Musiker, Grafiker und moderesistent: Ein Besuch bei Marco Papiro. Der Basler hat sich gerade den Auftrag gesichert, das Plattencover für den US-Musiker Panda Bear zu gestalten.
Er hat einen Instrumentenkoffer ins Haus der elektronischen Künste mitgebracht, stellt diesen auf einen Keyboardständer und verkabelt die darin enthaltenen Geräte. Es sind analoge Synthesizer, die Marco Papiro auch schon als seine «Haustiere» bezeichnet hat – und denen der Mann mit dem verwuschelten Afro später am Abend grunzende, singende, pfeifende und knurrende Geräusche entlockt.
Eine Arbeit von Marco Papiro.
Geräusche, die er zu einer elektronischen Musik verdrahtet, die nirgendwo richtig hingehört. Nicht in die Clubs, denn dazu fehlen ihr die fetten Bässe, nicht in die strengen Kunstsalons, für die sie viel zu neugierig gestaltet ist, und auch nicht auf die grosse Prog-Rock-Konzertbühne, da ihr jegliche virtuose Protzigkeit abgeht.
«Haustiere, das tönt so, als seien die Instrumente meine Schätze», sagt Papiro einen Tag vor seinem Konzert in einem Basler Café. Aber jeder Musiker habe nun mal einen Bezug zu seinen Geräten, die bei ihm ein Eigenleben führen dürfen: «Ich entdecke während dem Spielen Sachen, die ich so nicht geplant habe.»
Die Moog-Synthesizer haben ihn gefunden
Bewusst geplant hat der 39-Jährige auch die Instrumentenwahl nicht – es sei eher so gewesen, dass die Moogs und Korgs und all die anderen Geräte mit den wohlklingenden Markennamen aus der vordigitalen Zeit ihn gefunden haben.
Einst spielte der Sohn einer Sizilianerin und eines Sizilianers Geige, war Teil von Jugendorchestern, ehe er Mitte der Neunzigerjahre diese Geräte entdeckte – auf Flohmärkten, wo die alten Synthies 50 Franken kosteten, oder in einem Schrank eines Freundes. «Total verstaubt» seien die Instrumente gewesen, die in der heutigen retroseligen Popkultur gesuchte Stücke sind.
Fast zeitgleich mit diesen Entdeckungen ereilte ihn eine «Epiphanie», wie es Papiro ausdrückt, «der Moment, an dem alles anders, der Horizont breiter und alles möglich wird». Diese Erleuchtung war seine Entdeckung der Psychedelik in der Musik, in Platten von Bands wie Red Krayola, White Noise oder Pearls Before Swine:
Platten, die für Papiro nicht streng an die Sechzigerjahre und an die Flower-Power-Bewegung gebunden sind. «Psychedelik hat eine Drogen-Konnotation, aber da ich selbst keine Drogen vertrage, birgt die Musik das Versprechen, wie dieser Zustand sein könnte», sagt Papiro. «Psychedelisch bedeutet aber streng genommen ‹die Seele offenbarend›. Nach dieser Definition ist jede gute Musik psychedelisch.»
Das psychedelische Element ist in allen musikalischen Projekten, in denen Papiro mitwirkt, spürbar, sei dies in der Noise-Formation Mir, auf seinen Soloplatten (aktuell die semi-religiöse «Teopatia») oder in der befreundeten Brüderband Roy and the Devil’s Motorcycle, die er zuweilen verstärkt.
Was all diese Musiken auch kennzeichnet, ist das, was Papiro als eine Konstante in seinem Leben sieht: seine Moderesistenz. «Ich versuche gar nicht erst, aktuell zu sein. Nostalgisch bin ich aber auch nicht. Wenn überhaupt, dann interessiert mich die Zukunft», sagt der gelernte Grafiker, der nach der Matura «aus pragmatischen Gründen» nicht das Konservatorium, sondern den Vorkurs an der Schule für Gestaltung besucht hat.
Wahrscheinlich ist es gerade das konsequente Wirken abseits der überhitzten Hypes, das ihm kürzlich einen Auftrag beschert hat, um den ihn mancher grafische Trendritter beneiden dürfte. Denn Papiro gestaltete die Hülle für das neue Album von Panda Bear, dem hochgehandelten Soloprojekt des Animal-Collective-Musikers Noah Lennox.
«Es ist sicherlich meine bisher exponierteste Produktion, denn Panda Bear hat ja einen gewissen Namen, zumal im Ausland. Das hat mir neue Aufmerksamkeit verschafft», sagt Papiro zum Auftrag, der durch seine Verbindung zum ehemaligen Spacemen-3-Musiker und Panda-Bear-Produzenten Pete Kember möglich wurde, für dessen Basler Gastspiele er jeweils die Poster gestaltete.
Anders als andere Papiro-Grafiken ist das Cover für das Album «Panda Bear Meets The Grim Reaper» überaus bunt geworden – «Lennox denkt in Farben, ich denke eher monochrom» –, doch dass es dennoch ein Papiro-Werk ist, ist an den versteckten Buchstaben abzulesen, die erst auf den zweiten oder dritten Blick im Streifenmuster erkennbar werden. Diese erschwerte Lesbarkeit gehe natürlich «gegen alle Regeln, aber wenn man mich für etwas fragt, muss man damit rechnen, das die Lesbarkeit auf einer anderen Ebene stattfindet».
«Gestaltung kann als edle Fassade dienen, hinter der man sich verstecken kann.»
Eine solch andere Ebene ist etwa das Umfeld, in denen die Poster und Plattencovers aus seiner Hand normalerweise auftauchen. Der Plattenladen Plattfon steht in diesem Umfeld im Zentrum, auch das Label A Tree In A Field, das Papiro gemeinsam mit Marlon McNeill gegründet hat, und Ende der Nullerjahre generell die Stadt Basel, als Papiro die von ihm in verschiedenen Lokalen veranstalteten Konzerte mit Plakaten beworben hat. Noch heute organisiert er sporadisch Abende, wie die Mittwochsbar im «Off», die jeweils am ersten Mittwoch im Monat stattfindet. «An solchen Orten ist unkompliziertes, freies Veranstalten noch möglich.»
Über die Grafik äussert sich Papiro derweil kritisch: «Gestaltung kann als edle Fassade dienen, hinter der man sich verstecken kann. Im schlimmsten Fall gibt sie dir vor, was du zu denken hast, beispielsweise wenn ein Plakat für ein Punk-Konzert auch so aussieht wie ein Punkkonzert-Plakat. Das wirkt so, als erzähle jemand einen Witz und erklärt dann auch noch die Pointe», sagt Papiro und fügt an: «Ich bin viel zu eklektisch, um so etwas zu schätzen.»
Eklektisch, das ist auch seine Plattensammlung. Er erzählt begeistert von Feldaufnahmen aus Burundi, die er auf dem Flohmarkt gefunden hat, oder von japanischer Trommelmusik, die sein kleiner Sohn gerne hört. Was all das zusammenhält, ist Papiros Neugierde, seine Lust am Unformatierten und Unkonkreten. Denn: «Wenn du neugierig bist, ist ziemlich viel aufregend.»