Eine sauber dosierte Portion Rücksicht schickt Gianni Infantino mit auf die Reise, als er Wladimir Putin den Ball in den Lauf spielt. Selbstverständlich weiss der Präsident des Fussball-Weltverbandes Fifa, dass der russische Potentat kein versierter Fussballer ist, also spielt er seinen Pass weder zu hart noch zu steil, aber auch nicht so zögerlich, dass Putins Unbedarftheit allzu sehr auffallen würde.
Das Zuspiel ist ein kleines diplomatisches Meisterstück mitten auf dem Roten Platz. Dort haben die beiden sich getroffen, um für die Kameras zu posieren; ein paar ehemalige Weltstars, die die Fifa bezahlt, sind auch da. Die beiden Gastgeber haben ihre Jacketts abgelegt, sie wirken sportlich, anpackend und – sehr zufrieden.
Wenn nicht noch ein schreckliches Unglück passiert, wird diese Weltmeisterschaft als strahlender Erfolg in die Fussballgeschichte eingehen. «Wundervoll, unglaublich, grossartige Feier, grossartige Spiele, grossartige Organisation, gastfreundliches Land», schwärmt Infantino, der vor vier Wochen – am Tag vor dem Eröffnungsspiel – noch ziemlich steif wirkt.
Damals ist auf dem Fifa-Kongress seine Unsicherheit nicht zu übersehen. Es gibt Gerüchte über finanzielle Probleme seines Verbandes. Niemand weiss zu Beginn jenes Tages, ob die 211 Mitgliednationen die WM 2026 womöglich nach Marokko vergeben werden, statt an die Trias aus den USA, Mexiko und Kanada, wo sich sieben Milliarden Euro mehr verdienen lassen. Für Infantino ist dieses Geld unverzichtbar. Kommt die Trias nicht durch, droht eine schwere persönliche Niederlage.
Als Putin zum Grusswort auf dem Kongress erscheint, irrt Infantino noch über die Bühne wie ein Clown.
Einsam wirkt Infantino da, und als Putin zum kurzen Grusswort auf dem Kongress erscheint, irrt er über die Bühne wie ein Clown, eilt zum falschen Eingang, während der hohe Gast die Bühne von der anderen Seite betritt. Ein sehr peinlicher Moment ist das.
Doch seit diesem Tag wird Infantinos Lächeln immer breiter, seine anfängliche Unterwürfigkeit ist verschwunden. «Ein glücklicher Mann sitzt vor Ihnen, ein sehr glücklicher Fifa-Präsident. Wir haben heute gezeigt, wie die Fifa funktioniert», sagt er, als das Turnier nach Amerika vergeben und auch sonst alles nach Plan gelaufen ist.
Tatsächlich zeigt die Fifa ihre Funktionalität in den WM-Wochen in voller Pracht. Sicherheit, Stimmung, sportliche Dramen, die Qualität der Spiele, keine grösseren Pannen – sogar den Videobeweis setzt die Fifa viel besser um als beispielsweise die Bundesliga.
Die Welt zusammenbringen
Nie ist ein Präsident geschickter durch die WM-Wochen geschwebt, immer im Bild bei den wichtigen Spielen, als diplomatische Instanz auf dem Sessel zwischen Staatspräsidenten, weltmännisch nonchalant, neutral. Und die TV-Regie folgt brav der Anweisung, den Präsidenten in Szene zu setzen: Bei Toren gratuliert er dem einen, spricht Trost an den anderen aus. Die Fifa inszeniert sich als friedfertiges Verbindungsstück zwischen den Nationen, in einer Welt, die mehr und mehr auseinanderzubrechen scheint.
Die Details verblassen hinter den bunten Bildern
dieses grossen WM-Festes.
Als Infantino gefragt wird, ob er das Teilnehmerfeld der WM womöglich schon in vier Jahren auf 48 Nationen aufstocken wolle – und das Turnier dann womöglich nicht nur in Katar, sondern auch im eher feindlich gesinnten Nachbarstaat Saudi-Arabien stattfinden könnte –, erwidert Infantino: «Wenn es mir möglich wäre, den mittleren Osten zusammenzubringen, dann wäre ich froh.»
Gut möglich, dass der Sohn eines Zeitungsverträgers aus dem Städtchen Brig heimlich auf die Verleihung des Friedensnobelpreises hofft. Ähnlich wie sein Vorgänger Sepp Blatter, mit dem Infantino zwar eine tiefe Feindschaft verbindet, der aber als grosser Lehrmeister des 48-Jährigen gelten kann.
Statt wie angekündigt die von Blatter installierten Strukturen der Verschleierung zu bekämpfen, hat Infantino das System noch perfektioniert. Der Jurist umgibt sich mit hoch umstrittenen Figuren wie Zvonimir Boban, der 2017 laut «Süddeutscher Zeitung» in einem Betrugsprozess zu einer Strafzahlung von 530’000 Euro verurteilt worden war.
Den inzwischen wegen Korruptionsvorwürfen aus allen Ämtern zurückgetretenen Ghanaer Kwesi Nyantakyi machte Infantino im vorigen Herbst zum Chef der Fifa-Foundation, die soziale Projekte fördern soll. Und die Aufseher des Ethikkomitees ersetzt er in einer Nacht- und Nebelaktion «durch Freunde und unschädliche, weil inkompetente Amtsträger», sagt der Basler Strafrechtsprofessor Mark Pieth, der bis 2013 half, die Korruption in der Fifa zu bekämpfen.
All diese Details verblassen nun hinter den bunten Bildern dieses grossen WM-Festes. Selbst Infantinos bittere persönliche Niederlage ist beinahe vergessen. Beim Versuch, neue Wettbewerbe zu erfinden hatten dubiose Geldgeber aus Saudi-Arabien angeblich 25 Milliarden Euro investieren wollen.
«Wir haben gute Nachrichten»
Mittlerweile wischt Infantino solche Themen mit genauso grosser Geste vom Tisch wie Fragen nach Putins Ukraine-Krieg, nach Menschenrechten oder dem nächsten WM-Gastgeber Katar. Bei all dem Guten, das die Fifa leiste, sei es bedauerlich, dass «man immer versucht, das Haar in der Suppe zu finden, wie die Deutschen sagen. Wir haben gute Nachrichten.»
Zum Beispiel die, dass Infantino 2019 für vier weitere Amtsjahre kandidiert: «Ich glaube an die Kinderaugen in Haiti, in São Tome, in Ruanda, in Mianmar, die leuchten, wenn man ihnen einen Ball gibt», begründet er seinen Vorstoss.
Unbeantwortet bleibt die Frage, was er über die Kinder denkt, deren Mütter in Putins Ukraine-Krieg ums Leben kamen. Über die Kinder, deren Brüder in Grozny verschleppt wurden, dort wo Infantino die Ägypter ihr WM-Quartier aufschlagen liess. Oder über die Kinder, deren Väter auf den Stadionbaustellen in Katar ums Leben kamen. «Wir sind nicht perfekt», sagt Infantino, aber das sei ja nur menschlich. Wichtiger ist ohnehin, dass die Bilder perfekt sind.