Es ist berauschend schön am Arapa-See auf über 3800 Metern Höhe. Glatt liegt er da, glitzert in der Sonne, 200 Quadratkilometer gross. Im Dorf Arapa lebt der Oberwiler Priester Markus Degen. Als eines von vielen Projekten hat er hier eine Forellenzucht gegründet. Sie beschert Menschen in dieser ländlichen kargen Gegend ein Einkommen.
«Zum Glück ist der See noch sauber und nicht so verpestet wie der Titicaca-See», sagt Markus Degen. Der vielfach grössere Nachbarsee ist völlig verseucht von all den giftigen Chemikalien, mit denen das Gold aus dem Gestein rundherum geätzt wird.
Die Goldmine entwickelte sich zu einem menschenunwürdigen Loch, einer stinkenden Vorhölle, geschaffen durch Gier. Geschätzte 45’000 Menschen arbeiten inzwischen hier. «Viele wissen gar nicht, wie schädlich das Quecksilber ist, mit dem sie das Gold aus dem Stein ätzen», sagt Markus Degen, der 2017 zuletzt dort oben war. «Es macht die Menschen krank.» Nicht nur das Gift schädigt die Gesundheit. «Durch Prostitution und Mädchenhandel grassieren Syphilis und Aids in der Rinconada.»
«Das Leben in der Mine ist unmöglich», sagt Degen. «Viele versaufen ihr Geld. Und die Goldgier ist mörderisch.» Wenn bekannt wird, dass jemand Gold bei sich zu Hause hat, drohen Überfall und Totschlag. «Und dann werden die Menschen irgendwo verscharrt. Ich habe hier in Arapa schon viele Menschen beerdigt, die wegen des Goldes umgebracht wurden.» Fünf bis zehn Gold-Tote seien es pro Jahr. Die Ursache bleibt oft ungeklärt.
Manche Goldsucher opfern Menschen, um den Gold-Teufel gnädig zu stimmen.
Es geht sogar das Gerücht um, Bergleute würden Menschen opfern. «Ja, Menschenopfer gibt es tatsächlich», berichtet Markus Degen. «Einmal kam ein Junge in Todesangst und suchte Zuflucht. ‹Ich werde verfolgt!›, sagte er. ‹Sie wollen mich umbringen und dem Teufel als Opfer bringen!› Denn es gibt hier den Aberglauben, dass der Teufel der Besitzer des Goldes sei und man ihn durch Opfer gnädig stimmen kann. Er soll das Gold freigeben.»
11’000 Menschen leben in Arapa, verteilt auf 35 Dörfer und Weiler. Diese liegen oft weit voneinander entfernt. Die Luft ist dünn. Heiss ist es nicht, doch die Sonne brennt intensiv hier oben. Deshalb tragen die Menschen grosse Hüte, die Gesichter darunter erzählen von Arbeit und einem Leben auf dem Feld. «Ich liebe das Leben und die Menschen hier», sagt der Seelsorger.
Schöpfergott, Pachamama und Berggeister
Vor 50 Jahren kam er aus dem Baselbiet nach Peru. Als junger Priester wollte er Menschen in Armut beistehen. In Belgien lernte er einen Priester aus der Region Puno kennen und war beeindruckt. «Ich mochte seine Schlichtheit und Offenheit. Als er von den Menschen und ihrer Kultur erzählte, konnte ich mir vorstellen, herzukommen. Ich habe es nie bereut, es ist einfach nur wunderbar.»
90 Prozent der Bevölkerung ist katholisch, die Kirche hat noch Bedeutung, zumindest bei den Älteren. Markus Degen bereist die Weiler, spendet Sakramente und feiert die Messe. Wie selbstverständlich glauben die Menschen zugleich an Schöpfergott, Pachamama (Mutter Erde) und die Berggeister. Der Priester aus dem Baselland hat damit kein Problem. «Sie sehen in der Pachamama eine Kundgebung dieses liebenden Gottes, der uns das Leben schenkt.»
Der Grossteil seiner Arbeit ist nicht explizit religiös. Im Laufe der Jahrzehnte hat er viele Projekte gegründet. Die Forellenzucht, eine Anlaufstelle für Menschen in Not, eine Schule für Kinder mit Behinderung, ein Heilkräuterprojekt.
Die Sozialarbeit der Pfarrei engagiert sich politisch. Stolz erzählt Degen, dass die Bevölkerung gerade deutlich mehr Mitspracherecht bei der weiteren Entwicklung ihrer Region erkämpft hat. Viele Weiler sind noch nicht an fliessendes Wasser angeschlossen und die Schotterwege nicht motorisiert befahrbar. Das soll sich endlich ändern.
Landflucht und Egoismus
Was dem Priester Sorgen bereitet, ist die Landflucht. Die Männer zieht es in die Minen, zurück bleiben die Frauen. Viele Kinder seien vernachlässigt, weil die Mütter arbeiten müssen. Die meisten bestellen das karge Land, kümmern sich um das Vieh.
«Ich bekomme viel von den Nöten dieser Frauen mit», sagt er. «Mein Anliegen ist es, dass die Männer zurückkommen und das Geld, das sie in der Mine verdient haben, hier auf dem Land investieren. Aber die meisten kaufen lieber ein tolles Auto oder bauen ein Haus in Juliaca.» Dort bleiben dann oft die halbfertigen, unverputzten Bauruinen stehen. Die Bauherren hoffen auf weiteres Gold für den Weiterbau und pendeln zwischen Mine und Stadt.
«Ich wünsche mir, dass die Männer aus den Minen zurück aufs Land kommen. Sie sollten das Leben hier mitgestalten.»
Dieses Jahr übergibt Markus Degen die Pfarrei an einen Nachfolger. «Ich bleibe aber Seelsorger und will unsere Projekte weiter begleiten.» Den guten Kontakt nach Oberwil hält er weiter aufrecht, zu seinen Schwestern und Verwandten und der katholischen Kirchgemeinde. Er fühle sich in der dortigen Gemeinschaft ebenso zu Hause wie in Peru, es sei «eine sehr schöne Freundschaft».
Beim jährlichen «Windreedlifest» sammeln die Oberwiler für Degens Projekte, etwa 10’000 Franken legen private Spenderinnen und Spender jährlich zusammen. Einige kamen ihn auch schon besuchen. Eine Heimkehr ins Baselland plant er nicht, nur Besuche. Sterben und begraben sein möchte er dereinst in seiner zweiten Heimat Peru.
«Helft euch auch gegenseitig!»
Viele Menschen in Arapa leben unter einfachsten Bedingungen. Über das Leid, das ihm hier begegnet, denkt er nicht lange nach. Lieber handelt er: «Wenn jemand sehr krank ist und sich keinen Arzt leisten kann, bezahlen wir das mit den Spenden aus der Schweiz. Genauso, wenn eine Familie Hunger leidet. Das ist für mich Nachfolge Jesu: Für die Armen, Ausgestossenen und Notleidenden da zu sein.»
In den kleinen Dorfgemeinschaften ermuntere er die Leute, sich nicht zu abhängig von der Kirche zu machen: «Helft euch auch gegenseitig!» Für die Zukunft wünscht Markus Degen sich, dass die Menschen ihren Reichtum teilen und nicht nur nach sich selbst schauen. «Und ich hoffe, die Mine ist bald Vergangenheit. Die Goldader bleibt zum Glück nicht ewig.»