Fabienne Peter ist überrascht, als sie von der TagesWoche um ein Gespräch gebeten wird. Eigentlich hatte sie nur in aller Kürze eine Nachricht überbringen wollen, eine gute Nachricht: Ab sofort sind Transfrauen in allen Schweizer Eishockeyligen spielberechtigt.
Für Fabienne Peter geht damit eine Tür auf, die zwischenzeitlich geschlossen war: die Türe aufs Eis. Peter liebte das Eishockeyspielen bereits, als ihr Vorname noch mit einem C begann. Heute hängt das C an einer Goldkette um ihren Hals. Peter trägt nun den Namen der Frau, die sie seit ihrer Geschlechtsangleichung* auch auf dem Papier ist: Fabienne Peter, die erste offizielle Transfrau im Schweizer Eishockey.
Speziell findet Fabienne Peter, dass sie mit 30 eine «zweite Pubertät» durchlebte, wie sie es sagt. Sie erzählt, dass ihr der körperliche Prozess relativ leicht gefallen sei, Geschlecht und innere Identität anzugleichen. Dass sie gleichzeitig spürte, wie die Hormone ihr die alte Kraft aus den Armen nahmen. Dass sie trotz allem das Eishockey liebt und einfach weiter spielen will. Dass sie mit der Unterstützung des Headcoaches ihres letzten Vereins beim Dachverband des Schweizer Eishockeys SIHF vorsprach, er möge das Reglement anpassen. Und dass der Verband der Bitte zügig entsprach und Transfrauen heute Eishockey spielen können, wegen ihr: Fabienne Peter.
An die TagesWoche schreibt sie: «Es würde mich freuen, wenn dieses Thema als positives Vorbild in der aktuellen Gender-Debatte in Ihrem Medium veröffentlicht wird: Zum einen ist Hockey eher männlich konnotiert. Im Weiteren zeigt sich hier die Region Basel sowie der Eishockey-Sport als weltoffen gegenüber neuen Herausforderungen.»
Was die SIHF im Regelwerk änderte, ist eine Anpassung an die Richtlinien des Internationalen Olympischen Komitees von 2015. Durch diese sind Trans-Athletinnen unter bestimmten Auflagen zu Wettkämpfen zugelassen. Dazu gehört der Nachweis, dass das Testosteron-Level für mindestens zwölf Monate einen bestimmte Wert nicht überschreiten darf. Für Transmänner bestehen im Reglement des IOC keine Einschränkungen, eine operative Angleichung des Geschlechts wird nicht mehr verlangt.
«Gerade im Sport scheint es in der Schweiz keine transidenditären Vorbilder zu geben.»
Jetzt sitzt Peter an einem Tisch, die blonden Locken zurückgebunden, zwei Perlmuttstecker im Ohr, einen Fotografen vor sich – und einen Journalisten, der sich fragt: Ist es müssig, Menschen hervorzuheben und gleich zum Interview zu bitten, weil sich ihre Erfahrungen von jener der Mehrheit unterscheiden? Oder ist es wichtig, weil sie mit ihrem persönlichen Engagement dazu beitragen, die Gesellschaft an die Feinschattierungen zwischen dem Schwarzweiss der Geschlechter zu erinnern?
Zwischen 0,3 und 3 Prozent der Schweizer Bevölkerung, schätzt das Transgender Network Schweiz, leben mit einem biologischen Geschlecht, das nicht der inneren Identität entspricht. Viele im Glauben, mit ihrer Situation alleine zu sein. Aber das sind sie nicht.
Peter hat alle Medienberichte über Transmenschen, die ihr begegnet sind, aus Zeitungen ausgeschnitten, fein säuberlich gesammelt und dabei gemerkt: «Gerade im Sport scheint es in der Schweiz keine transidenditären Vorbilder zu geben.»
Sie selbst ist in einem mittelgrossen Dorf im Baselbiet aufgewachsen. Was ihr in den Medien nicht begegnet ist, fehlte in ihrer Dorfgemeinde erst recht: Menschen, die wie sie bei der Geburt als Mann identifiziert wurden, aber spüren, dass sie eigentlich Frauen sind.
Eine grosse Last fällt ab
Peter begann mit Eis- und Inlinehockey. Als Jugendliche merkte sie, dass sie in der falschen Garderobe sass, mit den falschen Mitspielern. «Das war einfach so ein Gefühl», sagt sie, «für mich stimmte da etwas nicht.»
Der innere Zwist hielt an. «Aber ich habe geglaubt, meinen Platz schon zu finden, wenn ich mir nur fest genug Mühe gebe», erzählt Peter. «Ich hoffte, dieses ‹andere Gefühl› unwichtig werden zu lassen, indem ich noch einen und noch einen Schritt in Richtung eines typisch männlichen Lebensentwurfs machte.»
Mit 21 Jahren tritt sie in die freiwillige Feuerwehr ein, mit 22 kommt sie mit ihrer Freundin zusammen. Als Studium wählt sie Ingenieurwissenschaften. «In mir drin ist die Diskrepanz geblieben. Also hab ich im Sport, beim Eishockey, Vollgas gegeben, um mich abzulenken.» Mit 28 Jahren heiratet Peter ihre Freundin.
Irgendwann Ende zwanzig, entscheidet sich Fabienne Peter «das anzugehen», wie sie sagt. Ihre Frau wusste da schon lange über ihren Wunsch Bescheid. Im Umfeld holt Peter dies Schritt für Schritt nach.
Bei der Feuerwehr zum Beispiel. «Der Kommandant sagte am Anfang einer Übung zur Mannschaft: ‹Herhören, es gibt News.› Ich hab dann gesagt, wie die Situation ist und was sich für mich und für sie ändert. Im Prinzip nicht viel. Name und Anrede, das ist alles. Ich habe gesagt, dass sie auf mich zukommen sollen, wenn sie Fragen haben.»
«Die Frage sollte selbstverständlich sein für jeden Menschen: Wer bin ich wirklich? Wie will ich leben?»
Von da an hatte die freiwillige Feuerwehr im Dorf eben eine siebte Frau in der Mannschaft, «das wars», sagt Peter. Keine komischen Sprüche, kein scheeler Blick. Peter sagt: «Diese Entscheidung nimmt mir eine grosse Last ab. Ich muss mich nicht mehr verstecken, ich muss nicht mehr Angst haben, dass mich jemand dabei entdeckt, wie ich zu Hause eine neue Rolle ausprobiere.»
Fabienne Peter erzählt das alles mit Bedacht. Oft lässt sie ihre Worte lange nachklingen, bevor sie weiterspricht. Sie will sich sicher sein, richtig verstanden zu werden. Sie stellt klar, dass sie kein Opfer ist, dem das Schicksal bei der Geburt vor die Füsse gespuckt hat. Sie stellt klar, dass sie von ihrer Familie, von der Dorfgemeinschaft, bei der freiwilligen Feuerwehr und nicht zuletzt von ihren Teamkolleginnen beim EHC Basel mit grossem Respekt und Selbstverständlichkeit akzeptiert wird. Mit ihrer Frau lebt sie weiterhin glücklich zusammen.
Kann das nicht für alle so sein, die sich in einer ähnlichen Situation befinden wie sie? Fabienne Peter wünscht sich genau das. Dass sie sich furchtlos und selbstverständlich fragen können: Wer bin ich wirklich? Wie will ich leben?
Vorbild sein – eine schwierige Rolle
Es ist auch darum so schwer, sich als Transmensch an Vorbildern orientieren zu können, weil die Geschlechtsangleichung irgendwann zu einem Abschluss gelangt und die Männer und Frauen dann entsprechend ihrer neuen, ihrer richtigen Identität weiterleben wollen.
Manche stossen ihre Vergangenheit ab, wollen ihr altes Ich vergessen. Andere leben leichter mit ihrem früheren Ich, sie tragen jenen Teil ihres Lebens zum Beispiel in Form eines Buchstabens um ihren Hals. Längst nicht alle vollziehen eine Geschlechtsangleichung.
Fabienne Peter ist heute eine Frau. Auch sie nutzt den Zusatz Trans* nur, wenn es nicht anders geht. In diesem Fall wäre es anders gegangen, Peter hätte dem Treffen eine Absage erteilen, ihre Geschichte für sich behalten können. Sie hat sie erzählt. Sie will ein Vorbild sein, das vielleicht irgendwer fein säuberlich ausschneidet und aufbewahrt.
* Der Begriff Geschlechtsangleichung ist der korrekte Ausdruck für die Transition des Geschlechts. Der Begriff der «Geschlechtsumwandlung», der in diesem Kontext immer wieder zu lesen ist, entspricht nicht dem Selbstverständis der betroffenen Personen. Auszug aus dem Sprachleitfaden des Transgender Netzwerks Schweiz: «Es geht nicht darum, dass eine Frau durch eine OP zum Mann wird oder umgekehrt. Es geht darum, dass eine Person ihr Leben ihrer Geschlechtsidentität anpasst. Manchmal gehören körperliche Angleichungsmassnahmen dazu, manchmal nicht.» Ebenso ist der Begriff Transsexuell zu vermeiden, weil er Missverständnisse provoziert. Besser sind die Begriffe Transidentitär, Transmensch, oder einfach «Trans».