gefahren wurden.
Gefahren werden soll auch Hector, das wünschen sich seine Erschaffer. «Wir hoffen, dass wir an der Tresor einen motorradbegeisterten Käufer finden, der dieses Motorrad nicht bloss in die Galerie stellen will», sagt Adi.
Denn erst mit Schlammspritzern auf der Karosserie und Kilometern auf dem Tacho wird aus Hector ein echtes Kunstwerk.
Tresor – contemporary craft, 21. bis 24. September 2017, Messe Basel, Messehalle 3