Ruedi Bantle ist sein Leben lang Kommunist geblieben. Neben der Politik war dem Arbeiter stets auch die Kunst wichtig. Dass er die Revolution nicht mehr erleben wird, ist für ihn kein Grund zur Resignation.
Würde man Ruedi Bantle ein Original nennen, es wäre eine Respektlosigkeit. In vielerlei Hinsicht entspricht der 88-Jährige dem Schweizer Klischee – im guten Sinne. Er strahlt eine wohlmeinende, aber zurückhaltende Grundanständigkeit aus, hat seinen Lebensunterhalt mit harter Arbeit bestritten, pünktlich alle Rechnungen bezahlt, nie Schulden gemacht.
Vielleicht das einzige, was Ruedi Bantle von anderen Menschen seiner Generation unterscheidet: Seit frühster Jugend ist er der Utopie von der «klassenlosen Gesellschaft» verpflichtet. Ausserdem ist Bantle eines der schwindenden Beispiele des Arbeiterintellektuellen – ein Proletarier, der sich von seiner Arbeit nie davon abhalten liess, sich in seiner Freizeit mit Ökonomie, Politik, Philosophie und Kunst zu beschäftigen.
Solidarität liegt in der Familie
Im Laufe der Jahrzehnte schaffte sich der Mechaniker eine Sammlung von Originalgrafiken an, um die ihn mancher gutbetuchte Schöngeist beneidet. «Für mich hatte die Arbeiterbewegung auch immer einen kulturellen Auftrag», sagt er. «Im Verlauf von 60 Jahren habe ich mit meiner Frau Erika etwa 300 Originalgrafiken und Zeichnungen von engagierten Künstlerinnen und Künstlern gesammelt.» Darunter sind Werke von illustren Namen wie Käthe Kollwitz, Georg Grosz, Paul Camenisch oder Franz Masereel.
Den Sozialismus, die Solidarität mit den Schwachen und Ausgebeuteten, hat Bantle praktisch mit der Muttermilch aufgesogen. Seine Eltern waren Mitglieder der Kommunistischen Partei Schweiz und nach deren Verbot 1944 Gründungsmitglieder der Partei der Arbeit (PdA). Einen Grossteil seiner Freizeit als Jugendlicher verbrachte er in der kommunistischen Jugend und später in der «Freien Arbeiterjugend». Dort ging es zu, wie es in Jugendverbänden halt so zugeht: «Die Wanderungen und Sportveranstaltungen waren für uns manchmal wichtiger als die politische Schulung.»
Anarchos, Kommunisten und Grüne – alle sprechen mit grosser Zuneigung von Bantle und seiner Frau.
1942 begann Bantle eine Mechanikerlehre. Nach dem Abschluss arbeitete er im Rheinhafen als Kranführer, ein paar Jahre später in Bulgarien in einer Brigade im Eisenbahnbau. 1956 wurde er ins Zentralkomitee der PdA gewählt. Im selben Jahr marschierte die UdSSR in Ungarn ein. «Obwohl wir den Einmarsch der Sowjetunion nicht befürwortet hatten, warf uns das als Partei sehr zurück.»
Die 1968er-Bewegung schliesslich führte zu einer Massenabwanderung der jungen Parteimitglieder. Die Partei hatte den Anschluss an die neuen sozialen Bewegungen verpasst. «Auf die Schwulenbewegung, den Feminismus, das Konkurrenzdenken gegenüber den ausländischen Kollegen hatten wir damals einfach keine Antwort. Das alles traf uns unvorbereitet.»
Was Ruedi Bantle nicht daran hinderte von 1970 bis 1984 kräftig in der regionalen Politik mitzumischen. Er kämpfte für Ambulatorien in den Quartieren, trug massgeblich zur Annahme des neuen Abbruchgesetzes, zur Initiative «Grün statt Grau» und zur Parkinginitiative bei. Später wurde er Redaktor der PdA-Zeitung «Vorwärts». Ausserdem war er von 1972 bis 1984 Basler Grossrat und später Bürgergemeinderat (1999–2005).
Integrationsfigur der Linken
Mit der aufkommenden Bewegung um die «Alte Stadtgärtnerei» in den 80er-Jahren wurden Ruedi und seine Frau Erika Bantle zu Verbindungsgliedern zwischen den unterschiedlichsten linken Strömungen und Generationen. Vom verqueren Anarchisten über militante Jungkommunisten bis hin zu Umweltschützern und Sozialdemokraten: Nirgendwo spürt man anderes als grossen Respekt und Zuneigung, wenn von den beiden Integrationsfiguren die Rede ist.
«Eigentlich habe ich immer nach dem Motto von Käthe Kollwitz gelebt», sagt Bantle: «Ich will wirken in dieser Zeit, nicht mehr und nicht weniger.» Da seine Ehe kinderlos geblieben ist, hat das Paar den grössten Teil der Kunstsammlung veräussert und den Erlös an soziale Projekte in Vietnam und Afrika, die Zeitung «Vorwärts», das Zentralamerikakomitee und an ein Behindertenheim in Havanna gespendet.
«Ich bereue nichts», sagt Bantle im Rückblick auf sein Leben. Weder bei ihm noch bei seiner auch nach 50 Ehejahren innig geliebten Frau Erika ist jene Resignation zu spüren, die mancher alte Parteigenosse vor sich her trägt. Ihm sei klar, dass er die Revolution nicht mehr erleben werde, sagt er, während erneut verschmitzte Lachfalten sein Gesicht durchziehen: «Aber der Kapitalismus ist auch keine Lösung – und es pressiert ja nicht.»