Es ist kurz nach neun Uhr an einem Mittwochvormittag. Rund um das Brausebad herrscht der alltägliche Betrieb. Es sind vor allem Autofahrer, die über den Spalenring in Richtung Bahnhof oder Flughafen fahren. Wer hier durchkommt, ist auf der Durchreise. Stehen bleibt kaum jemand.
Ausser vor der Hausnummer 100: Hier hat sich eine Schlange von fast 20 Personen gebildet, die im Gänseschritt in einen kleinen Laden drängen, der etwas aus der Zeit gefallen scheint. Das Schaufenster könnte aus den 1970er-Jahren stammen. Geschmückt ist es derzeit mit einem Stück Kunstrasen, Schweizerfahnen hängen daran, ein Fussballschuh und ein Ball, beide aus Schokolade, liegen parat. Daneben sind Florentiner aufgereiht. Die Schiefertafeln preisen Marmor-Gugelhopf und Buttergipfel an.
Familienbetrieb seit 1924
Die Krebs-Bäckerei ist längst kein Geheimtipp mehr im Quartier. Wer in Grossbasel West aufgewachsen ist, hat bestimmt schon einmal ein Brötchen von den Krebs-Frauen geschenkt bekommen. Oder selbst ein Päckchen Whisky-Stengel als Geschenk gekauft. Wer ins Ladenlokal möchte, muss meist vor der Tür warten. Erst wenn ein Kunde rauskommt, geht es weiter. In der Regel herrscht ein Gedränge rund um die schwere Glastür, hinter der sich Kuchen oder Schoggiweggli türmen.
Seit 1924 gibt es den Familienbetrieb, erst an der Friedrichstrasse, seit 1957 am Spalenring. Das Erfolgsrezept der Bäckerei: äusserst moderate Preise und viel Handwerk.
3.30 Uhr in der Nacht, draussen ist es dunkel, die Luft noch feucht vom Regen. Die Strassen sind leer, die Tramhäuser verwaist. Die Stadt schläft. Doch hinter einer Tür im Innenhof am Spalenring stehen fünf Männern in Weiss bereits die ersten Schweisstropfen im Gesicht. Sie backen das Brot für die Krebs-Bäckerei.
Die Männer arbeiten schnell und still, jeder weiss, was zu tun ist. Unterbrochen wird die Ruhe nur vom regelmässigen Knall des Teigs, der auf die Arbeitsfläche geklatscht wird, und dem Röhren der Maschinen.
Zwischendurch schaut Markus Krebs auf die Bestellliste, die neben ihm liegt, und ruft in die Runde, wie viele Brote und Brötchen aus den einzelnen Teigen geknetet werden müssen. Krebs ist der Chef in der Backstube. 1995 übernahm er die Bäckei von seinem Vater, der ihr den Namen Krebs gegeben hatte. Zuvor war sie nach dessen Schwiegervater Otto benannt – Bäckerei Obrist.
In Akkordarbeit entstehen jetzt Brote: Markus Krebs sticht grosse Teigstücke ab. Einer seiner Angestellten drückt sie in eine Maschine, die den Teig presst und 20 gleichmässige Laibe abmisst, drei andere Männer kneten sie in Form und legen sie auf ein langes Blech, das sie mit Mehl bestäubt haben.
Dann kommen die Bleche in den riesigen Ofen. Auf drei Schienen wird hier gebacken bei Temperaturen von 249 bis 293 Grad Celsius. Bis der Ofen so heiss wird, muss er zwei Tage lang aufgeheizt werden. Er kühlt nur einmal im Jahr komplett ab, wenn die Bäckerei über die Sommerferien schliesst. Eine grosse Erholung für das Krebs-Team; Stress haben dann die Stammkunden.
Kaum sind die ersten Baslerbrote im Ofen, machen sich die Männer an das Kleingebäck: 148 Schlumbi, 257 Buttergipfeli und 98 Schildkrötli stehen auf der Bestellliste. Fünf Seiten zeigen die Produkte, welche die Backstube frisch herstellt. Jeden Tag. «Wir müssen am Nachmittag entscheiden, was der Kunde am nächsten Tag haben möchte. Das ist gar nicht so einfach», sagt Markus Krebs. Neben den täglich wechselnden Bestellungen gibt es auch andere Faktoren, die den Verkauf beeinflussen. «Wenn es am Samstag regnet, kommen kaum Leute vorbei», weiss er aus Erfahrung. Dann bleiben die Produkte oft im Regal liegen.
Markus Krebs steht seit kurz nach zwei Uhr in der Backstube. Die Teige hat er am vorherigen Nachmittag angesetzt, damit sie in Ruhe aufgehen können. «Je länger sie Zeit haben, desto verträglicher sind sie.»
400 Kilogramm Mehl verbacken Krebs und sein Team täglich. Er ist den ganzen Tag beschäftigt: frühmorgens beim Brot, später einen Stock unter der Backstube in der Confiserie, wo die Schokoladeprodukte hergestellt werden, und nachmittags im Büro. «Ich arbeite 100 Stunden in der Woche», rechnet Krebs vor. Freizeit hat er wenig, bei schönem Wetter schwingt er sich am Samstagnachmittag aufs Velo und fährt los. 100 Kilometer, über Passwang und Hauenstein. «Die Abwechslung tut gut», sagt er.
Er kennt kein anderes Unternehmen als die Bäckerei Krebs, hier hat er seine Lehre gemacht und arbeitet er seit über 30 Jahren mit seinen beiden Schwestern Doris und Beatrix zusammen. Sie sind das Aushängeschild des Verkaufsladens. Egal, wann man in die Bäckerei kommt, mindestens eine von ihnen steht immer hinter dem Tresen. «Am Nachmittag wechseln wir uns ab, aber für uns ist es selbstverständlich, im Laden zu stehen», sagt Doris, die Ältere der beiden.
Es ist kurz nach halb sechs, seit zwei Stunden sind die Männer an der Arbeit. Es ist heiss in der Backstube, zwischendurch zischt es aus dem Ofen. Die Eingangstür zur Bäckerei steht offen, frische Luft weht in die heisse Stube. Im Gegenzug breitet sich der Duft von frischem Brot im Quartier aus. Claudine Krebs, die Frau von Markus, arbeitet ebenfalls im Verkauf. Sie schiebt die Wagen von der Backstube über den Innenhof nach vorne zum Laden. Ein Umweg, weil es keine Verbindung zwischen Produktion und Laden gibt. Sie nimmt es gelassen: «Wirklich mühsam ist es nur, wenn Schnee liegt», sagt sie lachend.
Doris Krebs steht bereits hinter der Theke. Sie verteilt die verschiedenen Brote in der Auslage, sortiert die Sandwiches und die Birchermüesli. Der Laden öffnet zwar erst um 6 Uhr, dennoch kommen schon die ersten Kunden. «Wenn sie vorbeifahren und sehen, dass die Tür offen ist, kommen sie rein. Aber das ist in Ordnung», sagt sie und lacht. Es ist das Lachen, das die Krebs-Frauen immer auf den Lippen haben. Immer freundlich, immer aufmerksam.
Es ist 5.50 Uhr, der erste Kunde kommt herein. Beatrix Bürkle begrüsst ihn mit Namen. Ohne weitere Worte packt sie Gipfeli und Schnecken in eine Tüte. Es ist das immergleiche Ritual: Die Frauen wissen, wie die Stammkunden heissen und was sie möchten. Eine beeindruckende Gedächtnisleistung, aber für Doris Krebs das Natürlichste der Welt. «Die Kunden schätzen es, wenn wir ihre Namen kennen. Manchmal müssen wir dafür halt eine Eselsbrücke bauen.» Die beiden Schwestern können sich auch noch an Kunden erinnern, die vor zehn Jahren das Quartier verlassen haben und nach dieser langen Pause wieder einmal im Laden stehen.
Die Frauen tragen weinrote Schürzen, die Männer in der Backstube weisse T-Shirts. Markus Krebs wuselt immer wieder durch die Backstube, übernimmt einen grossen Teigkessel, tunkt Weggli in einem Kessel voll Mohn oder trägt Backbleche nach draussen. Dem hochgewachsenen Mann sieht man seine Arbeit an, die Hände sind gross und kräftig. Dass sie jeden Tag kiloweise Teig kneten, erstaunt nicht. Obwohl sein linker Arm eingeschränkt ist. «Ende Jahr hab ich mir einen Tag Skiferien gegönnt. Und hatte prompt einen Unfall», erzählt er. Sechs Wochen lang musste er den Arm waagerecht in einem Gips tragen, damit Sehnen und Muskel wieder anwachsen konnten. Das Schlimmste ist überstanden, hochhalten kann er den Arm aber noch nicht.
Unsichere Zukunft
Markus Krebs ist jetzt 57 Jahre alt, langsam muss er sich Gedanken machen über die Zukunft der Bäckerei. Seine beiden Töchter backen zwar gerne und viel, wollen das aber nicht hauptberuflich tun. «Es steht noch in den Sternen, wie es weitergehen soll.» Für einmal wird seine Miene ernst. «Ich möchte unbedingt, dass es die Bäckerei weiterhin gibt», sagt er. Darum sucht er schon nach einem Nachfolger, aber das ist alles andere als einfach. «Es ist ein harter Job, das grosse Geld verdient man hier nicht.»
Das liegt sicher auch an den moderaten Preisen in der Bäckerei. Die Inhaber sträuben sich dagegen, die Preise anzupassen. «Den Brotpreis haben wir letztmals vor 14 Jahren erhöht», sagt Markus Krebs. Seither wurde alles teurer, die Inhaltsstoffe, die Arbeitskräfte. Nur nicht der Krebs. «Wenn man die Preise erhöht, merkt man das auch sofort beim Umsatz», pflichtet Doris Krebs bei. Sie wollen ihre langjährige Kundschaft nicht vergraulen.
Es wird langsam hell, die drei Krebs-Frauen bedienen den konstanten Kundenstrom. In der Backstube stechen die Männer derweil Spitzbubenteig aus und bestreichen ihn mit Marmelade. Bald kommt der Confiseur für die bekannten Whisky-Stengel, Pralinen und die gerade aktuellen Schoggi-Fussballschuhe.
Markus Krebs verabschiedet sich, er muss weiterarbeiten. Er hat noch viel zu tun an diesem Tag. Bis um 19 Uhr. Dann geht er ins Bett. Schliesslich steht er morgen wieder um zwei Uhr in der Backstube.