Wir treffen uns auf der Terrasse des Café Kuss im De-Wette-Park beim Bahnhof SBB. Marcel Schwald muss sich erst wieder in sein aktuelles Projekt einklinken. Er habe eben die ersten Durchlaufproben für das Jubiläumsstück der legendären Les Reines Prochaines hinter sich gebracht, erzählt er.
Jetzt hat er eine gute Stunde Zeit, um über sein aktuelles Projekt zu sprechen. Dann fährt sein Zug nach Genf, wo das Stück gastiert, bevor es ab dem 18. Oktober auch in der Kaserne Basel zu sehen sein wird.
Trendthema Transgender
Der Titel der Projekts ist ein Zungenbrecher und eine orthografische Herausforderung: «Ef_femininity» – mit Unterstrich und gefühlt einer «ni»-Silbe zu viel. «Aber ein im Grund genommen akkurater Begriff für das, was wir vorhaben», sagt Schwald. Der Titel verbindet die Begriffe «Weiblichkeit» und «Effemination», was Verweiblichung bedeutet. «Verweiblichung ist ein negativ konnotiertes Wort, viele im Team sind schon auf herabsetzende Art und Weise mit dem Begriff konfrontiert worden; wir eignen uns das Wort nun positiv an, um Vorurteilen offensiv entgegenzuwirken», erklärt Schwald.
Damit springen der Basler Theatermacher und sein Produktionspartner, der Berner Tänzer und Choreograf Chris Leuenberger, auf das Trendthema Transgender, Genderfluidität oder Queering auf. Zumindest auf den ersten Blick. Denn Schwald ist nicht jemand, der Trends hinterhereilt, sondern ein Theaterforscher, der auf der steten Suche nach neuen Themen und Formaten neue künstlerische Wege vorspurt.
Das hat er bereits 2008 mit seinen «Host Clubs» getan, kuratierten Gesprächsrunden, aus denen Bühnenperformances erwuchsen. Zuletzt schuf er im Rahmen des Festivals Culturescapes eine Multiple-Stand-up-Comedy über die Diskrepanzen zwischen der reichen Schweiz und dem quasi bankrotten Griechenland. Für das Projekt mit dem Titel «Money Piece I (Comedy)» stellte er ein Ensemble mit Bühnenkünstlern aus Griechenland und der Schweiz zusammen.
Bei «Ef_femininity» überspringen Schwald und Leuenberger neben geschlechtsspezifischen wiederum kulturelle Grenzen. Dieses Mal ging es nach Indien. «Chris Leuenberger und ich wollten schon lange ein Projekt zum Thema Weiblichkeit machen, aber eines, das sich nur auf unseren westlichen Kulturkreis einschränkt, erschien uns als schwierig, weil wir in unserem eigenen Kulturkreis zu oft und zu schnell das Gefühl haben, für andere sprechen zu können und alles bereits verstanden zu haben», sagt er. «In einem transkontinentalen Dialog verlief die Kommunikation offener, fragender und vor allem behutsam.»
Zündender Funke in Bangalore
Der zündende Funke kam also, als Leuenberger im Rahmen eines Wissensaustausch-Programms von Pro Helvetia in der indischen Stadt Bangalore weilte. Schwald folgte seinem Bühnenpartner auf den Subkontinent. «Wir trafen dort auf eine sehr spannende Gender-Szene und auf eine faszinierende Erzählkultur», sagt er. Das Projekt wurde lanciert, zusammen mit der Journalistin Shilok Mukkati, der Performerin Living Smile Vidya und der Choreografin Diya Naidu – zwei davon Transfrauen, alle weisen sich explizit als Feministinnen aus.
Zusammen mit Leuenberger setzen sie sich auf der Bühne mit ihrer Weiblichkeit auseinander. Mit Tanz, sehr persönlich geprägten Monologen und Interaktionen.
Auch für Schwald, der als Regisseur in diesem Projekt nicht im Rampenlicht steht, spielt Weiblichkeit eine wichtige Rolle. «Bereits als Kind wollte ich stets ein Mädchen sein», sagt er.
«Ich durfte die verzauberte Prinzessin spielen»
Diese Erfahrung des heute 42-Jährigen reicht in die Kindergartenzeit zurück – wie auch die Erkenntnis, dass es ihn beruflich ins Theater ziehen würde. «Ich durfte beim Märchen von den sieben Schwänen die in eine Eule verzauberte Prinzessin spielen und Lippenstift tragen», erzählt er. Den Lippenstift habe er nach der Vorstellung nicht weggewischt und sei stolz damit nach Hause gegangen. «Ich erinnere mich noch gut, wie ich aufgeregt an der Haustüre geklingelt hatte, um meiner Mutter die bemalten Lippen zu zeigen.»
Mit dem Theater ging es sogleich weiter. Auf seine Bitte hin habe die Kindergärtnerin ihm erlaubt, sich an ein weiteres Märchen zu machen. «So inszenierte ich mein erstes Stück: Allen habe ich vorgemacht, was sie wann tun und sagen sollen; von da ab wusste ich, dass ich das beruflich machen wollte.» Nach der Schule und der KV-Lehre in Basel besuchte er folgerichtig die Hochschule der Künste in Utrecht und das renommierte Institut für angewandte Theaterwissenschaft in Giessen.
Wo ist das Mädchenhafte?
Als Theatermacher konnte sich Schwald durchsetzen, sowohl als regelmässiger Koproduktionsgast in der Kaserne Basel als auch in der nationalen und internationalen freien Szene. Sein Wunsch, Mädchen oder Frau zu sein, ist bei der persönlichen Begegnung weniger nachvollziehbar. Mit seinem Bart, der explizit männlichen Kleidung mit Hoodie und Stoffhose und seinem Gestus strahlt er nichts Weibliches aus.
«Ich bin mehr der Diskurs- als der Personality-Typ», erklärt Schwald auf diesen Eindruck angesprochen. «Ich will über die Kunst und über den politischen Aktivismus versuchen, die klassisch binären Geschlechtermuster aufzubrechen.» Eben zum Beispiel mit seinem aktuellen Projekt.
Schwald lebt dieses Aufbrechen der Muster aber durchaus in seinem Privatleben vor. Er ist schwul und seit mehreren Jahren «in ernsthaften experimentellen Partnerschaften», wie er sagt – «ich lebe aber allein, weil ich daran glaube, dass sich Romantik besser erhalten lässt, wenn man keinen gemeinsamen Haushalt teilt». Und er ist Vater von zwei Söhnen im Alter von drei und fünf Jahren.
«Ich wusste schon mit 20, dass ich Kinder will», sagt er. Ein erster Versuch mit einer Ex-Freundin scheiterte. Im Alter von Mitte 30 lernte er ein Frauenpaar kennen, «das einen Vater für eine Elterngemeinschaft suchte», wie sich Schwald ausdrückt. Dieses Mal klappte es. Seine beiden Söhne leben zwei Tage in der Woche bei ihm – ausser wenn er Endproben habe. «Den Rest der Zeit verbringen sie bei den beiden Mamis.»
Dann doch die tradierte Papi-Rolle
«Ich habe mich sicher ein Stück weit von stereotypen Geschlechterrollen befreit, jedenfalls orientiere ich mich nicht bewusst an einem bestimmten Männlichkeitsbild», sagt Schwald. Er lebt also gewissermassen vor, was er in seinem Projekt auf die Bühne bringen möchte.
Aber ganz gelingt ihm das denn letztlich doch nicht. «Im Beisein der Kinder beschleicht mich allerdings manchmal das Gefühl, dass ich doch einen gewissen Vater-Drag annehme, um meine Elternrolle zu performen», sagt Schwald. Und was heisst das auf Deutsch? «Dass ich mich an eine tradierte Papi-Rolle anlehne.»
«Ef_femininity». Performance-Projekt von Marcel Schwald und Chris Leuenberger. Vom 18. bis 22. Oktober in der Reithalle der Kaserne Basel.