Suzanne Schweizer: «Ich gehe mit einem guten Gefühl»

Ein Vierteljahrhundert hat die Co-Geschäftsleiterin der Kultkinos den Filmplatz Basel geprägt, jetzt geht sie in den Ruhestand. Was war ihr in all den Jahren wichtig, und wie geht es nach ihrer letzten Vorstellung weiter?

(Bild: Nils Fisch)

Ein Vierteljahrhundert hat die Co-Geschäftsleiterin der Kultkinos den Filmplatz Basel geprägt, jetzt geht sie in den Ruhestand. Was war ihr in all den Jahren wichtig, und wie geht es nach ihrer letzten Vorstellung weiter?

«Hi!» Susan Schweizer von den Kultkinos Basel begrüsst Armando Braswell vom Theater Basel. Der Tänzer hat unlängst ein Gespräch zum Ballett-Film «Mr. Gaga» moderiert, nach der Vorstellung erkundigten sich mehrere Zuschauerinnen, wo sie tanzen lernen könnten.

«Ist es nicht grossartig, was ein Film auslösen kann?», freut sich Schweizer.

Es sind letzte Tage für die Co-Geschäftsleiterin der Kultkinos: Mitte Oktober geht Suzanne Schweizer in den Ruhestand. Rund ein Vierteljahrhundert hat die gebürtige Thurgauerin die Basler Kinolandschaft mitgestaltet.

«Irgendwann bei einem Praktikum bin ich in Basel hängengeblieben», sagt die energische Frau mit dem offenen Lachen. Sie fand die Stadt spannend. Dass sie gleich so lange bleiben würde, «das hätte ich nicht gedacht».

Höchste Zeit also, sie zu befragen: Was war ihr bei ihrer Arbeit in all den Jahren wichtig? Wie schätzt sie die Zukunft des Unternehmens ein? Und wie geht es nach ihrer letzten Vorstellung weiter?

Die Quereinsteigerin als Geschäftsleiterin

Zu Schweizers Erinnerungen an die Achtzigerjahre gehören gemeinsame Kinobesuche mit ihren Basler WG-Gefährten, im Union und beim Le Bon Film. «Wir haben zum Beispiel den Angelopoulos-Zyklus oder die ‹Heimat›-Reihe von Edgar Reitz geschaut und stundenlang darüber diskutiert», erinnert sie sich. Aus jener Zeit stammt auch ihr Glaube an Kino als kollektives Erlebnis.

Schweizer entdeckte den Reiz der Irritation für sich: Filme, die ihr Geheimnis nicht sofort preisgaben oder die eigenen Sehgewohnheiten herausforderten. Unterhaltung, die eine eigene Haltung provozierte. «Darüber nachzudenken war spannender als das Just-for-fun Kino.»

Nach sieben Jahren in der Jugendarbeit war die gelernte Sozialpädagogin ein Jahr mit einem Strassentheater unterwegs. Danach engagierte sie sich in der Kulturwerkstatt Kaserne (Ressort Tanz und Theater) und war Mitglied der Gruppe IG Kultur, aus der die «Programmzeitung» hervorging. So lernte sie den Gründer der Studiokino AG kennen, Martin Girod, der sie von ihrem Arbeitgeber Pro Helvetia abwarb.

Schweizer wurde Co-Geschäftsleiterin der Studiokino AG. In den Neunzigerjahren verbrachte sie die Sommermonate während vier Jahren auf Sardinien und half in der kühlen Jahreszeit im Kino aus. 1997 kehrte sie wieder fest ins Business zurück und führte die Geschäfte zusammen mit Romy Gysin weiter.

Brainstream statt Mainstream

Bei der Gestaltung des Programms legte Schweizer stets Wert auf «Nachhaltigkeit»: «Ich habe Tausende von Filmen gesehen, aber wirklich geblieben ist das, was mich aus der Komfortzone holt.» Häufig sind es Dokumentarfilme, die Schweizer im ersten Augenblick unangenehm berühren, aber ein Gefühl der Dankbarkeit zurücklassen.

Etwa «Salz der Erde» über den Fotografen Sebastiào Salgado oder «Kinshasa Symphony» (2010) über einen der gewalttätigsten Orte Afrikas, wo Menschen sich aus Abfall Instrumente basteln und abends Beethovens Neunte singen. «Solche Filme finde ich fast noch besser als Reisen, weil man im Kino mehr Distanz hat für die Reflexion.» Und ökologischer ist es ausserdem.

Das Kultkino fühlt sich noch immer einem kulturellen Leitbild aus den Achtzigern verpflichtet, das zur Kultur- statt zur Profitmaximierung anhält. «Wir bemühen uns immer wieder, gesellschaftlich relevante Filme zu zeigen, Filme die zum Nach- und Weiterdenken anregen, berühren und auch Lust auf Diskussionen machen», erklärt Schweizer. Da die Kultkinos keine direkten Subventionen erhalten, sind sie auf eine Querfinanzierung durch gut laufende Filme wie zurzeit «Vor der Morgenröte» angewiesen.

Auch Filme, die eine andere Sehweise vermitteln, finden in Schweizer eine überzeugte Fürsprecherin, die Werke von Roy Andersson etwa oder «Toni Erdmann» (2016), «bei dem man bis zuletzt nicht weiss, ob Toni ein Idiot ist oder ein Philosoph». Sie empfindet es als Geschenk, wenn ihr durch Filme «Themen zufliegen», die sie «nicht auf dem Radar» hatte und in die sie sich vertiefen kann.

Fette Jahre, magere Jahre

Bei aller Ernsthaftigkeit beim Programmieren gehört für Schweizer aber auch das Spielerische dazu. «Es ist wie beim Gamen: Dass sich nicht alles kalkulieren lässt, hat seinen besonderen Reiz.» Manchmal können die Rahmenbedingungen und Kritiken noch so gut sein und doch kommt ein Film nicht vom Fleck.

Doch auch das Gegenteil tritt ein, in Schweizers Fall bei «Il postino» (1994), den sie auf Sardinien in einem heruntergekommenen Kino mit zwei einsamen Zuschauern gesehen hatte. Der Film gefiel Schweizer, die sich die Rechte sicherte, obwohl niemand grosse Erwartungen hegte. Dann schlug der Film unversehens ein, lief über ein Jahr und katapultierte die Kultkinos aus den roten Zahlen in die schwarzen.

«In der Zeit, die ich hier war, hatten wir ganz unterschiedliche Jahre, fette und magere», sagt Schweizer. Leider verhalte es sich mit den fetten Jahren oft wie mit der Schönheit: «Sieht man sich selbst auf einem Foto, denkt man zuerst: oh je. Erst retrospektiv wird daraus ein Wow!» Aber es gab auch wirklich schwierige Jahre, und der Umstand, dass die Kultkinos pro Jahr fast 200 Filme vorführen, machte das Planen nicht einfacher.

«Seit der Digitalisierung gibt es von allem mehr», erklärt Schweizer: «Mehr Produktionsfirmen, mehr Verleiher und viel, viel mehr Filme.» Nur Zuschauer gebe es nicht mehr, die Auswahl wird immer anstrengender. «Die Mainstream-Kinos zeigen viel weniger als wir, da reicht ein einziger James Bond oder Harry Potter, um das ganze Jahr zu sanieren.»

Die lieben Nachbarn

Das Verhältnis zu «unseren Freunden in der nächsten Strasse», wie Schweizer die Konkurrenz nennt, war in den langen Jahren durchzogen. Zu Beginn, als sich die Aktiengesellschaft der Kultkinos den Kinoplatz Basel mit zwei dynastischen Familienunternehmen teilte, hatte man sich noch zu einem Verband zusammengeschlossen. Das ist heute, da die schweizweit grösste Kinobetreiberin Kitag und das internationale Unternehmen Pathé die Steinen dominieren, anders.

Das gemeinsame Abo wurde abgeschafft, mehrere Versuche, ein Kinofest zu lancieren, scheiterten. «Sie verfolgen eben andere Strategien», stellt Schweizer ernüchtert fest, «dabei fände ich den Crossover spannend: Kino ist Kino, da kann man sich für Verschiedenes interessieren.»


«Früher hat man im Sommer noch die Kühle im Kinosaal gesucht, heute geht man zum Chillen an den Rhein.» (Bild: Nils Fisch)

Dabei, so glaubt Schweizer, müssten sich gerade die grossen Kinoketten etwas einfallen lassen. «Das Ringen um Zuschauer wird für den Mainstream hier in Grenznähe immer schwieriger, wo man für fünf Euro nach Deutschland ins Kino gehen kann.» Dazu kommt die Konkurrenz durch diverse Streaming-Plattformen.

«Unser Publikum legt dagegen Wert auf den Austausch, den Events und Vorpremieren ermöglichen», erklärt Schweizer. Der grösste Feind im Arthouse-Bereich sei weniger Netflix, sondern das Wetter: An einem schönen Wochenende locken dieselben Filme nur gerade ein Viertel der Besucher an, die es an einem verregneten Wochenende ins Kino zieht.

«Wir werden immer mediterraner», sagt Schweizer. «Früher hat man im Sommer noch die Kühle im Kinosaal gesucht, heute geht man zum Chillen an den Rhein.» Das Sommerloch, von dem noch vor 20 Jahren gesprochen wurde, sei mittlerweile gut gefüllt. «Die Zeit arbeitet gegen das Kino, weil wir alle so überbeschäftigt sind.»

Der Abspann

Trotzdem glaubt Schweizer an die Zukunft des Kinos, das für sie kleiner, aber feiner aussehen wird. Um das treue Stammpublikum – im Schnitt weiblich und über 30 – zu erweitern, müssen die Kultkinos aber auch neue Konzepte finden und jüngere Zuschauer ins Kino bringen. «Eine Arbeitsgruppe prüft die Umsetzung von ganz einfachen Sachen, aber das ist alles noch nicht spruchreif.» Grundsätzlich gehe es aber darum, ein Gemeinschaftserlebnis anzubieten.

Mit der Umsetzung dieser Konzepte wird sich Schweizer nun nicht mehr beschäftigen müssen. Oder können? «Bei mir war Herzblut immer das Wichtigste, aber ich gehe mit einem guten Gefühl. Meine Nachfolge ist nach meinem Wunsch geregelt, es bleibt bei einer doppelten Geschäftsleitung, das heisst, die Programmation wird weiterhin erstritten und ist nicht einfach easy going. Insofern gehe ich gerne. Aber das Zeithaben ist auch Neuland, ich bin auf alles gefasst.»

Jeweils die Hälfte des Jahres will Suzanne Schweizer künftig auf Sardinien verbringen, weitere Pläne macht sie aber bewusst keine: «Einfach mal Zeit haben, um durchzuatmen und weiterzudenken… Ja!»

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