Käseabo: Aus der Sennerei direkt aufs Frühstücksbrot

Christian Sulzberger arbeitete im Büro und sehnte sich nach Bergen und Handwerk. Er wurde Käser und liefert seinen Kunden ein Stück Natur direkt nach Hause.

Christian Sulzberger hofft, irgendwann von seinem Käse-Lieferdienst leben zu können.

(Bild: ALEXANDER PREOBRAJENSKI)

Christian Sulzberger arbeitete im Büro und sehnte sich nach Bergen und Handwerk. Er wurde Käser und liefert seinen Kunden ein Stück Natur direkt nach Hause.

Velo, Trekkingschuhe und Wanderrucksäckli, das sieht nach einem Städter aus, der lieber in den Bergen wäre. Und tatsächlich, es ist unser Käsemann, Christian Sulzberger. Er betritt das Café Radius am Wielandplatz und holt zwei Laibe Käse aus dem Rucksack, fürs Foto – und zwei Stück Hartkäse für die Journalistin (keine Angst, kritischer Leser, mit Bestechung hat das nichts zu tun, der Presserat erlaubt kleine Geschenke).

Der Käse ist aus Andeer, einem Dorf in den Bündner Bergen. Sulzberger hat die Sennerei besucht, den Käse probiert und ihn nach Basel gebracht. Hier hat er ihn in Stücke geschnitten, in weisses Papier geschlagen und ihn an seine Kundinnen und Kunden mit dem Velo an die Haustür geliefert (siehe Box).

Er erzählt Geschichten

Der Käse schmeckt nicht nur lecker – würzig und doch rahmig –, er kommt auch mit einer Geschichte. «Ich will erzählen, wie die Käser arbeiten», sagt der 39-Jährige. «Das ist ein Stück Handwerkskultur.» Um den Käse hat Sulzberger ein Band aus braunem Packpapier geschlungen. Darin steckt ein Kärtchen mit einem Foto der Sennerin und einem Text über den Betrieb.

Sulzberger ist selber Käser oder, wie man heute sagt, «Milchtechnologe». Ursprünglich hat er eine KV-Lehre gemacht, Betriebswirtschaft studiert, an einer Fachhochschule gearbeitet. Und dabei in der Stadt gelebt. Aufgewachsen ist er in Schaffhausen, die Liebe hat ihn rheinabwärts nach Basel gebracht.

Nicht ganz schwindelfrei

Doch Sulzberger hatte diese Sehnsucht in sich, die Städter so oft haben und gerne mit «Heidi» oder «Urban Gardening» befriedigen. Eine Sehnsucht nach Natur und einfachem Leben. «Die Berge haben mich schon immer fasziniert», sagt er und amüsiert sich über sich selber. «Ich bin nicht ganz schwindelfrei, aber ich gehe gerne auf Hochtouren mit jemandem, der besser drauskommt als ich.»

Ausserdem wollte Sulzberger etwas mit den Händen machen, «obwohl man mir schon in der KV-Lehre gesagt hat, dass ich zwei linke Hände habe».

Nahrungsmittel waren ein Thema. Natürlich nicht gehobene Gourmetküche, «erdig» musste es sein, einfach, von Hand zubereitet. «Ich pflanze Salat auf dem Balkon seit meiner Jugend», sagt Sulzberger. Also fängt er eine zweite Lehre an, mit 36 Jahren in einer Käserei in Obwalden.

Putzen, putzen, putzen

Das erste halbe Jahr muss Sulzberger beissen. «Am Anfang heisst es ja einfach putzen, putzen, putzen. Der Meister lässt dich ja bestimmt nicht ans 4000-Liter-Kessi, mit dem Risiko, dass er die ganze Milch nachher den Sauen geben muss.»

Ausserdem fehlen ihm die Muskeln. «Ich hatte schon Mühe, so eine 40 Kilogramm schwere Kanne zu heben.» Und das inmitten von viel jüngeren Lehrlingen, die meist aus Bauern- oder Käserfamilien kamen und sich die harte Arbeit gewohnt sind. Sulzberger gilt als Städter, als Bürogummi: «Viele rieten mir von der Lehre ab.»

Doch Sulzberger «fand einen Zugang», wie er sagt. «Ich dachte einfach ans Militär, dort ist der Anfang auch hart, wenn du plötzlich ein neues Umfeld, neue Aufgaben hast und dich anpassen musst.» Die monotone Putzarbeit nahm er als «meditatives Tun, bei dem man den Kopf abschaltet».

Einfach ist es nicht

Meditation, Arbeit mit den Händen – gehört Sulzberger zu der Sorte Städter, die zuerst ein schönes Polster verdienen, um sich dann auf das einfache Leben zu besinnen und vom Ersparten zu leben? «Ich bin kein Aussteiger», sagt er, «ich muss auch Rechnungen schreiben. Und Geld verdienen.» Er arbeitet Teilzeit in seinem Lehrbetrieb in Obwalden. Irgendwann hofft er, von seinem Lieferdienst zu leben.

Einfach ist es nicht, ein Geschäft aufzubauen. «Ich kam ein bisschen auf die Welt.» Obwohl er Betriebswirtschaftler ist, versteht er die Wirtschaftsmechanismen erst heute. Wie schwierig es ist, eine Kundenbasis aufzubauen. Wie viel man investieren muss, bevor das Geschäft Gewinn abwirft. Wie wenig Freizeit man hat.

Es lohnt sich

Aber Sulzberger sieht auch, wie gut kleine Betriebe dem Käse tun – und dem Käser. «Einen Hartkäse aus Rohmilch, das ist eine Domäne, die ein Grossbetrieb nicht machen kann», sagt er.  

Rohmilch muss nach dem Melken sofort verarbeitet werden, damit keine Keime entstehen. Der Bauer und der Käser müssen deshalb nahe beieinander arbeiten, damit die Lieferdistanz klein ist. So bleiben sie auch im Gespräch. «Der Bauer kann dem Käser sagen, wenn die Kühe krank sind oder etwas anderes nicht stimmt, man weiss immer, woran man ist.»

Er will die Milch riechen

Das gefällt Sulzberger und dass er seine Sinne einsetzen kann. «Ich will die Milch im ‹Kessi› sehen, ich will sie riechen.» Im Sommer ist die Milch gelber, weil sie viel Carotin enthält, da die Kühe dann frisches Gras fressen. Wenn eine Kuh krank ist, riecht die Milch anders oder enthält im schlimmsten Fall Blut.

Ausserdem gibt es einfache Methoden, um zu messen, wie viel Fett die Milch enthält und ob es Keime drin hat.  

In grossen industriellen Betrieben erledigen das alles Maschinen. Das wäre nichts für Christian Sulzberger. «Da siehst du keine Milch mehr, nur Rohre. So begabt bin ich dann auch nicht, dass ich mir vorstellen kann, was in diesen Rohren passiert.»

Ein bisschen Arbeitsteilung muss sein

Sulzberger vermeidet, was Karl Marx die entfremdete Arbeit nennt. Für ihn gehört der Käse zu seinem Käser, der alle Arbeitsschritte selber macht.

Ein bisschen muss Christian Sulzberger seine Arbeit aber dennoch outsourcen. Er stellt nun einen Schüler ein, der ihm hilft, den Käse auszuliefern.

Seit Anfang Jahr betreibt Sulzberger seine «Chäsgschichten», einen Lieferservice für Käse. Er funktioniert ähnlich wie ein Gemüseabo: Man meldet sich an und kriegt alle 14 Tage 600 Gramm Käse, sofern man in Basel, Allschwil, Binningen oder Birsfelden wohnt. Oder man meldet sich fürs Hop-on-hop-off-Angebot an und entscheidet vor jeder Lieferung spontan, ob man bestellen will oder nicht. Kostenpunkt: 22 Franken plus 4.50 Franken fürs Liefern.
Das ist der Käse wert. Die TagesWoche hat im Zeichen ernsthafter Recherche eine Lieferung bestellt und muss sagen: Der Vacherin fribourgeois aus Marsens (FR) zergeht auf der Zunge und der Schafskäse aus Sufers (GR) macht aus einem Zmorgabrot ein Gourmetfrühstück. Und dann hält der Käse erst noch Wochen, ohne Schimmel, ohne komischen Geruch. Anmelden unter: www.chaesgschichten.ch

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