Ehrgeiz entwickelte Philipp Schär erst spät, aber er hat ihn weit gebracht

Als Bub hatte Philipp Schär schlechte Noten und wollte sowieso lieber arbeiten gehen als ans Gymnasium. Heute ist er Jurist in einer grossen Firma.

«In der Lehre kam ich auf dem Boden der Realität an», sagt Philipp Schär.

Mit 13 hätte Philipp Schär nicht gedacht, dass er einmal Anwalt wird. Damals war er im Progymnasium in Aesch, seine Noten waren so schlecht, dass er eine Klasse wiederholen musste. Er nahm es nicht schwer: «Es galt fast schon als cool zu wiederholen», sagt er rückblickend.

Ehrgeiz entwickelt er erst später. Zwar werden die Noten nach dem Wiederholen besser, durchschnittlich, auch dank Nachhilfe. Doch er hat «nicht so Freude an der Schule», wie er sagt. Lieber geht er «tschutten.» Das sei typisch für Buben. «Mädchen sind da meist reifer. Die gehen darum auch öfter ins Gymnasium.»

Schär will lieber so schnell wie möglich arbeiten. Als es darum geht, die Zeit nach der Schule zu planen, denkt er nicht gross über seine beruflichen Möglichkeiten nach, sondern schnuppert einfach mal beim Speditionsunternehmen Panalpina im kaufmännischen Bereich. Er findet es spannend und erhält gleich die KV-Lehrstelle.

«Im Gymi wäre ich ziemlich sicher hochkant rausgeflogen, das ist vielen meiner Bekannten passiert.»

Die Lehre ist eine gute Zeit für Philipp Schär, ein Reifeprozess. Zwar fällt ihm die Umstellung schwer, plötzlich 42 Stunden zu arbeiten und nur vier Wochen Ferien zu haben. Viele seiner Freunde gehen ins Gymnasium und haben viel mehr Freizeit. «Das war schon hart, ich arbeitete unter der Woche und musste am Wochenende für die Schule lernen. Da kam ich auf dem Boden der Realität an.»

Trotzdem ist Schär im Nachhinein froh, hat er diesen Weg gewählt. «Im Gymi wäre ich ziemlich sicher hochkant rausgeflogen, das ist vielen meiner Bekannten passiert.» Im Betrieb kann er dagegen praktisch arbeiten und sich «optimal entwickeln und reifer werden», wie er es ausdrückt. Und er schreibt gute Noten in der Berufsschule. «Das hat mein Selbstbewusstsein sehr gestärkt.»

Der Götti als Vorbild

Doch Schär spürt, er möchte nicht das ganze Leben dasselbe machen. Er möchte weiter, mehr erreichen, und lässt sich von seinem Götti inspirieren. Dieser ist Anwalt und juristischer Berater eines berühmten französischen Fussballspielers, der mal Weltmeister geworden ist (dessen Namen Schär nicht preisgeben will). Das imponiert dem Göttibuben und Fussballfan. «Das war so ein Schlüsselerlebnis für mich.» Er beschliesst deshalb, auch Jus zu studieren.

Dafür braucht er aber erst mal die Matur. Also besucht Schär nach der Lehre die Berufsmaturitätsschule. Der Schulstoff fällt ihm leicht, doch nach dem Abschluss muss er noch die sogenannte Passerelle machen, um an der Uni studieren zu können. Es handelt sich um fünf Prüfungen, die man bestehen muss. «Das war tricky», sagt Schär. «Du hast keine Vornoten, wie im Gymnasium, alles entscheidet sich in diesen Prüfungen.» Schär büffelt. Und besteht.

Mit 30 legt Schär die Anwaltsprüfung ab. Er ist vielleicht zwei Jahre älter als der durchschnittliche Anwärter.

In Mathematik ist er zwar nicht so gut, kompensiert das aber mit guten Noten in Deutsch, Geschichte und Naturwissenschaften. Mit diesen Kompetenzen ist Schär prädestiniert fürs Jus-Studium, wie er sagt: «Das Talent für Mathe ist vielfach angeboren, aber um Jus zu machen, braucht es Ehrgeiz und harte Arbeit. Du musst dich hinsetzen und konzentriert auswendig lernen können.» Die Disziplin dafür hat Schär mittlerweile.

Und die Unterstützung seiner Eltern. Seine Mutter ist ausgebildete Pharmaassistentin, hat aber neben Teilzeit- und Freiwilligenarbeit als Hausfrau und Mutter für Philipp und seine Schwester gesorgt. Der Vater ist promovierter Biochemiker und arbeitet in der Pharma, die Schwester hat Biologie studiert. Zwar haben die Eltern nie Druck gemacht, was die Karriere betrifft. «Ihnen ist es vor allem wichtig, dass meine Schwester und ich glücklich sind», sagt Schär. Sie seien aber trotzdem stolz, dass er nun einen Uniabschluss habe. Und sie haben ihren Sohn auch finanziell unterstützt. «Das hat mir sehr den Rücken gestärkt.»

Schär macht den Bachelor in Jus an der Uni Zürich, den Master in Basel. Danach folgen Anwaltspraktika in einer Kanzlei und auf den Gerichten. Im Jahr 2016 legt Schär die Anwaltsprüfung im Baselbiet ab. Er ist damals 30 Jahre alt – vielleicht zwei Jahre älter als der durchschnittliche Anwärter.

Zweiter Einstieg ins Berufsleben

Danach ist für ihn klar: Er möchte wieder in ein grosses Unternehmen, wie damals während der Lehre. In Anwaltskanzleien arbeitet man oft für sich, dort fehlt Schär der Austausch. Als bei UBS Fund Management, einer Fondsleitungsgesellschaft innerhalb des Finanzkonzerns, eine temporäre Stelle als Anwalt im Fondsbereich frei ist, bewirbt sich Schär. Und bekommt die Zusage.

Sein Bildungsweg erweist sich dabei als Vorteil, Schärs Bewerbung sticht aus anderen heraus. Dem Chef gefällt, dass Schär schon drei Jahre Berufserfahrung in einem grossen Unternehmen hat. Ein weiterer Vorteil: Schär kennt sich wegen seiner Lehre mit Bilanzen und Rechnungswesen aus und hat daher auch den Schwerpunkt im Studium auf dieses Gebiet gelegt. Im neuen Job ist das ein Pluspunkt: Als Anwalt ist es Schärs Job, die Verträge zwischen Anlegern, Fondsgesellschaft und Depotbank zu überprüfen und zu überwachen, ob sie konform sind mit den Regeln der Eidgenössischen Finanzmarktaufsicht Finma.

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Weil die Stelle auf ein Jahr befristet ist, bewirbt sich Schär während dieser Zeit bereits für einen ähnlichen Job bei einer Fondsleitungsgesellschaft innerhalb der Generali Versicherungsgruppe in Adliswil bei Zürich. Auch dort erhält er die Zusage. Die Firma hat einen Anwalt mit Erfahrung im Fondswesen gesucht. Und es gibt nicht so viele Anwälte, die sich auf den Fondsbereich spezialisiert haben.

Der Job ist eine Herausforderung, «aber ich bin gut gerüstet», sagt Schär. Er schätzt das grosse Team, die Meetings und den Austausch mit den Kollegen. Und er ist stolz darauf, dass er einen solchen Ehrgeiz entwickelt, sich durch Passerelle, Studium und Anwaltsprüfung gebissen hat. «Wenn ich an meine Noten im Progym denke, bin ich schon zufrieden mit mir.»

Schär würde den gleichen Weg wieder wählen, wenn er noch einmal von vorne beginnen müsste. Höchstens vielleicht die Berufsmaturität schon während der Lehre machen, statt danach die Berufsmittelschule (BMS) anzuhängen, dann hätte er ein Jahr gespart. «Wobei», sagt er, «das wäre auch schade gewesen.» Er habe dort «supercoole» Leute kennengelernt, mit denen er bis heute befreundet sei. «Erst letzte Woche war ich an einer Hochzeit bei einem BMS-Freund.» Leistung ist viel, aber nicht alles.

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