Ihre Ledertasche mit den Utensilien ist in Sichtweite, das Handy in Griffnähe, die silbernen Schuhe bleiben an. Lucia Mikeler Knaack ist bereit, jederzeit in ihren roten Fiat 500 zu steigen, den sie erst vor einer Stunde in die Garage gefahren hat. Das Unvorhergesehene gehört in ihren Alltag – seit 25 Jahren. Vielleicht auch deswegen strahlt sie Ruhe, Autorität und Humor aus.
Ihr Beruf sei ihre Berufung, sagt sie am langen Esstisch ihres geräumigen Hauses in Bottmingen. «Wahrscheinlich ist es schon Stress, aber ich empfinde es nicht so.» Sie weiss aus Erfahrung, wann ein Kind kommt und wann nicht. An diesem Morgen wird keines geboren werden, keine werdende Mutter sie brauchen.
Schönschnaufen lässt sich das nicht
Lucia Mikeler Knaack ist Beleghebamme am Bethesda Spital in Basel, hat über 2000 Kinder zur Welt gebracht und fast so viele Frauen bei der Geburt unterstützt. Um die Mütter geht es ihr eben auch. «Die Frauen sollen die Geburt gut erleben», sagt sie und meint das «Wunderbare», das mit der «Brachialgewalt der Natur» zusammenfällt. Schönschnaufen lässt sich das nicht. «Die Geburt definiert sich aber nicht über den Schmerz», sagt sie, sondern darüber, dass «Frauen ein Kind kriegen».
Es hat einiges gebraucht, dass heute eine Mutter im Wochenbett sagen kann: «In zwei Jahren sehen wir uns wieder.» Die gebürtige Baselbieterin hat erlebt, wie Frauen verstört aus einer Geburt kamen. Werdende Mütter waren lange nicht in der Position, dass Mann ihnen im Gebärsaal empathisch begegnete. Die Frau hatte keine Lobby, auch ausserhalb des Kreiss-Saales nicht.
«Ich bin unangenehm aufgefallen»
«Das geht gar nicht», sagt Mikeler Knaack mehrmals an diesem Montagmorgen, gefolgt von ihrem unbekümmerten und lauten Lachen. Sie erinnert sich, wie es einst war.
Vom Chefarzt bis hin zum Assistenzarzt betraten acht Männer die Spitalzimmer, gingen einer nach dem anderen an den jeweils acht Müttern vorbei, die ungeschützt in ihren Betten lagen und kontrollierten die frisch genähten Dammschnitte. Als einzige Frau war die Hebammenleiterin bei der Visite dabei. Kam eine Schwangere zur Geburt ins Spital, musste sie ein Spitalhemd anziehen und durfte das Bett nicht mehr verlassen – nicht mal für die Toilette.
«Das ging mir total gegen den Strich», sagt Mikeler Knaack. Sollte sie einmal was zu sagen haben, schwor sie sich, werde das nicht mehr passieren. Das war 1976. Mikeler Knaack hatte gerade ihre Hebammen-Lehre im katholischen Luzern begonnen, fünf Jahre nach der Einführung des Frauenstimmrechts, die Abtreibungsdebatte war in vollem Gange, die Spitäler waren in Männerhand und die Frauenbewegung stand noch in den Anfängen.
Mikeler Knaack begehrte auf, hinterfragte, widersprach. «Ich bin dort, sagen wir mal so, unangenehm aufgefallen», sagt sie. Trotzdem machte sie Karriere, fand später unter den wenigen Ärztinnen an der Basler Frauenklinik Gleichgesinnte, die nicht wie ihre männlichen Kollegen agierten. Und die sie förderten.
Die Selbstbestimmung der Mutter wahren
In den Siebzigern durften Hebammen neben dem Arzt stehen und ihm nach der Geburt gratulieren. Heute beschreibt Mikeler Knaack die Zusammenarbeit als partnerschaftlich: «Bei der Geburtshilfe steht die Frau im Zentrum. Und nur sie.» Sie stellt aber fest, dass sich einige Ärzte immer wieder über Gebärende hinwegsetzen. «Wenn eine schwangere Frau hört, dass es ihrem Kind nicht gut geht, kippt sie sofort.» Das Schwierigste sei, Frauen so anzuleiten, dass sie selbst entscheiden können. Klar ist: Wird es lebensbedrohlich, entscheidet das Personal.
«Ein Mann kann sich in dieser Situation nicht in eine Frau hineinversetzen.»
«Nicht frei entscheiden zu können,» sagt Mikeler Knaack, «daran nage ich.» Bei der Geburt ihres ersten Kindes, konnte sie das auch nicht. Ihre Tochter lag in Steisslage, sie brachte das Kind im Spital per Kaiserschnitt zur Welt. «Ich hätte gerne daheim geboren», sagt sie. Zu Hause könne die Frau ihren Rhythmus am besten selbst bestimmen.
1990 war Mikeler Knaack Mitbegründerin des ersten Schweizer Geburtshauses in Muttenz. Diese Entwicklung passte nicht allen. Ob das überhaupt rechtens sei, hatte die Ärztegesellschaft gefragt und es gleich selbst überprüft. Doch die Alternative zur Spitalgeburt bewirkte ein Umdenken, auch gegenüber der werdenden Mutter. Heute beginnen Spitäler, eigene Geburtshäuser in ihren Betrieb zu integrieren.
Dennoch ist die Frauenmedizin noch lange nicht emanzipiert. «So lange man an uns Frauen so gut verdient», sagt Mikeler Knaack, «wird sich gar nichts ändern.» Teenager ab 16 Jahren werden aufgefordert, in die frauenärztliche Kontrolle zu gehen – manchmal noch bevor sie sexuell aktiv sind. Wäre es da nicht an der Frau selbst, sich zu wehren? «Wissen Sie, heute ist jede eine Expertin: die Mutter, die Freundin, die Schwester und die Nachbarin.» Diesen Gruppendruck auszuhalten, das brauche Standhaftigkeit.
Bereit auch nachts um drei
Mikeler Knaacks Kampf für die Frau ist auch einer für den Status der Hebamme, ein klassischer Frauenberuf. Sie doziert, politisiert als SP-Gemeinde- und Landrätin, präsidierte den Schweizerischen Hebammenverband. Und sie polarisiert.
Obwohl sie die Gleichstellung begrüsst, sagt sie klar: «Eine männliche Hebamme ist im Gebärsaal nicht nötig.» Diese Meinung vertritt sie standhaft seit über zehn Jahren – damals liess sich der erste Mann als Hebamme in der Schweiz ausbilden. «Ein Mann kann sich in dieser Situation nicht in eine Frau hineinversetzen», sagt sie. Dass es auch Frauenärzte gibt, lässt sie nicht gelten. «Die haben wir nur, weil die Frauen lange nicht Ärztinnen werden durften und es keine Alternative gab.»
Seit über zehn Jahren ist Lucia Mikeler Knaack Beleghebamme, berät, betreut und begleitet Schwangere. Noch immer ist sie beeindruckt, dass da ein Bébé aus dem «Wasser» schlüpft und gleich zu atmen beginnt. Noch immer macht sie sich auf den Weg, auch um 3 Uhr nachts, wenn eine Frau in den Wehen liegt. Und sollte sie je das Bedürfnis verspüren, liegen zu bleiben, dann wüsste sie: Jetzt höre ich auf.