Lieber mal auf einen Lacher verzichten

Anet Corti ist ein komödiantisches Multitalent: An der «Wirrlete» begeisterte sie mit einem Stück, das wie für die aktuelle Humor-Debatte geschrieben wirkt.

Nicht jede Pointe muss man bringen: Anet Corti ist gegen den Eingriff von Justiz in den Humor, aber für Geschmack. (Bild: Danish Siddiqui)

Anet Corti ist ein komödiantisches Multitalent: An der «Wirrlete» begeisterte sie mit einem Stück, das wie für die aktuelle Humor-Debatte geschrieben wirkt.

Anet Corti zögert keinen Moment mit der Antwort. «Ich finde das total daneben.» Natürlich geht es bei der Frage, ob die Justiz bei schlechtem Humor eingreifen soll, um nichts weniger als die künstlerische Freiheit. Die Deutlichkeit und die Vehemenz der Antwort sind dennoch überraschend für die Kabarettistin und Komikerin aus Muttenz, die in Zürich lebt. Wer verstehen will warum, muss mit der 45-Jährigen über ihre Arbeit sprechen.

Corti ist in vielerlei Hinsicht eine aussergewöhnliche Person im Humorgeschäft: Sie ist eine von wenigen erfolgreichen Frauen in der immer noch stark von Männern geprägten Szene, ihre Programme sind ein Mix aus Artistik, Sprachwitz, Schauspielerei und Gesang. Verantwortlich dafür sei ein ganz spezieller Charakterzug, wie sie selber sagt: «Ich kann mich nie entscheiden, mache zu viele Sachen zu gerne.»

Gleichzeitig ist es ihr Antrieb, das, was sie reizt. Nicht zuletzt diese Vielseitigkeit führte sie in die Scuola ­Teatro Dimitri, wo sie das Handwerk zu ihren Programmen wie «win-win» lernte, einer Persiflage der Bürowelt, oder auch ihrem ersten Soloprogramm «dbaö – Du bisch au öppert», in dem sie die Zuschauer als Lebensberatungsseminarleiterin durch den Abend leitete.

In ihren Programmen setzt Corti auf eine Geschichte, die sich entwickelt, nicht auf einzelne Pointen, und dafür braucht sie alle ihre Talente. Ihr Fundus für die Geschichten ist der Alltag: Was sie persönlich ärgert, ­bewegt oder beschäftigt, versucht sie mit der Lupe zu vergrössern. «Zu überspitzen», wie es im Komikjargon heisst.

Weltuntergang wegen Tweet

Wenn das Programm dann noch den Nerv der Zeit trifft, gelingt auch der Denkanstoss ans Publikum, das Hinterfragen gesellschaftlicher Entwicklungen. Ein Paradebeispiel und zugleich passender Beitrag zur aktuellen Humordebatte ist Anet Corti mit ihrem Twitter-Sketch gelungen, den sie abgewandelt auch an der Vorfasnachtsveranstaltung «Wirrlete» präsentierte: Betty Böhni – die überforderte Direktionsassistentin aus «win-win» – erklärt darin den Zuschauern den Kurznachrichtendienst.

Was banal mit einer Nachricht von Mike Shiva an Böhni beginnt, entwickelt sich über mehrere Tweets zur ­Affäre, welche die ganze Schweiz in die Krise stürzt – wegen einer Aussage: «Shiva ist ein Schlitzohr.» Prompt reagiert die indische Botschaft: «Bitte beleidigen Sie nicht unsere Götter.» Der Papst schaltet sich ein, der «Blick» springt auf, Barack Obama ist be­leidigt und so weiter – bis zur inter­nationalen Krise (im Video).

Das Herausgreifen von einzelnen Aussagen, die Kritik daran, das Hochschaukeln der Affäre, die Aufregung erinnern nicht nur an den Skandal um den Berner Stadtpräsidenten Alexander Tschäppät und Komiker Massimo Rocchi. Die Kultur der Kritik erlebe eine Blütezeit, sagt Corti: «Aussagen werden herausgepickt, verdreht, und dann folgt ein Leserbrief darauf, darauf wiederum ein Kommentar …» Und am Ende der Weltuntergang.

Dass ein Komiker wegen seinen Nummern den Kopf hinhalten und Kritik einstecken muss, findet Corti richtig. Wofür sie kein Verständnis hat, «ist dieses Einklagen».
Anet Corti vertritt nicht die Meinung, dass Humor keine Grenzen hat. «Die Grenze ist der gute Geschmack.» Allerdings sei es schwierig, diesen festzumachen. «Humor ist etwas Persönliches. Jeder Komiker entwickelt seinen eigenen Stil und muss damit sein Publikum finden.»

Idee für den Papierkorb

Mit Akzent irgendeinen Ausländer in einer unvorteilhaften Situation zu spielen, Klischees zu bedienen, «das funktioniert», sagt Corti, «aber das will ich nicht». Diese Art von Humor sei erst dort spannend, wo es auch Komiker mit dem entsprechenden Hintergrund machen. «Sie haben eine Legitimation, weil sie die Situationen aus persönlicher Erfahrung kennen.»

Corti ist sich bewusst, dass sich vielleicht manche bei ihrem Programm auch fragen: Ist das lustig? «Aber ich stehe auf der Bühne, ich muss es vortragen, dahinterstehen.» Oft lässt sie Pointen aus, weil sie merkt, da stimmt etwas nicht. «Ich spüre es körperlich, wenn eine Pointe für mich zu weit geht.» Etwa beim «Bundesordner 2013», als sie sich für eine Nummer den «Fall Carlos» herauspickte und die «Carlos-Erziehungsbox» kreierte, als neustes Erziehungs­modell der Jugendanwaltschaft Zürich – entwickelt in enger Zusammenarbeit mit Ikea Design und Stadler Rail Technik – präsentierte. Der Jugendstraftäter wird in die Box gesperrt und das vollautomatische Erziehungsprogramm aktiviert. «Eine billige Lösung für jeden Haushalt.»

Die öffentliche Debatte drehte sich nur noch um Geld, ein gefundenes Fressen für eine Überspitzung. Und Corti setzte noch einen drauf mit ihrer Erziehungsbox des Modells Alcatraz, Selbstschussanlage und Stacheldrahtummantelung inklusive. Sie hätte noch einen Schritt weitergehen können mit einer «Guantánamo-Box» – die Idee war auch schon geschrieben, aber sie landete im Papierkorb. «Ich konnte nicht, mir kamen die realen Bilder vor Augen, ich merkte, das geht mir zu weit.» Diesen Entscheid müsse jeder für sich treffen. «Ich bin vorsichtiger als viele Kollegen: Manchmal finde ich das gut, manchmal aber auch schade.»

«Ich spüre eskörperlich, wenn eine Pointe zu weit geht.»

Und wenn sie die wiederkehrende Frage beantworten muss, ob es denn einen Unterschied gibt zwischen weiblichem und männlichem Humor, wäre es wohl dieser: «Frauen haben nicht weniger Humor, sie sind vielleicht etwas vorsichtiger.» Wenn auch dank Nachwuchs wie den Poetry-Slammerinnen Hazel Brugger (aussagekräftiger als ihre Website sind noch die Berichte für die TagesWoche) und Lara Stoll dieses Merkmal im Umbruch sei, wie Corti findet: «Sie sind mutiger, freier, das ist toll.» Es ­brauche noch etwas Zeit, bis Frauen im Humor so selbstverständlich seien wie Männer.

Zeit brauchte auch die Karriere von Corti. Seit 14 Jahren ist sie im Business, nun spürt sie langsam den Erfolg. Sicher ist, dass ihre Herangehensweise an Themen geschätzt wird: von Kritikern und vom Publikum. In der Würdigung zum Baselbieter Kulturpreis 2013 in der Sparte Theater/Kabarett heisst es treffend über ihr Spiel: «Es ist geprägt von ihrer Wertschätzung gegenüber den Menschen, ihrer Neugierde und ihrer stupenden Beobachtungsgabe.»

Die 20 000 Franken Preisgeld kann Corti gut gebrauchen. Sie schreibt an einem neuen Programm. Einiges wird wohl wieder im Papierkorb landen, bevor die Pointen stimmen, die Zweifel beiseite gelegt sind. Nicht alles ist so einfach wie die Frage, ob die Justiz dem Humor Grenzen setzen soll.

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«win-win» läuft im Fauteuil Basel, am 4., 5. und 6. Mai. Mehr Infos: win-win.ch
Das Tabourettli hat das Programm auch schon gezeigt, die Vorschau der TagesWoche von 2012.

Artikelgeschichte

Erschienen in der Wochenausgabe der TagesWoche vom 07.03.14

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