Es gibt Menschen, die wirken so souverän, dass man ein bisschen Angst bekommen könnte. Mathias Jenny ist so ein Mensch. Wie er so in seinem Laden steht, wirkt er wie der Mittelpunkt eines Gesamtkunstwerks.
Sein Yves-Klein-blauer Pulli bringt seine blauen Augen und das Gold seines schmalen Armbands hervor. Sein crisper Kragen leuchtet blütenweiss und erweist dem Schriftzug im Fenster Referenz. Und die lederne Schürze hat sich der Goldschmied extra anfertigen lassen. «Ich bin ein Perfektionist», sagt er.
In der Auslage glänzen Ringe und Ketten. Es sind wenige Schmuckstücke, jedes kommt zur Geltung, sogar das Goldengelchen, das kleiner ist als der Fingernagel des kleinen Fingers. Jedes Stück ein Unikat.
Mathias Jenny macht keine Rohlinge auf Vorrat, er fängt bei jedem Ring von vorne an, oft exakt nach den Wünschen der Kundin. «Sie muss es tragen, ihr muss es gefallen. Wenn Frau Meier denselben Ring trägt wie Frau Müller, ist das nicht chic.»
Der berühmte Onkel
Das gehört zu Mathias Jennys Philosophie. Alles, was er macht, macht er bewusst. Wo er seine Materialien einkauft (von Schweizer Händlern, garantiert aus fairen Arbeitsverhältnissen), was er isst (saisonale Produkte), wie er seine Kinder erzieht (in Meerferien sammelt er mit ihnen täglich fremden Abfall am Strand ein).
Jenny erzählt gerne, wie er sich sein Leben denkt. Für ihn ist es richtig, so wie er es sich denkt. Er hat sich seine Philosophie aus verschiedenen Büchern angeeignet. «Ich folge nicht einfach einem Autor.»
Über der Werkbank hängt ein Steinbockgeweih. Ein Lawinenopfer. Und ein Tribut an Mathias Jennys Bündner Wurzeln: «Ich habe jahrelang danach gesucht.» Kein Jäger gibt freiwillig seine Trophäe weg. Am Schluss hatte Jenny bei einem Tierpräparator Glück.
Der Dialekt lässt davon nichts ahnen, aber Jenny zieht es immer wieder ins Engadin. Dort lebt Jennys Onkel Not Vital. Ja, der Vital. «Eigentlich ist unsere Verwandtschaft homöopathisch», sagt Jenny. Seine Urgrossmutter und Not Vitals Grossmutter waren Schwestern. Den berühmten Künstler nennt er trotzdem «Onkel». Fast kriegt man den Eindruck: Am liebsten wäre Mathias Jenny Not Vital.
Von ihm hat er gelernt, die Angst zu überwinden. In einer Nacht, vor vielen, vielen Jahren in Sent. Die beiden feierten ein ausgelassenes Fest. Not Vital habe ihm klar gemacht, dass man nicht weiterkomme, wenn man in seiner Kleinkariertheit gefangen bleibe. «Wenn du Angst hast, musst du zu Hause bleiben.»
Der überzeugende Einstieg
Jenny blieb nicht zu Hause, er brach immer wieder aus. Etwa als er, ein Akademikerkind, in der Steinerschule die Liebe zum Handwerk entdeckte. «Goldschmieden ist die vergegenständlichte Perfektion.»
Jenny klopfte bei Sara Schaffner und Gabriela Gysin in der Gerbergasse an. Sie sagten: «Du kannst schon eine Schnupperlehre bei uns machen, aber Lehrstellen bieten wir keine an.» Nachdem sie ihn arbeiten sahen, revidierten sie ihre Aussage.
Nach der Lehre mietete sich Jenny bei seinem ehemaligen Lehrer Andreas Malzach in Laufen ein, später übernahm er dessen Laden. 15 Jahre lang blieb Jenny dort, pendelte täglich von Basel nach Laufen. Je länger je mehr kamen auch Kundinnen und Kunden extra aus Basel und der ganzen Schweiz angereist. Und das, obwohl Mathias Jenny nie an Apéros tout Bâle hofierte.
Während des Tages, im Laden, da ist er schon der Verkäufer, der «gut redet». Wenn einer fragt: «Welcher Ring ist der billigste?», sagt Jenny: «Meine Augenringe sind gratis.» Aber wenn er die Ladentür schliesst, will er nicht mehr gute Laune haben müssen. Dann geht er lieber einfach nach Hause.
Seit dem 1. November ist er nun in Basel. Irgendwann war er das Pendeln leid geworden. Er bekam das Angebot für den Rümelinsplatz. Und dann kam sie doch einmal hervor, die Angst. Nachdem er den Vertrag unterschrieben hatte. In Basel zahlt er dreimal mehr Miete als in Laufen. Jenny lag in der Nacht wach und dachte: «Gopf, bin ich ein Tubel.» Bis er sich irgendwann sagte: «Du hast unterschrieben, was willst du noch hadern?»
Jenny redet ohnehin lieber über das «Gas geben im Job», das ihn weiterbringt. Über Leidenschaft und gute Ideen, die ihn auch als Goldschmied überleben lassen, obwohl es mittlerweile chinesische Schmuckketten gibt, die innert zwei Wochen günstig nachproduzieren, was die lokale Goldbranche macht.
Jetzt macht er aber etwas, das ihm nicht so schnell einer nachmacht: Er graviert von Hand. Jenny holt einen pompösen Ring aus dem Schaufenster. Kleine Diamanten funkeln auf Gold, fein eingravierte Sterne kranzen sie ein. Der Ring trägt den Namen «Sternenhimmel», die Technik heisst «Inkrustation». «Die Sterne lassen die Diamanten grösser erscheinen», erklärt Jenny.
Er entdeckte die Gravurmaschine vor ein paar Jahren an der Uhren- und Schmuckmesse. Am nächsten Tag ging er mit seinem Wanderrucksack vorbei und nahm das Leica-30fach-Vergrösserungsobjektiv persönlich mit. «Ich besitze das erste in Europa ausgehändigte Mikroskop dieser Art.»
Die Lehre zum Graveur dauert normalerweise vier Jahre, Jenny übte in der Nacht daheim. Doch nach eineinhalb Jahren zügelte er die Maschine ins Atelier. «Ich bin zu alt, um die Nächte durchzuarbeiten.»
Die vielen Experimente
Jenny hat zwar einen Graveur aus Zürich, doch es kommt kein Nachwuchs mehr. Ausserdem experimentiert er gerne mit verschiedenen Techniken. Er emailliert, giesst im Schleuderguss-Verfahren oder fasst Edelsteine. «Ich mache möglich, was technisch gar nicht machbar ist.»
Beispielsweise, wenn es darum geht, Perlen oder Goldkügelchen an einem Stecker zu befestigen. Die klassische Technik dafür ist das Löten. Aber diese Technik hat Grenzen: Wenn man lötet, wird das ganze Stück heiss. Bei Perlen etwa geht das nicht. Wenn sie zu heiss werden, gehen sie kaputt. Jenny hat sich deshalb eine Schweissmaschine gekauft.
Eine spezielle Technik verwendet der Goldschmied auch bei seinen «etruskischen» Stücken. Er legt zwei goldene Ohrstecker auf den Tisch, so gross wie Zehnräppler. Sie sind mit einem filigranen Rand eingefasst und tragen ein Kreuz und Kügelchen als Muster.
Jenny hat mit einem Lötkolben gearbeitet, den man mit dem Mund bedient. Er hat eine ganz kleine, weiche Flamme über das Stück geblasen und die Verzierungen so sanft mit dem Untergrund verschmolzen, dass sie ihre Form nicht verloren.
Diese traditionelle etruskische Technik hat Mathias Jenny in Montepulciano gelernt. Die Etrusker waren allerdings keine Christen, das Kreuz stammt aus Jennys Feder: «Ich bin kein Etrusker, ich bin ein Mathias Jenny.»
Nur einmal, da scheiterte der Goldschmied. Am «goldenen Kalb», der berühmten hüfthohen Skulptur von Not Vital aus dem Jahr 2001. Jenny sollte sie ihm schweissen. «Ich kann das nicht», erwiderte Jenny. Vital entgegnete: «Goht nid, gits nid.» Jenny versuchte es, doch er gab nach einem Hinterbein auf und bestellte einen Industrie-Schweisser, der den Rest des Körpers machte.
Daran hatte Jenny eine Weile zu kauen. Aber irgendwann konnte er auch das überwinden: «Ich bin schliesslich Goldschmied, kein Industrie-Schweisser.»