Eine Begegnung mit Urs Fischer auf seinem Weg zum siebten Meistertitel des FC Basel, der für den 50-jährigen Fussballlehrer der erste in seiner langen Karriere ist.
Neulich stand Urs Fischer im Reisebüro. Hier hätte er eigentlich gleich den Trip buchen können, den er sich mit seiner Frau vorgenommen hat. Nichts Exotisches, eher etwas in der Nähe. Das Tessin zum Beispiel, vielleicht Lugano. «Ein paar Tage durchschnaufen, wohlfühlen, ein bisschen sein», hat sich der Trainer nach seiner ersten Saison beim FC Basel vorgenommen.
Dann stand Urs Fischer also, ein paar Tage nachdem der Meistertitel in trockene Tücher gebracht worden war, in den neuen Räumlichkeiten von Frossard Reisen. Das kleine Unternehmen, das den FC Basel und seine zahlungskräftigsten Supporter zu den grossen internationalen Destinationen bringt.
Auch der Trainer des FCB hat repräsentative Termine zu absolvieren, und dieser ist insofern massgeschneidert, weil Fischer mit den Apéro-Gästen ein bisschen werweissen kann, wen man sich am 25. August bei der Auslosung der Champions League wünschen soll.
Neben Fischer steht eine junge blonde Dame, die Fischers Tochter sein könnte und auch für diese gehalten wird. Doch dann stellt sie sich als Franziska Lütte aus der Sponsoring-Abteilung des FCB vor. Begleitschutz für den Trainer quasi.
Der unkomplizierte Herr Fischer
Urs Fischer macht nicht im Geringsten den Eindruck, als ob dem frischgebackenen Meistertrainer der Smalltalk-Termin lästig wäre. In Thun hatte er mehr solcher Termine, weil er einer von wenigen Protagonisten war und der Verein darauf angewiesen, Klinken zu putzen. Hier in Basel ist er der unkomplizierte Herr Fischer, der etwas Nahbares ausstrahlt. Ein Trainer zum Anfassen.
Bei den Junioren des FCZ hat Fischer 2003 seine Trainerlaufbahn begonnen, er war Coach der U21, als Lucien Favre Cheftrainer wurde. «Von ihm habe ich einiges mit auf den Weg bekommen», sagt Fischer, ebenso von Bernard Challandes, unter dem er Co-Trainer war und der heute hin und wieder für den FCB scoutet.
Fischer folgte beim FCZ auf den im April 2010 beurlaubten Challandes, um knapp zwei Jahre später selbst von Ancillo Canepa geschasst zu werden. «Es haut einem den Boden unter den Füssen weg», hat Fischer über das Dreivierteljahr ohne Job gesagt. Dann kam Thun – und auch das war das Beste, was beiden Seiten passieren konnte.
Geschafft: Fischer feiert nach dem Sieg gegen Sion seinen ersten Meistertitel. (Bild: Daniela Frutiger/Freshfocus)
Nun ist Fischer seit knapp zwölf Monaten ein Basler. Wenn man das von einem sagen kann, der mit der Etikette des Ur-Zürchers unterwegs ist, dem einige Skepsis entgegenschlug, als er beim FCB vorgestellt wurde, und den Fans mit einem Transparent begrüssten, auf dem er lesen durfte: «Nie einer von uns». Sogar bei seinem «Buebe-Essen», einem Ritual, das er mit Freunden aus Zürcher Teenagerzeiten pflegt, gibt es welche, die zu Fischer sagen: «Ich mag dir das alles gönnen, aber ich werde nie verstehen, dass du zu Basel gegangen bist.»
Das ist alles verraucht. Inzwischen sind tausend und eine neue Geschichte über den Fussball in Basel verfasst worden, und am Ende der ersten Wegstrecke darf man feststellen: Dieser Urs Fischer hat dem FCB gutgetan.
Nach all den Irrungen und Wirrungen, die schon mit dem hastigen Abgang von Thorsten Fink im Oktober 2011 begannen, die mit der unvermittelten Absetzung Heiko Vogels weitergingen, die sich unter Murat Yakin fortsetzten und die sich im Interregnum von Paulo Sousa zuspitzten, ist mit Urs Fischer Entspannung eingekehrt. Ein Trainer, der hemdsärmlig wirkt und der inzwischen gelernt hat, mit dem Klischee «bodenständig» umzugehen: «Tönt doch nicht schlecht, oder?» Der Club erlebt mal wieder einen Sommer ohne Trainerdiskussion. Und Schweizer Meister wird er sowieso.
Seine Stimme, immer wieder diese laute Stimme
Später, nach dem PR-Termin, bei einem Panaché in der «Hasenburg», erzählt Fischer, welche Umstellung Basel für ihn bedeutet hat. Wie er sich anfangs die Englischwörter zusammengeklaubt hat, um Sitzungen in einer Sprache zu halten, die er bisher vor seinen Mannschaften nicht gebraucht hat. «Inzwischen ist auch das ein Automatismus», sagt er. Und er hat an der Modulation seiner Stimme gearbeitet. «Die kann manchmal fast einschüchternd sein, aber ich glaube, ich habe es schon viel besser hinbekommen als in Thun.»
Der Stadt Basel viel näher gekommen ist Fischer noch nicht. Das hat der dichte Takt des Spielkalenders nicht zugelassen. Er wohnt draussen auf dem Land in einer Dreieinhalb-Zimmer-Wohnung in Pfeffingen («Ruhig, im Grünen, grausam schön»), seine Familie immer noch in Zürich. Zu den Heimspielen kommen seine Frau, mit der er seit 29 Jahren zusammen ist, und die jüngere, knapp 18-jährige Tochter regelmässig in den St.-Jakob-Park. Die ältere spielt oft selbst. Sie ist Verteidigerin beim FC Zürich, der den Frauenfussball in der Schweiz so dominiert wie der FCB bei den Männern.
Die Birs – Rückzugsgebiet für den Fischer
Basel – das war für Fischer früher nicht mehr als die Vorbeifahrt auf der Autobahn und das Joggeli. Das hat er dafür sehr oft gesehen. Mit 545 Partien für den FCZ und den FC St. Gallen ist Fischer nach wie vor der Rekordspieler des Schweizer Clubfussballs.
Franz Baur, ebenso passionierter Radiojournalist wie Fremdenführer, hat Fischer und dem Trainerteam bei einem Stadtrundgang eine Menge zeigen und erzählen können von diesem Basel jenseits des rotblauen Anstrichs. Der Cheftrainer hat gelernt: «Die Stadt hat ihren Reiz.» Das ist aus Zürcher Mund schon einmal etwas.
Richtig angetan ist Fischer vom Laufental («Liebe auf den ersten Blick»), und die Birs ersetzt dem leidenschaftlichen Angler Fischer seinen eigentlichen Fischgrund, den Sihlsee von Einsiedeln. Sein Ziel ist es, einmal alle zwei Wochen die Angel auszuwerfen. «Beim Fischen schalte ich komplett ab», sagt der Fussballlehrer. Es ist sein persönlicher Rückzugsmoment, und einer, den er mit niemandem teilen möchte. Medienanfragen, den Meistertrainer mit Fotograf bei einer Angeltour begleiten zu wollen, werden höflich, aber bestimmt abgelehnt.
Der Druck auf Fischer ist vehement, doch er weiss damit umzugehen: «Ich kann immer gut schlafen. Mir geht es gut.» (Bild: Steffen Schmidt/freshfocus)
Das eine Jahr Basel, daraus macht Fischer kein Hehl, hat ihn Kraft gekostet: «Ich würde lügen, wenn ich etwas anderes behaupten würde.» Die Intensität der Gruppenphase im Europacup hat er auch mit Zürich und Thun erlebt. «Aber weil es der FC Basel ist, hat es noch einmal eine andere Dynamik, eine andere Grösse, eine andere Erwartungshaltung der Öffentlichkeit. Man muss noch wacher sein, noch eine Spur aufmerksamer. Man überlegt noch einmal mehr, ist noch ein bisschen unschlüssiger. Der Druck ist vehement.»
Das brauchte zusätzliche Energie. Was er am Ende dieser Saison mit seinen Kollegen im Trainerstab festgestellt hat: «So oft habe ich noch nie meine Arbeitskleidung getragen, und das ist der Trainingsanzug des FCB.» Fischer sagt aber auch: «Ich kann immer gut schlafen, ich brauche keine Medikamente. Mir geht es gut.»
Der stille Geniesser
Man könnte auch sagen: blendend. Eine lange Fussballerkarriere wird nun endlich von einem Meistertitel geziert. Fischer konnte sich angesichts des komfortablen, bereits zu Saisonbeginn herausgearbeiteten und dann seriös verwalteten Vorsprungs in der Tabelle eine Zeitlang darauf einrichten. Als es so weit war am Abend des 30. April, sprach aus Fischer eher eine stille Freude.
Das passt zu einem, zu dessen Lebensmaximen gehört: «Nimm dich nicht so wichtig!» Zu einem, der von sich sagt, gerne geradezustehen, wenn es nicht läuft, der in der Meisternacht aber meint: «Ich habe etwas mehr Mühe, den Kopf hinzuhalten, wenn es etwas zu feiern gibt. Ich stehe nicht gerne im Mittelpunkt.» Als die Mannschaft zu vorgerückter Stunde in der Baltazar-Bar feierte, gönnte sich Fischer einen Drink, sass auf einer Couch in der Ecke und studierte mit einem versonnenen Lächeln die Glückwünsche auf seinem Smartphone. «Ich bin jemand, der die Freude nicht so zeigen kann», sagt er, «wahrscheinlich bin ich innerlich der grössere Geniesser.»
Und der hat allen gezeigt, dass er FC Basel kann. Er hat die Erfolgsmaschinerie in Schwung gehalten. Daran wurden Zweifel geäussert, die die NZZ im Februar, eine Woche vor Fischers 50. Geburtstag, in ein schönes Bild gepackt hat: «Der Wechsel von Thun nach Basel war so, als würde er sich von einer schönen und reichen, aber unpassenden Geliebten weglocken lassen.»
Der Mann packt an: «Ich bin als Spieler schon der Teamplayer gewesen. Das pflege ich auch jetzt. Auch wenn ich der Chef bin.» (Bild: Andy Mueller/freshfocus)
Diese neue Flamme allerdings wusste genau, was sie von ihrem Trainer wollte. Schon bald kam Sportdirektor Georg Heitz zur Erkenntnis, dass Fischer die «Idealbesetzung» für diese Mannschaft sei: «Wir haben bekommen, was wir uns erhofft hatten.» Und weil die Vereinsführung des FCB schlau ist, stärkte sie ihrem neuen Trainer auch den Rücken, als der früh in der Saison die Qualifikation zur Champions League verpasste.
In der Liga dagegen war man bereits auf gutem Weg. Fischer wusste, was gefordert war. Seinen Eingewöhnungsprozess nennt er «adaptieren», sein Rollenverständnis als Cheftrainer ist nicht Sonnengott, sondern: «Wenn man den Umgang mit Menschen gern hat, fällt einem das Führen einfach. Ich bin als Spieler schon der Teamplayer gewesen und habe mich als Captain ein- und untergeordnet. Das pflege ich auch jetzt. Auch wenn ich der Chef bin.»
Dieser Chef hielt Konzentration und Spannung bei der Erledigung des vornehmsten Zieles hoch: der siebten Meisterschaft in Serie, die dem FCB den direkten Weg zurück in die Königsklasse ebnet. Für den Trainer Fischer wird das die nächste Nagelprobe werden.
Fischers erwachsene Mannschaft
Fischer hat die Vorgabe Meistertitel mit einer Mannschaft erreicht, die er «sehr erwachsen» nennt. Und: «Trotzdem bringen die Spieler etwas Lausbubenhaftes mit. Deshalb sage ich: Ohne Freude und Spass wären solche Serien, wie wir sie gespielt haben, nicht möglich.»
Er hat der Mannschaft nach dem taktisch anspruchsvollen Paulo Sousa einen rationalen Stil verpasst. Er sagt: «Es gibt einfache Methoden: Langer Ball nach vorne, wir kämpfen in Zone zwei um den zweiten Ball, und dann haben wir es nicht mehr weit zum Tor. Ich will aber, dass die Mannschaft von hinten heraus einen gepflegten Spielaufbau macht, ich will eine Mannschaft, die flexibel ist, die sich auf einen Gegner einstellen kann, die selbstständig Kreativität entwickelt und dann dynamisch und gradlinig nach vorne spielt.»
Daraus sind so viele Tore und Punkte und ein so überlegener Meister FC Basel wie selten zuvor geworden. Und Urs Fischer ist ganz unbescheiden auf den Geschmack gekommen: «Dass ich das mit Basel geschafft habe, ist schon speziell. Aber einmal ist keinmal, sagt man doch, oder?» Und ein breites, zufriedenes und gleichzeitig angriffslustiges Grinsen steht in seinem Gesicht.
«… dann hat man einiges richtig gemacht»
Am Ende des Tages trifft Urs Fischer dann tatsächlich die ältere seiner beiden Töchter. Unter dem Flutlicht auf dem Campus weht die blonde Mähne von Riana Fischer, die mit dem Serienmeister FCZ gegen die FCB-Frauen spielt. Der Vater sitzt auf der kleinen Tribüne und lässt sich nur vom SMS-Service ablenken, der ihm Tore aus der Super League meldet. Als es an diesem Abend zum vierten Mal summt und aus dem Letzigrund das 0:4 zwischen dem FCZ und Lugano gemeldet wird, legt Fischer die Stirn in Falten und murmelt so etwas wie: Schwer, den Schalter auf Abstiegskampf umzulegen.
Seine Tochter gewinnt mit den FCZ-Frauen einen intensiven Match mit 2:0. «Wenn man als Innenverteidigung zu null spielt, hat man einiges richtig gemacht», sagt Urs Fischer. Mehr Anerkennung, exgüsi, geht fast nicht.
Der vollendete Urs Fischer: der FCB-Trainer in der Nacht auf Donnerstag, 26. Mai 2016, auf dem Casino-Balkon mit dem Meisterpokal. (Bild: Sacha Grossenbacher)