Baran Coskun stand am Flughafen in Katar, als er begriff, dass er nicht dazugehört. Coskun war damals 14 Jahre alt und mit den Junioren des FC Basel unterwegs zu einem Turnier. Während seine Schweizer Teamkollegen die Passkontrolle locker passierten, kontrollierten die Grenzwächter Coskuns türkischen Pass und seine Schweizer Aufenthaltsbewilligung akribisch. Seine Freunde mussten warten, wegen ihm.
«Da wurde mir klar, dass ich eben doch noch ein Ausländer bin», sagt Coskun heute. Wir treffen den inzwischen 21-Jährigen zusammen mit seinem Cousin Mahir Kabakci in einer Kleinbasler Weinbar. Beide haben kurdische Wurzeln, sind jedoch in der Schweiz geboren. Während Kabakci bereits seit über zehn Jahren im Besitz des Schweizer Passes ist, steckt in Coskuns Tasche noch immer ein C-Ausweis.
Eine Radar-Busse verhinderte die Einbürgerung
Coskuns Grosseltern kamen in den 1970ern in die Schweiz, sie verliessen auf der Suche nach Arbeit ihre Heimat Dersim (türkischer Name: Tunceli), eine Provinz im Osten der Türkei. Sie liessen sich im Kleinbasel an der Feldbergstrasse nieder, der Grossvater fand Arbeit in einem Restaurant. Wenig später kam auch Coskuns Mutter nach Basel, wo sie ab der 5. Klasse die Schule besuchte. Coskuns Vater wiederum kam als junger Mann ebenfalls wegen der Arbeit nach Basel.
Damit sind Coskun und seine ältere Schwester Ausländer der dritten Generation. Sie wurden in der Schweiz geboren und bereits ihre Eltern haben praktisch ihr ganzes Leben in der Schweiz verbracht. Die beiden Geschwister könnten von einer erleichterten Einbürgerung profitieren, falls die Einbürgerungsinitiative am 12. Februar angenommen wird.
Es ist nicht so, dass die Coskuns nicht schon versucht hätten, Schweizer zu werden. Vor neun Jahren stellte die ganze Familie – also Mutter, Vater, Baran und seine Schwester – ein Einbürgerungsgesuch. Der Versuch scheiterte, weil die Mutter einige Jahre zuvor einmal zu schnell fuhr und dabei von einem Radar geblitzt wurde. Die Behörde entschied: Diese Familie ist nicht reif für den roten Pass.
Dieser Entscheid sorgt bei Coskun noch heute für Stirnrunzeln. «Mir fällt es schwer, nachzuvollziehen, weshalb eine solche Radar-Busse uns zu schlechten Schweizern machen soll. Sind uns denn keinerlei Fehler erlaubt? Müssen wir perfekt sein?» Die Familie Coskun war enttäuscht und traurig. Sie alle fühlen sich als Schweizer, arbeiten hier seit vielen Jahrzehnten, bezahlen Steuern, haben ihre Kinder grossgezogen.
Vom Fussball zur Politik
Baran Coskun wollte es noch einmal versuchen. Doch neben Schule, Sport und Lehre fehlten ihm sowohl Zeit als auch Geld für ein erneutes Einbürgerungsgesuch. Nachdem er es beim FC Basel nicht in die U16-Auswahl geschafft hatte, führte ihn sein Weg zum FC Concordia über die Old Boys und zuletzt zum FC Dornach. Das intensive Fussballtraining musste er inzwischen verletzungsbedingt aufgegeben. Der Sport fehlt ihm.
Während Coskun in seiner Jugend bei jeder Gelegenheit dem Ball nachrannte, beschäftigte sich Kabakci mit Politik. Er begleitete seinen Cousin Wochenende für Wochenende zum Morgentraining, Coskun besuchte dafür vor einigen Monaten das erste Juso-Treffen. Inzwischen ist er Parteimitglied, wenn auch noch eher passiv. «Ich bin politisch noch nicht so bewandert wie Mahir und die anderen Jusos. Da muss ich noch etwas aufholen.»
Dennoch: Coskun ist interessiert daran, was politisch um ihn herum passiert. «Ich lebe hier und bin Teil der Gesellschaft, da ist es doch naheliegend, dass ich mich auch einbringen will.» Das Stimmrecht ist ein weiterer Grund dafür, dass Coskun Schweizer werden will. «In der Türkei muss man Angst davor haben, seine eigene Meinung zu sagen. Und hier haben wir diese funktionierende Demokratie. Das beeindruckt mich.»
Coskun arbeitet heute als Logistiker und träumt davon, eine Familie zu gründen. Demnächst will er sich eine eigene Wohnung suchen. Auch so etwas, was leichter fällt mit einem Schweizer Pass. Und die Autoversicherung kommt ihn teurer zu stehen, ohne den Schweizer Pass. «Als ob dieses Dokument etwas an meinem Fahrstil verändern würde», bemerkt er kopfschüttelnd.
Es sind diese Momente, in denen Coskun, der sich als Schweizer fühlt, am Schweizer System zweifelt. «Ich bin hier geboren. Hier lebe ich, hier ist meine Familie, hier sind alle meine Freunde. Wie soll ich noch mehr beweisen, dass ich dazugehöre?»
Erleichterte Einbürgerung: So funktioniert es
Die Schweiz kennt zwei Verfahren der Einbürgerung, die ordentliche und die erleichterte. Für Letztere kommen heute beispielsweise Ehepartner von Schweizern in Frage, nach mindestens fünf Jahren Ehedauer. Die Vorlage, über die am 12. Februar nun abgestimmt wird, verlangt, dass auch junge Ausländerinnen und Ausländer der dritten Generation unter bestimmten Voraussetzungen eine erleichterte Einbürgerung beantragen können.
Dabei handelt es sich nicht um einen Automatismus, sondern lediglich um ein vereinfachtes und abgekürztes Verfahren. Auch gelten sowohl für die ordentliche wie für die erleichterte Einbürgerung die gleichen Anforderungen bezüglich Integration. Zusätzlich sollen für Ausländerinnen und Ausländer der dritten Generation folgende Kriterien gelten:
- Die Person darf höchstens 25 Jahre alt sein,
- muss in der Schweiz geboren und mindestens fünf Jahre zur Schule gegangen sein,
- muss über eine Niederlassungsbewilligung verfügen.
- Mindestens ein Elternteil muss sich zehn oder mehr Jahre in der Schweiz aufgehalten und fünf Jahre die Schule besucht und ebenfalls eine Niederlassungsbewilligung erworben haben.
- Ein Grosselternteil muss in der Schweiz ein Aufenthaltsrecht erworben haben oder hier geboren worden sein.
Gemäss einer aktuellen Studie der Uni Genf wären heute ungefähr 25’000 junge Ausländerinnen und Ausländer von der Gesetzesänderung betroffen. Diese stammen hauptsächlich aus Italien, der Türkei und den Staaten Südeuropas. Die Studienautoren gehen davon aus, dass über die nächsten zehn Jahre noch einmal knapp 24’000 Kinder für eine erleichterte Einbürgerung infrage kommen würden.